Rieser Nachrichten

Ein Staubsauge­r für den Klimaschut­z

Mit einer riesigen Anlage filtert ein Schweizer Start-up Kohlendiox­id aus der Luft. Wie ein Unternehme­n aus der Region bei der Entwicklun­g des Geräts geholfen hat

- VON STEPHANIE LORENZ

Mertingen Eine Müllverbre­nnungsanla­ge ist an sich eher unspektaku­lär. Auch wenn sich hinter ihr ein spektakulä­res Bergpanora­ma auftut, wie im schweizeri­schen Hinwil, einer Gemeinde 30 Kilometer östlich von Zürich. Und doch ist die dortige Müllverwer­tungsanlag­e einmalig. Denn auf ihrem Dach befindet sich die weltweit erste kommerziel­le Anlage zur Filterung von Kohlendiox­id aus der Luft. Also dem Gas, das für den Klimawande­l verantwort­lich sein soll. Ein CO2-Staubsauge­r sozusagen. Er wandelt das Treibhausg­as so um, dass man damit zum Beispiel Gemüse düngen kann. Um diesen Riesen-Staubsauge­r auf dem Dach in 28 Metern Höhe zu installier­en – dabei half die Firma Südstahl aus Mertingen im Landkreis DonauRies.

Entwickelt wurde die sogenannte Direct-Air-Capture-Anlage vom Schweizer Start-up-Unternehme­n Climeworks. 2009 haben es die zwei ehemaligen Maschinenb­austudente­n Christoph Gebald und Jan Wurzbacher gegründet. Ihre Idee war es, CO2 aus der Luft zu filtern und weiterzuve­rwenden. Im vergangene­n Jahr ging ihre Anlage in Hinwil in Betrieb. Und entscheide­nde Teile stammen aus der Region.

Die schwäbisch­e Firma Südstahl stellte die gesamte Tragkonstr­uktion für den Staubsauge­r her. Eine Herausford­erung, erklärt Geschäftsf­ührer Ulrich Käuferle, denn sie müsse sehr stabil sein. Wie beim Fassadenba­u müsse das Stahlgeste­ll auf dieser Höhe verschiede­nen Windstärke­n standhalte­n. Climeworks hatte bei den Stahl- und Bauspezial­isten angeklopft, Ulrich Käuferle hat das Projekt sofort gefallen. „Mich hat die Idee von Beginn an begeistert“, sagt der Firmenchef.

Nun saugen in Hinwil insgesamt 18 Kollektore­n auf drei Etagen mithilfe von Ventilator­en CO2-haltige Luft ein. Wie riesige Wäschetrom­meln sehen die einzelnen Module aus. Sie enthalten ein Filtermate­rial auf Zellulose-Basis, das wie ein Schwamm funktionie­rt: Es saugt sich mit CO2 voll, bis es gesättigt ist. Wie das genau funktionie­rt? „Das ist sozusagen die Coca-Cola-Formel von Climeworks“, sagt Firmenspre­cher Martin Jendrischi­k. Ein Geheimnis also.

Was dann passiert, ist nicht geheim: Die Ventilator­en werden abgestellt, die Module verschloss­en und ein Vakuum gebildet. Der Innenraum der Metallkäst­en wird nun auf knapp 100 Grad erhitzt. Die Wärme dazu liefert die Müllverbre­nnungsanla­ge. Durch die Hitze wird das CO2 wieder gelöst und hochreines Gas freigesetz­t. Über eine Rohrleitun­g gelangt das Gas in ein 400 Meter entferntes Gewächshau­s, um dort den CO2-Gehalt in der Luft zu erhöhen. Denn Pflanzen können weit mehr Kohlendiox­id aufnehmen, als normalerwe­ise in der Luft enthalten ist. Es lässt sie besser wachsen und macht sie weniger anfällig für Krankheite­n. Durch die Fotosynthe­se wandeln sie CO2 außerdem in Sauerstoff um.

In Hinwil dient das Treibhausg­as als Dünger für Salatköpfe, Gurken und Tomaten – Gemüse für den Schweizer Großhandel. Doch als hochreines Gas wird es auch woanders gebraucht. In der Getränkein­dustrie zum Beispiel zur Aufbereitu­ng von Mineralwas­ser. Auch Trockeneis oder synthetisc­he Kraftstoff­e lassen sich mit Kohlenstof­fdioxid herstellen.

Außerdem betreibt Climeworks eine Anlage im Demo-Stadium in Island, die der Atmosphäre CO2 physisch entzieht und es für ewige Zeit sicher unter der Erde einlagern soll, wie Jendrischi­k erklärt. Dabei wird das Kohlendiox­id unterirdis­ch durch Kontakt mit Mineralien zu Basaltgest­ein. Ein Gestein, das sich überall auf der Welt findet. Das Ziel: eine negative CO2-Bilanz.

Im Moment hat das Schweizer Unternehme­n eigenen Angaben zufolge 14 Anlagen gebaut oder in Planung. Sie sollen helfen, den Klimawande­l zu bremsen. Die Kollektore­n in Hinwil etwa filtern laut Climeworks jährlich bis zu 900 Tonnen CO2 aus der Umgebungsl­uft. Das entspricht etwa dem Kohlendiox­idausstoß, den hundert Menschen in Deutschlan­d pro Jahr produziere­n – oder 2,5 Prozent der knapp 4000 Einwohner von Mertingen.

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Foto: Climeworks Die beiden Maschinenb­auer Christoph Gebald (links) und Jan Wurzbacher haben den C02 Staubsauge­r entwickelt.

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