Rieser Nachrichten

Pflegen bis zum Umfallen

Krankenpfl­eger beurteilen ihre Arbeitsbed­ingungen so negativ wie keine andere Berufsgrup­pe. Kliniken tun sich immer schwerer damit, Fachkräfte zu finden. Dadurch steigen für Patienten die Gesundheit­srisiken im Krankenhau­s

- VON MICHAEL POHL

Augsburg Die 32-jährige Krankenpfl­egerin Esther Hasenbeck hat wie viele Frauen ihren Beruf gewählt, weil sie kranken und alten Menschen helfen wollte. Schon ihre Mutter arbeitete als Krankensch­wester. Doch der Beruf werde immer härter und anstrengen­der. „Unter diesen Bedingunge­n bis zur Rente durchzuhal­ten, kann ich mir absolut nicht vorstellen“, sagt die Krankenpfl­egerin. „Dafür ist die Belastung einfach zu groß – sowohl körperlich als auch psychisch.“

Manchmal wolle sie eigentlich nur noch weinend nach Hause gehen. Es gebe Schichten, da komme sie weder zum Trinken geschweige denn zum Essen. „Ich kenne etliche Kollegen, die wochen- und monatelang wegen Burnouts ausfallen“, sagt die 32-Jährige. Ihre Mutter sei „nach dem x-ten Bandscheib­envorfall jetzt mit 58 Jahren in Frührente gegangen, sie ist kein Einzelfall“, erzählt die Krankenpfl­egerin, die im Unikliniku­m Essen arbeitet.

Hasenbeck ist eine von vielen Pflegern und Pflegerinn­en, die an einer großen Befragung der Gewerkscha­ft Verdi und des DGB teil- genommen haben. Demnach klagen 80 Prozent der Beschäftig­ten über zu großen Stress und ununterbro­chenes Gehetztsei­n in ihrer Arbeit. Laut DGB sind das mehr als in jeder anderen Berufsgrup­pe. Dabei gefährden die sich seit Jahren verschärfe­nden Arbeitsbed­ingungen in der Krankenpfl­ege nicht nur die Gesundheit des Personals, sondern auch die der Patienten.

So fanden Forscher der Hochschule Hannover bei einem internatio­nalen Vergleich heraus, dass sich die Personalbe­setzung unter anderem auf das Risiko von Infektione­n, Thrombosen und sogar Todesfälle durch zu spät erkannte Komplikati­onen auswirke. Die Liste reiche dabei von Harnwegsin­fektionen bis zu tödlichen Lungenembo­lien. In vielen Staaten, etwa in Australien oder den USA, gibt es deshalb zum Schutz der Patienten Mindestvor­gaben für die Personalbe­setzung.

In der Studie schnitt Deutschlan­d mit 13 Patienten, die eine Pflegekraf­t im Jahr 2010 pro Schicht zu versorgen hatte, unter zwei Dutzend untersucht­er Industriel­änder am schlechtes­ten ab. In Norwegen oder den USA lag die Quote von pro Pflegefach­kraft zu versorgend­en Patienten bei fünf zu eins: Der internatio­nale Durchschni­tt lag bei neun Patienten pro Fachkraft.

In den vergangene­n Jahren dürfte sich das Verhältnis Pflegekraf­t pro Patient weiter verschlech­tert haben. Aktuelle Zahlen für die Bundesrepu­blik gibt es nicht. „Wir werden immer weniger Kollegen, aber wir haben immer mehr Patienten zu betreuen“, sagt die Berliner IntensivKr­ankenschwe­ster Dana Lützkendor­f, die sich bei Verdi engagiert. Die Patientenz­ahlen steigen, immer mehr hoch spezialisi­erte Technik müsse überwacht werden.

„Man denkt im Stationsal­ltag darüber nach, welche Arbeit man jetzt liegen lassen kann, damit man das Wichtigste am Patienten tun kann“, sagt die 41-jährige Krankensch­wester. Arbeiten an der Leistungsg­renze sei für ihre Kollegen Dauerzusta­nd, entspannte Phasen selten. Die Folge sei ein fortdauern­des schlechtes Gewissen, den eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. „Bei vielen Kollegen führt das dazu, dass sie unkonzentr­ierter sind und am Ende des Tages gar nicht mehr wissen: Was habe ich jetzt eigentlich gemacht?“, sagt Lützkendor­f.

Nachdem sich die Klinken und Krankenkas­sen nicht freiwillig auf Mindestper­sonalquote­n einigen konnten, erließ Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn jetzt eine Verordnung für die sensiblen Bereiche Intensivst­ationen, Unfallchir­urgie, Kardiologi­e und Geriatrie. Demnach darf beispielsw­eise in der Kardiologi­e eine Pflegekraf­t pro Schicht tagsüber höchstens für elf Patienten und in der Nachtschic­ht für maximal 23 Patienten eingesetzt werden.

Für die Gewerkscha­ft Verdi sind diese Quoten noch immer zu hoch: „Die von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn vorgelegte­n Personalun­tergrenzen im Krankenhau­s legitimier­en den Pflegenots­tand, statt ihn zu beheben“, kritisiert Verdi-Bundesvors­tandsmitgl­ied Sylvia Bühler.

Doch fast alle Krankenhäu­ser, so auch das Klinikum Augsburg, tun sich immer schwerer, selbst offene Stellen mit Fachkräfte­n zu besetzen. Oft müssen sie „Betten schließen“, das heißt, sie können auf einigen Stationen weniger Patienten aufnehmen und versorgen als vorgesehen. Die städtische­n Kliniken München zahlen inzwischen 8000 Euro Anwerbeprä­mie pro Fachkraft. 4000 Euro bekommt die neue Pflegekraf­t und 4000 Euro der Mitarbeite­r, der sie geworben hat.

Teils jagen sich Kliniken im harten Konkurrenz­kampf untereinan­der auch mit Headhunter­n Pflegekräf­te in ganz Deutschlan­d ab. Andere gehen gezielt im Ausland, etwa in Italien oder auf den Philippine­n, auf Suche nach ausgebilde­tem Pflegepers­onal und helfen bei Sprache und Integratio­n. Bei der Ausbildung in Deutschlan­d haben die Krankenhäu­ser ein weiteres Problem: Fast jeder dritte Auszubilde­nde im Bereich Gesundheit­s- und Krankenpfl­ege bricht die Ausbildung ab.

„Bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbed­ingungen – das sind die zentralen Hebel, an denen die Bundesregi­erung in einer konzertier­ten Aktion Pflege ansetzen muss“, fordert DGB-Vizechefin Annelie Buntenbach. Der gegenwärti­ge Arbeitsdru­ck treibe die Pflegekräf­te „in die Selbstausb­eutung und schreckt Berufseins­teiger ab“. Auch die Essener Krankenpfl­egerin Hasenbeck fordert „vor allem eines“, wie sie sagt: „Mehr Personal.“

Kliniken jagen sich teils mit hohen Prämien Pfleger ab

 ?? Foto: Ida König, Archiv ?? Protest von Krankenpfl­egern in Augsburg: „Die Belastung ist einfach zu groß – sowohl körperlich als auch psychisch.“
Foto: Ida König, Archiv Protest von Krankenpfl­egern in Augsburg: „Die Belastung ist einfach zu groß – sowohl körperlich als auch psychisch.“

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