Yesterday ist heute
Schon vor der Veröffentlichung hieß es, Paul McCartney sei mit „Egypt Station“ein großer Wurf gelungen. Aber ist das 17. Solowerk des Ex-Beatles wirklich ein Konzeptalbum? Es bestehen Zweifel
Als ob „Egypt Station “das legitime Nachfolge-Album von „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“wäre! Schon im Vorfeld des Erscheinens haben Kritiker Hymnen auf das jetzt vorliegende neue SoloWerk von Paul McCartney gesungen, das sie als meisterhaftes Konzeptalbum rühmen und das einen Vergleich mit dem großen BeatlesOpus durchaus rechtfertige.
Mal langsam: Mit „Egypt Station“ist der 76-jährige Ex-Beatle auf eine „fantastische Entdeckungsreise“gegangen, bei der er bizarre Geschichten erlebt. Auffallend immerhin, dass McCartney auf seinen Stopps aufgrund der vielseitig arrangierten Songs tatsächlich bei „Sergeant Pepper’s“einen Halt einlegt. Außerdem machte eine Fernseh-Dokumentation über das Meisterwerk der Beatles, das von raffinierter Rhythmik und vertrackten Harmonien lebt, McCartney Appetit, aus vorhandenem Material und neuen Songs das Album „Egypt Station“zu basteln.
Der Vergleich zu dem großartigen Klassiker von 1967 ist freilich etwas hochtrabend ausgefallen. Ist „Egypt Station“wirklich ein Konzeptalbum? Melodische und thematische Geschlossenheit, wie sie 1966 die Beach Boys in „Pet Sounds“an den Tag legten, fehlte ja selbst „Sergeant Pepper“. Und doch sind Parallelen vorhanden. So ähnelt schon der Einstieg in „Egypt Station“dem Beginn von „Sergeant Pepper“. Waren es 1967 noch Klänge aus dem Konzertsaal, schickt McCartney gleichsam einen älteren Herrn auf einen geräuschvollen Bahnsteig, auf dass er eine Bahnfahrt unternehme. Wahrscheinlich hat er eine Dauerkarte.
Beatles-Fans werden es bedauern, dass Paul allein zu Haus ist, sie werden John Lennon, George Harrison und Ringo Starr vermissen, die man sich aus „Sergeant Pepper“nicht wegdenken mag. Und Stücke wie der schmalbrüstige Rocker „Caesar Rock“und die mit Streichern und Flöte angedickte Ballade „Hand in Hand“sind nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Klarer Punktsieg für „Sergeant Pepper“.
Doch der Altmeister erweist sich als Profi in der Vermarktung seines neuen Produkts. Zusammen mit dem Talkmaster James Corden besuchte McCartney für die Kultsendung „Carpool Karaoke“auf Youtube die Orte seiner Jugend. Außerdem gastierte er heimlich in den Londoner Abbey Road Studios, wo zahlreiche Beatles-Klassiker aufgenommen wurden, und ließ sich vom Publikum in einer Liverpooler Akademie interviewen.
Paul McCartney ist Nostalgiker. Eines seiner musikalischen Mottos lautet „Yesterday ist heute“. Auf seinem Album „Kisses on the Bottom“spielen alte Schlager die Hauptrolle. Schon die Beatles hatten solche Oldies in ihrem Repertoire.
Papa war als Klavierspieler wie als Mensch Paulchens Vorbild. Seine Ratschläge versuchte der Sohn zu befolgen. Wenn der faul rumhing und seine Hausaufgaben nicht erledigen wollte, sagte der Vater „Do it now“– erledige das jetzt! „Do It Now“heißt darum auch ein etwas pathetisches Lied, das sich wie selbstverständlich auf „Egypt Station“findet.
„Ich habe noch so viel zu lernen“, gibt der Pop-Veteran auf „I Don’t Know“zu. Wohl deshalb hat er sich mit Greg Kurstin einen Produzenten geholt, der unter anderem von Adele bis zu den Foo Fighters Musiker aus den verschiedensten Gattungen betreut. Die Klaviertupfer im Stil von „Let It Be“hat sich der Chef trotzdem nicht nehmen lassen.
Die richtige Hand hatte Paul McCartney indes bei der Auswahl des Plattencovers. Das Bild, das er vor 30 Jahren selbst gemalt hat, zeigt einen Bahnhof in Ägypten – mit einer riesigen Jacke, einer Zeder, Pyramiden und einem etwas rätselhaften Steinbock samt gigantisch langer Hörner. Fürwahr ein echter Blickfang.
An die meisten Songs wird man sich gewöhnen. An „People Want Peace“vielleicht weniger, weil die Friedenssehnsucht inhaltlich wie musikalisch eine Spur zu plakativ daherkommt. Musikalisch ein Glücksfall dagegen ist „Confidante“, das der Bassist, der hier wuchtig und überfallartig in die Saiten greift, bereits 1968 geschrieben hat.
Gefühlvoll, aber nicht kitschig ist die traurige Liebesgeschichte in „Back in Brazil“. Highlights sind die symbolträchtige Sorge um die Umwelt von „Despite Repeated Warnings“und „Hunt You Down/ Naked/C-Link“. Auf dieser Trilogie dreht McCartney für die elektrische Gitarre ordentlich die Regler auf. „Ich kann es nicht laut genug haben“, gibt der Musiker überraschend zu.
Für ein „Konzeptalbum“hat Paul McCartney übrigens eine eigene Definition: „Ich will, dass man es in einem durchhören kann, wenn man möchte, und das einen unbedingt irgendwo hinführt.“