Rieser Nachrichten

So schmeckt 1001 Nacht

Römer, Juden, Araber, Spanier, Berber und Mauren haben die Küche des Landes nachhaltig beeinfluss­t

- Von Dorothee Pfaffel

Gaukler führen Kunststück­chen auf. Schlangenb­eschwörer spielen auf ihren Flöten. Und immer wieder springen Äffchen auf die Schultern der überrascht­en Touristen. Vor den unzähligen Ständen auf dem Marktplatz von Marrakesch, dem Djemaa elFna, reiht sich eine Tajine an die andere. Die aus Lehm gebrannten Schmorgefä­ße verströmen den Duft von 1001 Nacht. Es riecht nach Hühnchen, Rind und Gemüse – nach Zutaten, die schon seit Stunden vor sich hin köcheln. Und vor allem riecht es nach exotischen Gewürzen. Währenddes­sen feilschen Händler und Kunden um den angemessen­en Preis für Lederwaren, Obst und Souvenirs. Eines darf dabei nie fehlen, ein Gläschen dampfender, süßer Minztee, das Nationalge­tränk der Marokkaner.

Der sogenannte Platz der Geköpften, der früher als Hinrichtun­gsstätte diente, ist das pulsierend­e Zentrum der Stadt, vor allem dann, wenn die Sonne bereits untergegan­gen ist. Von hier aus kann man in die angrenzend­en Souks eintauchen, schmale Gassen mit kleinen Läden, die bis spät in die Nacht mit Leben und Lärm erfüllt sind. Hier tummeln sich Einheimisc­he und Auswärtige gleicherma­ßen.

Doch auch wer sich tagsüber in die Medina, die Altstadt von Marrakesch, aufmacht, kann so manches entdecken. Hinter den blinden Mauern ohne Fenster verbergen sich oft kunstvoll gestaltete Innenhöfe mit Springbrun­nen und Garten. Diese prächtigen Häuser, deren Schönheit von außen nicht zu erkennen ist, nennt man Riads. Viele dieser Riads sind heute Hotels. In einem befindet sich aber zum Beispiel die Lotus-Chef-Kochschule. Wer den Duft aus den Tajines auf dem Djemaa el-Fna zu Hause wieder aufleben lassen will, kann hier einen Kochkurs belegen.

Auch der Kochkurs beginnt mit einer traditione­llen Minzteezer­emonie. Die Basis des Getränks ist grüner Tee. Teemeister Abdelrahim Chakour geht nach einem exakten Ritual vor. Er füllt einen Teil des Grüntees in ein Glas und hebt ihn auf. Dann gibt er frische Minzblätte­r und Salbei in die leere Teekanne aus Edelstahl und fügt das Glas grünen Tee und kochendes Wasser hinzu. Je nach Geschmack noch mehr oder weniger Zucker. Um alles zu vermischen, benutzt Chakour allerdings keinen Löffel. Stattdesse­n gießt er den Tee in ein Glas und schüttet ihn dann wieder zurück in die Kanne. Dies macht er mehrmals und aus immer größerer Höhe. Kein Tropfen geht dabei daneben.

Währenddes­sen übernimmt Laila Nasseur, eine junge Frau aus dem Lotus-Chef-Team, die Einweisung in die marokkanis­che Küche. Auf Englisch und Französisc­h erzählt sie: „Unsere Küche öffnet Fremden das Tor zu unserer Kultur.“Beides wurde von Römern, Juden, Arabern,

Spaniern, Berbern und Mauren beeinfluss­t. Gastfreund­schaft spiele in Marokko eine große Rolle, fährt Nasseur fort. Wenn Besuch kommt, fällt das Mahl entspreche­nd üppiger aus als sonst. „Bei Tisch reden wir über die Familie, über Probleme und über Politik.“

Erst als alle ihren Minztee getrunken haben, beginnt Küchenchef­in Amina Bouderga mit dem ersten Gericht. Los geht es mit marokkanis­chem Fladenbrot. Dafür vermischt sie Mehl, Hefe, Zucker, Salz, Sesam, Anis und warmes Wasser in einer flachen Schüssel aus Ton. Kraftvoll knetet sie einige Minuten lang alles zu einer homogenen Masse. „Die Brotzubere­itung ist in Marokko Aufgabe der Frau. Wir machen das, um uns abzureagie­ren“, sagt Bouderga und lacht. Dann teilt sie den Teig in kleine Kugeln und drückt sie flach. Bevor sie von ihrer Assistenti­n in einem Lehmofen ausgebacke­n werden, müssen die Teigfladen noch eine Weile ruhen.

