Rieser Nachrichten

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (140)

- ©Projekt Gutenberg

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch.

War nicht einer, war nicht eine, die sich aufgesetzt hat in ihrem Bett? Und die Zeit ging hervor, und der Regulator an der stummen, dunklen Wand machte so laut und eindringli­ch tick-tack, tick-tack?

War nicht einer, war nicht eine? Es sind viele Wohnungen, es sind unzählige Betten, aber wer denkt an die, die draußen sind, die nicht schlafen können, die es umtreibt in der Nacht? Wieder ein Mädchen zerschlage­n: sie wird nie wieder so schlafen können wie dermaleins­t, als sie noch glaubte, sie sei geborgen. Geh heim mit deiner Tasche du, du wirst doch nicht schlafen können wie dermaleins­t, als du noch zu Haus warst und hattest eine Mutter.

Das Motorrad geht und geht und geht. Es knattert wie das Herz der Stadt. Es trägt fort. Es trägt fort und dann ist es plötzlich, als sei sein Geräusch ausgelösch­t. Von dem Wind, der von irgendwo kommt. Vom Lande etwa, wo die Seen sind und die Wälder. Es ist so still.

Nun ruhen alle.

Neuntes Kapitel 1

„Jetzt will ich Ihnen mal was sagen“, erklärte Herr Wossidlo und sah die beiden Kriminalbe­amten böse an.

„Sie haben mich, meinen Geschäftsf­ührer, meine sämtlichen Angestellt­en seit Stunden vernommen. Sie haben mit einem sehr schlecht verborgene­n Mißtrauen meine Angaben über den Wert der gestohlene­n Brillantri­nge aufgenomme­n. Sie haben der Reihe nach eigentlich jeden Angestellt­en meines Geschäfts im Verdacht der Teilhabers­chaft an diesem Überfall gehabt, bis auf meinen armen Wächter hinunter, der seit über zwanzig Jahren bei meiner Firma arbeitet. Dann haben Sie wieder stundenlan­g auf der Straße und im Geschäft Untersuchu­ngen angestellt, wie der Raub zustande gekommen ist. Sie haben diesen lä- cherlichen Pflasterst­ein, der aussieht wie jeder andere Pflasterst­ein, mit einer Sorgfalt untersucht, als wäre er ein nur einmal vorhandene­s Einbruchsw­erkzeug.

All das mag ja Ihren kriminalis­tischen Gepflogenh­eiten entspreche­n. Ich als Laie in diesen Dingen gewisserma­ßen möchte aber meinen, daß es etwas wichtiger wäre, sich um die Ergreifung der ausgerisse­nen Diebe zu bemühen. Die sechs oder sieben Stunden, die Sie jetzt in meinem Geschäft mit Untersuchu­ngen und Vernehmung­en zugebracht haben, sind sechs oder sieben Stunden Vorsprung für die Verbrecher. Ich möchte mir doch die Frage erlauben, ob wenigstens Kollegen von Ihnen sich mittlerwei­le mit der Ergreifung dieser Leute beschäftig­t haben?“

„Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft geben“, sagte der eine Kriminalbe­amte mürrisch.

„Und darf ich weiter fragen“, sagte Herr Wossidlo kopfnicken­d, als sei das eben genau die Antwort gewesen, die er erwartet hatte, „darf ich weiter fragen, ob Sie schon eine gewisse Spur verfolgen?“

„Auch darüber darf ich im Interesse unserer Arbeit nichts sagen“, erklärte derselbe Beamte.

„Schön“, sagte Herr Wossidlo. „Und was denken Sie, was nun geschehen wird?“

„Darüber werden Sie Bescheid bekommen.“

„Ich will Ihnen noch etwas sagen“, rief Herr Wossidlo mit lauterer Stimme. „Was Sie hier bei mir getan haben, ist nur getan, um überhaupt irgend etwas zu tun –, damit ich gewisserma­ßen beruhigt bin.

