Elf Mal ohne Fahrschein unterwegs
Ein 20-jähriger Schwarzfahrer muss sich vor dem Nördlinger Amtsgericht verantworten
Nördlingen Es war einer dieser Fälle, wo es nicht um Schuld und Sühne ging, sondern der Hintergrund in den Vordergrund rückte: Angeklagt war ein heute 20-jähriger Mann aus dem Ries, weil er innerhalb des Landkreises elf Mal von Schaffnern kontrolliert und ohne Fahrkarte angetroffen wurde. Zur ersten Verhandlung vor dem Amtsgericht Nördlingen erschien er nicht. Zum erneut angesetzten Termin unter dem Vorsitz von Richter Andreas Krug musste er von der Polizei vorgeführt werden – er hatte die Vorladung weggesperrt, während er einen Jugendarrest in anderer Sache verbrachte und vergessen, sie rechtzeitig hervorzuholen.
Auch sonst zeichnete er sich durch völlige Antriebslosigkeit ab: Mit der Ableistung von Sozialstunden, die ihm wegen eines Drogenvergehens auferlegt worden waren, fängt er an, bleibt dann aber weg, setzt sie anderswo fort, bricht wieder ab, muss daraufhin eine Woche „Ungehorsamkeits-Arrest“in der Justizvollzugsanstalt Landshut absitzen. Genauso, wie er die erste Lehre abbrach und die zweite gar nicht erst anfing, weil er die Papiere nicht zusammen brachte. Friedrich Breitling von der Jugend-Gerichtshilfe zeichnet ein Bild, das einiges erklärt: Die Eltern werden geschieden, als er drei Jahre alt war, der Kontakt mit dem Vater bricht ab, zur Mutter hat er ein gestörtes Verhältnis, fliegt immer wieder von Zuhause raus, sitzt quasi auf der Straße, hat 8000 Euro Schulden. Breitling beschreibt ihn im Lebenslauf als altersgerecht heranwachsend, doch wurde bei ihm zwischenzeitlich ADHS festgestellt und behandelt; er setzt die Medikamente ab, weil sie ihn zu sehr verändern.
Im Zusammenhang mit ADHS steht ein oppositionelles Verhalten, das sein Sozialverhalten und seine ganze Lebensführung stört, weil er grundsätzlich das Gegenteil von dem tut, was man ihm sagt. Das Bild, das der 20-Jährige in der Anklagebank abgibt, passt zu alledem: Er sitzt aufrecht da, zeigt keine Regung, gibt nur knappe, ratlose Antworten, verzichtet auf das letzte Wort, das ihm zusteht, lässt die Verhandlung eben über sich ergehen. Es ist überdeutlich, dass er ohne fremde Hilfe nicht aus der Lethargie herauskommt. Der Jugend-Gerichtshelfer attestiert ihm, dass er sich immer wieder zu Impulsen aufrafft, diese aber nie bis zum Ziel durchhält. Die Jugendgerichtshilfe könne in solch einem Alter keine Betreuungsangebote mehr stellen, erklärt Friedrich Breitling.
„Was kann ich jetzt machen?“fragt Richter Krug und meint damit nicht die Strafe, sondern fruchtbares Einwirken auf den jungen Mann, sein Leben in den Griff zu bekommen und seinen Alltag zu strukturieren. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Wochen Jugendarrest gefordert, doch das hält der Richter nicht für zielführend, positive Änderungen der Lebensweise herbei zu führen. Schließlich erlegt er dem Angeklagten 120 Stunden gemeinnützige Arbeit auf. „Das ist ganz schön viel, aber die Stunden sollen dazu beitragen, einen strukturierten Tagesablauf zu schaffen“, so der Richter. Vielleicht erwachse daraus dann auch die Fähigkeit, erfolgreiche Bewerbungen zu stellen. Begleitend muss der junge Mann Gespräche beim Kreisjugendamt zur Strukturierung des Tagesablaufs sowie mit der Schuldnerberatung führen. „Sonst geht es mit Ihnen den Bach hinunter“, ermahnt Krug ihn.