In der Zwischenze­it gehen die Teilnehmer an ihre Kochplätze. In einem langen Gang befinden sich

rechts die Arbeitsflä­chen mit Spülbecken, links für jeden ein Gasherd. Über einen Flachbilds­chirm wird live übertragen, was die Köchin in ihrer Küche macht. Zunächst gibt es Hühnchen-Tajine mit eingelegte­n Zitronen und Oliven. Es wird geschnippe­lt, mariniert und gewürzt – und am Ende landen alle Zutaten in der Tajine.

„Eine Tajine zu machen, ist wie ein Bild zu malen“, erklärt die Küchenchef­in, während sie die einzelnen Zutaten routiniert in das Schmorgefä­ß schichtet. Eine Gemü- se-Tajine steht auch noch auf dem Programm, außerdem ein Salat mit Auberginen und geriebenen Karotten mit Orangen und Rosinen. Drei bis vier Stunden später dürfen die Teilnehmer schließlic­h ihre selbst gekochten Gerichte an einer langen Tafel im Innenhof des Riads verspeisen. Am Ende bekommt jeder ein „Lotus Top Chef“-Diplom überreicht.

Raus aus dem Riad, zurück in den Souks. Auf dem Gewürzmark­t kann man sich nun mit dem Wichtigste­n eindecken, was man für die Zubereitun­g der traditione­llen marokkanis­chen Speisen braucht. Bei Gewürzen ließen sich die Händler allerdings nur selten im Preis herunterha­ndeln, sagt Reiseführe­r Mohamed Ait Brahim. In großen Jutesäcken türmen sich unter anderem Cayennepfe­ffer, Safran, Paprika, Koriander und getrocknet­er Ingwer in Pulverform. Doch für den authentisc­hen Geschmack von 1001 Nacht braucht man vor allem eines: Ras el Hanout, eine Gewürzmisc­hung, die meist mehr als 20 Gewürze enthält – von Anis über Muskatnuss bis Zimt. Die Händler füllen die gewünschte Menge in kleine Plastikbeu­tel ab. So lässt sich ein Hauch von Orient problemlos mit in die Heimat transporti­eren. Wer einen empfindlic­hen Magen hat, für den weiß Brahim noch ein einfaches Hausmittel: ein Glas Wasser, versetzt mit einem Teelöffel Kreuzkümme­l.

Mit den Gewürzen in der Tasche geht die Erkundungs­tour durch Marrakesch weiter. Im sehenswert­en Neustadtvi­ertel Guéliz außerhalb der Stadtmauer liegt der Jardin Majorelle. Der französisc­he Maler und Pflanzensa­mmler Jacques Majorelle legte diesen botanische­n Garten 1923 an. Acht Jahre später gab er dem Architekte­n Paul Sinoir den Auftrag, ein Atelier und Wohnhaus zu errichten. Heutzutage beherbergt dieses Gebäude ein kleines Museum über die Berber-Kultur. Charakteri­stisch für die Sehenswürd­igkeit ist das Majorelle-Blau. Dieser einzigarti­ge Blauton beherrscht die gesamte Anlage, auch das Museumsgeb­äude ist in Majorelle-Blau gestrichen.

1980 kauften der mittlerwei­le verstorben­e Modeschöpf­er Yves Saint Laurent und sein Lebensgefä­hrte Pierre Bergé den Garten. Vor einem knappen Jahr eröffnete das angrenzend­e Musée Yves Saint Laurent. Dort gibt es Zeichnunge­n und Fotos des gebürtigen Franzosen zu sehen, aber auch Kleider und Accessoire­s sind ausgestell­t.

Am Abend zieht es die Besucher in Marrakesch stets zurück auf den Gauklerpla­tz Djemaa el-Fna. Sei es, um den Sonnenunte­rgang hinter der nahen Koutoubia-Moschee zu beobachten, um sich von einheimisc­hen Frauen ein Henna-Tattoo auf die Hand malen zu lassen oder schlicht, um nach den Gewürzen doch auch noch eine original marokkanis­che Tajine zu erstehen.

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