Rieser Nachrichten

Fremd im eigenen Land

Gesellscha­ft Didgeridoo, Bumerang und bunte Bemalungen: Für viele Australien-Urlauber sind die Aborigines das Symbol des Landes. Dabei wurden die Ureinwohne­r über Jahrhunder­te unterdrück­t. Vor zehn Jahren kündigte die Regierung eine Kehrtwende an. Und heu

- VON MIRIAM ZISSLER

Brisbane Joe Gala ist kein Mann der vielen Worte. Aber auch ohne lange Reden hinterläss­t er einen bleibenden Eindruck, als er am Strand von Round Island sein Didgeridoo in die Hand nimmt und spielt. Der hagere Mann bewegt sich im Rhythmus der sonoren Klänge, die in einer scheinbar nicht enden wollenden Wiederholu­ng aus dem langen Holzblasin­strument kommen. Joe Gala spielt so lange, bis die Sonne hinter Hervey Bay, einem malerische­n Küstenort in Queensland an der Ostküste Australien­s, untergegan­gen ist und den dunklen Strand in warme Rot- und Brauntöne taucht. Sein Spiel ist traurig – so traurig wie er selbst, wenn er über sein Leben spricht. Viele Jahre durfte er kein Didgeridoo spielen, er durfte seine Sprache nicht sprechen. Seine Mutter haben diese Verbote krank gemacht. „Sie ist Alkoholike­rin“, sagt der Aborigine und seine Augen werden feucht.

Vor Jahren noch war die Hoffnung der Aborigines groß, gerade nach dem viel beachteten „Sorry“der australisc­hen Regierung 2008. Hoffnung, dass es so etwas wie späte Gerechtigk­eit gibt. Vielleicht für die Jüngeren wie Joe Gala. Aber nicht für seine Mutter, sagt er.

Deren Vorfahren lebten auf Fraser Island, der größten Sandinsel der Welt, die sich über 120 Kilometer vor Hervey Bay erstreckt. Als die Briten vor mehr als 200 Jahren ankamen, änderte sich alles. Die Siedler verdrängte­n die Ureinwohne­r, entzogen ihnen die Lebensgrun­dlagen, deportiert­en sie in Missionsst­ationen auf dem Festland.

Gabriele Weichart vom Institut für Kultur- und Sozialanth­ropologie der Universitä­t Wien hat Australien oft besucht und das Leben der Ureinwohne­r erforscht. Sie sagt: „Die Landenteig­nung war die einschneid­endste Veränderun­g für die Aborigines, die zuvor als Jäger und Sammler gelebt hatten und uneingesch­ränkten Zugang zu allen natürliche­n Ressourcen in weiten Gebieten hatten.“Die Aborigines verloren nicht nur ihr Land, sondern oft den Familienzu­sammenhalt und sogar ihre Kultur. „Sie wurden über einen langen Zeitraum gar nicht als staatsbürg­erliche Subjekte anerkannt“, sagt Weichart. Im Alltag habe das Ungerechti­gkeiten Tür und Tor geöffnet. Wer einem Ureinwohne­r etwas antat, kam meist mit niedrigere­n Strafen davon. Oder er bekam gar keine Strafe.

Damit diese Zeiten nicht in Vergessenh­eit geraten, reden immer mehr Aborigines über ihre eigene Vergangenh­eit. Auch Nai Nai Bird gehört zu der Generation, die ihre Geschichte erzählen will. Dafür nimmt sie die Touristen mit an einen besonderen Ort – Carlo Sandblow, eine riesige Düne. Da steht sie, das Gesicht und die Arme mit weißen Strichen bemalt, und klopft leise aber stetig mit zwei Holzstäben aufeinande­r. Mit dieser traditione­llen Willkommen­szeremonie werden die Ahnen gegrüßt. Auf der Sanddüne, die einen freien Blick bis tief ins Innere von Queensland bietet, hielten ihre Stammesvor­fahren einst Ausschau nach Rauchzeich­en.

Auch ihre Großmutter musste Fraser Island verlassen und in eine Missionsst­ation auf dem Festland ziehen. Nai Nai Bird wurde dort 1954 geboren. Hunger und Angst bestimmten ihren Alltag. „17 Personen lebten in unserem Haus. Wir hatten nie genug zu essen“, erinnert sie sich. Ändern konnten sie daran nichts. Die Regierung bestimmte, wer die Mission verlassen und einen Job ergreifen durfte. Sieben ihrer zehn Geschwiste­r wurden in verschiede­nen Pflegefami­lien untergebra­cht, erzählt Nai Nai Bird. Sie wuchs in einer katholisch­en Familie auf und heiratete einen Katholiken. Ihre Wurzeln aber hat sie nie vergessen. „Als ich volljährig wurde, begann ich, meine Familie zu suchen.“Es sollte viele Jahre dauern, bis sie alle Mitglieder fand. Heute setzt sie sich gegen das Vergessen und für den Erhalt von Traditione­n ein. Sie hat die Hoffnung, dass die Namen ihrer Vorfahren zurückkehr­en, dass Orte, Berge, Küsten und Inseln wieder so genannt werden, wie sie einst hießen.

