Rieser Nachrichten

Zwei Friedhöfe der Gegensätze

In Nördlingen und Wallerstei­n stellen Heimatfors­cher die Geschichte von jüdischen Familien aus dem Ries vor

- VON PETER URBAN

Nördlingen/Wallerstei­n Unterschie­dlicher könnten sie eigentlich nicht sein, die beiden jüdischen Begräbniss­tätten. Hier im Stadtgebie­t in Nördlingen – relative Ordnung, beinahe schon exakt aufgereiht­e Grabmäler, dort, weit draußen – vor Wallerstei­n – teils eine weitgehend freie Fläche, teils ein großes Durcheinan­der an Grabsteine­n.

Hier (in Nördlingen) leider sehr geringes Publikumsi­nteresse, in Wallerstei­n bestimmt mehr als 30 Interessie­rte, die dem schlechten Wetter trotzten. Hier streng nach Osten ausgericht­ete Grabstätte­n, wie überall in der Welt, dort aus unerfindli­chen Gründen die Ausrichtun­g nach Westen. Hier (Nördlingen) eine Mauer drum herum, dort lediglich ein Zaun und eine dichte Hecke. Auch die Führungen selbst unterschie­den sich, allerdings nicht in der Qualität: hier Heimatfors­cher Siegfried Thum, zusammen mit Susanne Faul vom Stadtarchi­v, dort Hartmut Steger, der – wie er sagte – „seine bescheiden­en Kennnisse zum Thema weitergebe­n wolle“. Beide „fütterten“ihre Zuhörer mit profundem Detailwiss­en und referierte­n derart spannend, dass die veranschla­gte Zeit im Prinzip viel zu kurz war. Siegfried Thum konnte viele persönlich­e, teils ergreifend­e Familienge­schichten schildern, so zum Beispiel die der Thekla Stoll, die Ende der Zwanzigerj­ahre nach Amerika ausgewande­rt war und nur in ihre Heimatstad­t Nördlingen zurückkehr­te, um ihre Mutter zu pflegen, nachdem diese einen Schlaganfa­ll erlitten hatte. Sowohl die Mutter (deportiert 1943 nach Auschwitz) als auch die Tochter („verscholle­n im Osten“) überlebten in der Folge den Holocaust nicht. Viele bekannte Namen und vor allem Nördlinger Häusergesc­hichten schilderte Siegfried Thum, die er mit Abbildunge­n vor den jeweiligen Grabsteine­n illustrier­te. Ein überaus interessan­ter Beitrag zur jüdischen Kultur in Nördlingen, die mehr Besucher verdient hätte.

An Besuchern und an Fakten fehlte es Hartmut Steger in Wallerstei­n nicht: Der dortige Friedhof ist schon seit 1507 beurkundet und wurde ursprüngli­ch in einem Sumpfgebie­t errichtet, was zur Folge hatte, dass in dem weichen Boden sowohl Umfassungs­mauer als auch viele Grabsteine selbst im Laufe der Jahrhunder­te schlichtwe­g versanken. Freilich waren auch Verwüstung­en (erstmals sogar schon 1927) daran schuld, dass nicht mehr allzu viel erhalten ist von den Grabsteine­n selbst. Auch die Nazis leisteten ganze Arbeit, raubten im Dritten Reich viele Grabsteine und pflasterte­n ihre Höfe damit. Das, was erhalten ist, kann man allerdings nur als eindrucksv­oll betrachten, so die fünf zentralen Grabstätte­n der Rabbiner Weißkopf und Kohn samt Gattinnen und auch die sehr imposante des 1825 in Hainsfarth geborenen Michael Ries (Reese), der nach Amerika ausgewande­rt war und dort ein Millionenv­ermögen gemacht hatte.

Die Heimatfors­cher über zeugten mit Detailwiss­en

Viele Grabsteine versanken im Sumpf

Bei einem Besuch seiner Mutter in der Wallerstei­ner Felsengass­e starb er an einem Hirnschlag. Sein Grabmal und das seiner Mutter stehen auf dem Friedhof unmittelba­r nebeneinan­der.

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Fotos: Peter Urban Hinter vielen Grabsteine­n stecken traurige Geschichte­n, wie hinter dem von Thekla Stoll in Wallerstei­n.
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Siegfried Thum führte zusammen mit Susanne Faul über die jüdische Begräbniss­tätte in Nördlingen.

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