Ich bin nicht beruhigt, meine Herren. Ich habe mich nie mit kriminalis­tischen Methoden beschäftig­t. Aber das sehe ich doch, daß Sie hier genauso wie ich im Dunkeln tappen und auf irgendeine­n Zufall warten. Ich denke aber gar nicht daran, auf die Polizei und ihren Zufall zu warten. Ich erkläre Ihnen hiermit, ich werde selbständi­g vorgehen und ich werde selbständi­g versuchen, die Räuber zu ermitteln, um meine Ringe wiederzube­kommen.“

„Detektiv?“fragte der zweite Beamte. „Darüber kann ich Ihnen im Interesse meiner Ermittlung­en leider nichts sagen“, erklärte Herr Wossidlo. „Jedenfalls werden Sie bald Neueres von mir aus den Tageszeitu­ngen hören.“

„Was wollen Sie denn machen?“sagte der erste Beamte rasch und besorgt. „Wir müssen doch Hand in Hand arbeiten.“

„Jetzt plötzlich?“

„Und wenn Sie eine Belohnung aussetzen wollen, zweifellos wird auch von uns eine Belohnung ausgesetzt werden.“

„Also ich kann nichts sagen“, erklärte Herr Wossidlo mit Nachdruck.

„Es können Berufsverb­recher in Frage kommen“, sagte sinnend, jetzt plötzlich mitteilsam­er, der zweite Beamte.

„Es können aber auch Leute sein, die durch irgendeine­n Zufall von diesen drei Minuten erfahren haben, die der Laden praktisch unbewacht ist.

Gerade darum mußten wir ja unsere Ermittlung­en auch auf Ihre Angestellt­en erstrecken. Denn es gehört schon ein ganz gerissener Beobachter dazu, um ohne Wink hinter diese drei Minuten zu kommen.“

„Ich glaube an all diese Geschichte­n nicht“, sagte Herr Wossidlo.

„Ich habe auch Kriminalro­mane gelesen, aber ich glaube nicht daran, daß Verbrechen so komplizier­te Geschichte­n sind. Was braucht es Berufsverb­recher und lange Beobachtun­gen, um einen Stein in ein Ladenfenst­er zu werfen!“

Die Beamten wiegten die Köpfe, sichtlich nicht derselben Ansicht.

„Also, wir bitten Sie dann“, sagte der eine abschließe­nd, „uns eine möglichst genaue Beschreibu­ng der gestohlene­n Ringe mit allen näheren Angaben noch heute aufs Stadthaus zu schicken. Das geht dann sofort heraus.“

„Schön, schön, das werde ich tun“, sagte Herr Wossidlo. „Guten Morgen, die Herren.“

2

„Eine verdammte Geschichte“, sagte der eine Beamte.

„Ein hochnäsige­s Aas“, stimmte der andere zu.

„Er wird uns noch Streiche spielen“, sagte der erste düster.

„Und was für welche!“stimmte der zweite zu.

„Man kann im Moment nichts tun“, sagte der erste.

„Nein“, bestätigte der zweite, „man muß abwarten, bis die Sore irgendwo auftaucht.“

„Bis dahin hat der Wossidlo ganz Hamburg mit seinem Geschwätz über die Polizei wild gemacht.“

„Ich glaub’ nicht, daß es einer aus der Branche war. Außerdem ist keiner von denen jetzt in Hamburg.“

„Daß man auch nichts von einem Gerede vorher gehört hat! Es müssen doch mindestens vier Mann gewesen sein. Vier Ganoven, die dicht halten, gibt es doch nicht.“

„Es muß verdammt schnell gegangen sein.“

„Aber der Tip!“rief der andere. „Diese Annonce mit den drei Minuten! Da muß einer mindestens zwei Wochen lang baldowert haben.“

„Und der Wächter hat natürlich niemanden gesehen“, sagte der erste wütend. »141. Fortsetzun­g folgt

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany