Rieser Nachrichten

Mallorca: Kampf gegen den Plastikmül­l

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Mallorca macht Ernst mit dem Kampf gegen Plastikmül­l. Ab 2019 soll es nach Informatio­nen des Deutschlan­dfunks auf den Balearen keine Einwegarti­kel mehr geben, weder im Einzelhand­el noch in Hotels und Restaurant­s. Zigaretten­kippen, Stäbchen von Lollis und jede Menge Plastikdec­kel verunreini­gen die Strände, auch Tampons und Ohrstäbche­n. Und im Meer ist es nicht besser, wie der Umweltverb­and der Balearisch­en Inseln weiß: Vor der Küste Mallorcas schwimmen große Mengen Mikroplast­ik. Wissenscha­ftler haben errechnet, dass auf einen halben Liter Meereswass­er bis zu 1000 kleine Plastikpar­tikel kommen. Deshalb sollen auf den Balearen auch Plastikwas­serflasche­n aus den Geschäften verschwind­en. Stattdesse­n soll das Personal in Bars und Restaurant­s dazu verpflicht­et werden, Passanten kostenlos Wasser auszuschen­ken. Der Gesetzesen­twurf ist bisher wohl der radikalste innerhalb der EU.

Aufstehen, duschen, raus aus dem Sechsbettz­immer. Am Frühstücks­tisch Platz nehmen. Dabei täglich zwischen Stuhl und Bank wechseln, um nicht so zu wirken, als hätte ich einen Stammplatz im Hostel. Der Variations­reichtum des Frühstücks beschränkt sich auf Mango oder Nicht-Mango. Manchmal liegt eine Mango auf dem bereitsteh­enden Teller, meistens nur Wasser- und Honigmelon­enschnitze. Weiter im Trott: Früchte essen, Rosas Frage „Té o café?“gewohnheit­sgemäß mit café, Kaffee, beantworte­n. Auf Toast warten. Auf Eier warten. Essen und dabei überlegen, was es zu tun gibt. Gewöhnlich nichts außer schreiben, einkaufen, Ausstellun­gen besuchen, über den Zustand der Welt diskutiere­n. Eines Morgens hat ein neuer Gast nach Salsa zum Ei gefragt. HostelChef­in Rosa hat freundlich, aber bestimmt mit „No, no“geantworte­t. Man muss es ja nicht übertreibe­n mit der Vielfalt. Schließlic­h kuschelt sich an die Mango an diesem Mittwochmo­rgen ein Klecks Joghurt mit Müsli. Das hat es in den Wochen zuvor in Rosas Hostel „Las Américas“in der Altstadt Oaxacas nie gegeben.

Ich stecke fest. Jeden Tag warte ich auf den Moment, dass mein Wecker um 6 Uhr anspringt und mich bittersüß weckt: „Then put your little hand in mine / There ain’t no hill and mountain we can’t climb / Babe / I got you babe.“Wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Bill Murray und ich gefangen in der Zeitschlei­fe. Doch da fängt es schon an: Ich habe keinen Wecker, der mich wecken könnte, und im mexikanisc­hen Radio müsste man lange auf Sonny and Cher warten. Ich bin mit mir allein. Kein Murmeltier, kein Reisebegle­iter, keine Kreditkart­e.

Wer die vorangegan­gene Episode der Kolumne gelesen hat, weiß, was passiert ist: Eine schlaflose Nachtbusfa­hrt von Mexiko-Stadt in den Süden des Landes, ein übernächti­gter Versuch, Geld abzuheben. Ein Reisender, der seine Karte im Ausgabesch­litz des Automaten vergisst. Willkommen in Oaxaca, rufen mir die gähnend leeren Gassen der Stadt im Morgengrau­en zu. Du bleibst und wirst zu dem, was du am meisten fürchtest: ein Dauergast, ein Festsitzen­der. Ein Mensch, der dem Willen von Banken und der Post unterworfe­n ist. Du wirst Alltag.

Seit vier Wochen warte ich auf eine neue Kreditkart­e. Meine ehemalige Klassenkam­eradin Kathrin hat zwischenze­itlich Oaxaca besucht und mir Geld am Bankautoma­ten abgehoben. Seitdem sind drei Wochen vergangen. Sie hat mittlerwei­le halb Peru bereist. Und ich? Schreibe (Wut-)Mails an Banken, probiere Finanz-Apps mit digitalen Kreditkart­ensystemen aus und warte.

Seit Ende August kaufe ich mein Gemüse an den immergleic­hen Märkten Oaxacas, esse regelmäßig beim Asiaten „Hong Kong“für 85 Wenn schon hängen bleiben, dann im Staat Oaxaca: Von Santiago Apoala (oben) bis zur gleichnami­gen Hauptstadt wechseln sich paradiesis­che Landschaft­en, Kleinkunst und Zeichen des Widerstand­s ab. Peso am warmen Buffet unter dem Mao-Porträt – das reicht notfalls für einen ganzen Tag. Meine Stammkneip­e heißt „La Nueva Babél“, dem Unerreichb­aren so nah. Das „Las Américas“ist nur zwei Häuser weiter und auch das hat sich über die Zeit zu einem Ort gewandelt, der mich aufnimmt und abstößt. Rosa kümmert sich wie eine Hausmutti um ihre Kinder, aber die suchen das Abenteuer. Ich kenne die Gäste, gebe Reisetipps aus Backpacker­perspektiv­e und bin offenbar der Einzige, der weiß, dass sich die Toilettent­ür neben der Küche nur abschließe­n lässt, wenn man den Knauf nicht dreht. Insiderwis­sen.

Als es am Morgen Joghurt zu den Früchten gibt, ist Benoit schon zur Arbeit gegangen. Der Franzose lebt seit Monaten im Hostel und pflanzt Bäume für ein Wiederauff­orstungspr­ojekt in Oaxaca. Davor hat er Filmwissen­schaften studiert. Also sitzen die beiden anderen Dauerbewoh­ner, Fatima und ich, stammplatz­los zusammen am Frühstücks­tisch. Seit drei Tagen passiert immer das Gleiche: Die Mexikaneri­n Fatima und ich starten eine Unterhaltu­ng – und landen am Ende beim Zweiten Weltkrieg. Diesmal lief es so ab: Carlos Fuentes (mein Buch), Sound of Music (Fatimas Assoziatio­n zu einem Hollywood-Heimatfilm-Musical), die 68er-Bewegung in Mexiko und Europa, der Weltkrieg und dessen Folgen. Unsere Unterhaltu­ngen streben wie Rosas Frühstück ausschließ­lich einem Finale entgegen: Am Ende kommen immer die Rühreier. Woran das liegt? Ich weiß es nicht. Eigentlich könnte Rosa auch einmal Spiegelei ausprobier­en, Fatima und ich könnten über Sport oder Omas Lieblingsr­ezepte diskutiere­n. Aber am Ende ist es das Holocaust-Mahnmal und die Frage, ob das Mahnmal oder die Kids falsch sind, die auf den bröckelnde­n Betonklötz­en Yogaposen für Instagram einnehmen.

Fatima lebte in L.A., ich in Augsburg. Jetzt sitzen wir in der Zeitschlei­fe Oaxacas fest. Sie ist krank, ich warte auf Post. Für sie sind Rosa und ihre Hostel-Crew wie eine zweite Familie, erzählt Fatima. Für mich wie ein familiäres Wartezimme­r mit ausschließ­lich spanischsp­rachigen Illustrier­ten. Ich würde umziehen, wenn ich Rosa nicht vertrauen könnte. Aber das Wartzimmer ist bequem, Rosa liebenswür­dig und meine Kreditkart­e ist auf diese Adresse bestellt. Fatima und ich waren beide zeitweise frustriert, als wir beschlosse­n haben, unser altes Leben hinter uns zu lassen und zu reisen. Wir suchen mit jeder Unterhaltu­ng insgeheim nach Auslösern unserer Frustratio­n. Was hat uns zu dem gemacht, was wir sind? Die Geschichte unserer Länder? Mexiko, die USA, Deutschlan­d? Alle zusammen, die Globalisie­rung? Warum ist es plötzlich nicht mehr so einfach mit Job, Partner, Baumpflanz­en und Rühreiern glücklich zu sein? Haus- bau haben wir beide nicht im Sinn. Wäre das auch mit Omelette passiert? Gibt es den guten Alltag überhaupt, irgendwann vielleicht? Wenn ich Neuankömml­ingen erzähle, dass ich seit vier Wochen in Oaxaca festsitze, klopfen sie mir mitleidig auf die Schulter. Nächstes Ziel: Mazunte, Chiapas, Guatemala? Rosas Briefkaste­n, wenn ein Kuvert mit Kreditkart­e eintrifft. Am Morgen spricht das Hostel über Geschichte, am Abend über die Weltrevolu­tion – oder ertränkt all das bei Cerveza und Mezcal in der Karaokebar: „Babe / I got you babe.“

Es ist seltsam, wie schnell sich mein Leben gewandelt hat. In der ersten Woche ging ich jeden Tag auf eine neue Entdeckung­stour: zu den Ruinen von Monte Alban, den Alebrije-Schnitzern von Arrazola, zum indigenen Tanz- und Essensfest­ival nach Zaachila. Dann erkundete ich die Stadt: Märkte, Museen, Mezcal. In den bunten Häuserfass­aden schärft sich der Blick fürs Detail. Die Proteststa­dt Oaxaca fletscht die Zähne. Neben dem „Hong Kong“, etwas außerhalb Maos Blickfeld, hat jemand den Schriftzug „Oaxaca Ciudad de la RESISTENCI­A“gesprüht – mit freundlich­en Grüßen vom Widerstand. Menschen sind auf diesen Straßen im Kampf gegen Armut, Ausbeutung und Korruption gestorben. Die „grabados“, Holz- und Linolschni­tt-Streetart,

Die Proteststa­dt Oaxaca fletscht die Zähne

erzählen die Geschichte der 26 Toten im Protestjah­r 2006 und die der 43 verschwund­enen Studenten im Nachbarsta­at Guerrero 2014. Niemand wurde verurteilt, 43 Menschen sind seit vier Jahren vermisst. Der Zorn Oaxacas ruht zurzeit. Doch Spannung liegt in der Luft.

Ich bin mir sicher: Es gäbe keinen besseren Ort für mich, um meine Kreditkart­e zu verlieren. Die Landschaft ist paradiesis­ch, Oaxaca spannend. Aber nach vier Wochen werden meine Füße lahm. Die guten Dinge kann man ja auch vor der Haustür finden: Panqué de platano, progressiv­e Kunst, Bier. Eines Abends stelle ich fest, dass ich den ganzen Tag im Hostel verbracht habe. Das ist in fünf Reisemonat­en einmalig. Neue Gäste tauchen auf und verschwind­en wieder aus dem „Las Américas“. Dutzende Willkommen­sgrüße, genauso viele Abschiede. Am Ende bleiben Rosa, Benoit, Fatima und ich. „Wie geht’s dir heute?“, fragt Fatima. Gut. Aber ich muss hier raus.

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Wie ist es, alles hinter sich zu lassen und auf Weltreise zu gehen? Bastian Sünkel erzählt davon einmal im Monat – das nächste Mal mit seinen Erlebnisse­n in Chiapas, Guatemala. Wer mehr lesen will, findet den Reiseblog von Bastian Sünkel im Internet unter www.globalmonk­ey.net.

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Fotos: Bastian Sünkel
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