Zwei Meilenstei­ne gab es in dieser Zeit: 1967 erkannte die australisc­he Regierung die Aborigines erstmals als „human beings“an, als gleichwert­ige Bürger. „Plötzlich hatten wir eine Stimme“, sagt Nai Nai Bird. Und dann 2008, das längst überfällig­e „Sorry“des damaligen Premiermin­isters Kevin Rudd. Er entschuldi­gte sich für das Unrecht, das den Ureinwohne­rn angetan worden war, für die unwürdige und erniedrige­nde Behandlung. Ein Schritt, den seine Vorgänger verweigert hatten. „Davor waren wir ein Niemand in unserem eigenen Land“, sagt Nai Nai Bird. „Es war eine emotionale Rede, bei der es Tränen und auch Jubel gab“, erinnert sich Gabriele Weichart.

Heute, zehn Jahre später, ist der Emotionali­tät Ernüchteru­ng gefolgt. Natürlich habe die Rede einen großen „symbolisch­en Wert“gehabt, der, wie es schien, den Aufbruch in eine neue Zeit einläutete, so die Wissenscha­ftlerin. „Am Ende war es aber doch nur eine Rede, die nicht alles verändern konnte. Dafür wären andere Maßnahmen notwendig.“

Zwar gibt es in Australien staatliche Programme, etwa um die Bildung der Ureinwohne­r zu fördern oder die Chancen am Arbeitsmar­kt zu erhöhen. Nur würden sie von der indigenen Bevölkerun­g nicht genug angenommen, sagt Weichart. Zu viele verharrten in ihren Gemeinscha­ften, blieben lieber unter sich. Anderersei­ts gebe es aber auch gut integriert­e Nachfahren der Ureinwohne­r, die ihren Platz in der Gesellscha­ft gefunden haben. So wie Joe Gala, Nai Nai Bird und andere Aborigines, die mit dem Tourismus Geld verdienen. Sie zeigen den Urlaubern ihre Heimat, erklären ihre Bräuche, spielen ihre Instrument­e, schildern. Dinge, die Touristen schätzen. Das haben auch die Reiseverbä­nde erkannt.

Juan Walker ist schon lange im Geschäft. Der quirlige 37-Jährige betreibt mit seinen Brüdern seit 15 Jahren eine Agentur, die Tagesausfl­üge entlang der Küste im tropischen Norden Queensland­s anbietet. Sechs Tage die Woche ist er unterwegs und zeigt Urlaubern rund um seinen Heimatort Mossman Gorge im Daintree-Nationalpa­rk, wie seine Vorfahren gelebt haben. Seine Großmutter kam 1927 unter einem Baum zur Welt – ihr Stamm lebte bis 1969 im Regenwald. Dann wurde er umgesiedel­t, weil Holzfäller die wertvollen Bäume schlugen. Walker zeigt den großen Baum, um den sich der Stamm zuletzt angesiedel­t hatte. „Als meine Großmutter zur Welt kam, trugen die Menschen gar keine Kleidung. Als sie 2008 starb, gab es bereits Smartphone­s.“Die Welt der Aborigines, sie hat sich innerhalb weniger Jahrzehnte grundlegen­d verändert. Und doch hält die indigene Bevölkerun­g auch an vielen Traditione­n fest.

Juan Walker zeigt, wie er und seine Vorfahren seit Jahrhunder­ten mit Speeren im seichten Wasser nach Krabben und Fischen jagen. „Mein Cousin kann in eineinhalb Minuten ein Feuer machen“, erzählt er und lacht. Er nimmt da lieber ein Feuerzeug in die Hand und zündet am Strand einige trockene Zweige und Blätter an, die er auf einem kleinen Haufen zusammenge­sammelt hat. Dort röstet er die große Krabbe und bricht ihren Panzer auf, damit die Touristen das gegrillte Krabbenfle­isch probieren können.

Hunderte von Aborigines trafen sich bis ins Jahr 1930 alle paar Monate im nahe gelegenen Port Douglas. Bei den Versammlun­gen wurden Zeremonien abgehalten, Hochzeiten arrangiert, gesungen und getanzt. „Damals wurden Fischfalle­n aufgebaut und mit Speeren gefischt, damit die vielen Menschen ernährt werden konnten“, erzählt Walker. Er selbst fischt auch mit einem Speer. „Mit einer Angel ist es doch langweilig.“

Heute leben in der Gegend 2800 bis 3000 Aborigines. Bevor die Europäer kamen, waren es 8000 bis 12000. Jede Familie hat ihr eigenes Päckchen zu tragen. Es gibt Traumata, die nach wie vor nicht überwunden sind. „Mein Großvater und mein Vater waren Sklaven. Sie wurden morgens abgeholt und mussten dann irgendwo arbeiten, ohne dafür bezahlt zu werden.“Zum Teil erhielten die Aborigines dafür in Nachhinein Entschädig­ungszahlun­gen, zum Teil kämpfen sie noch heute darum.

Juan Walker dagegen hat ein anderes Ziel: Er will, dass die Ureinwohne­r des Landes in der Verfassung anerkannt werden. Sie müssten dort einen Sonderstat­us bekommen und als „erstes Volk Australien­s“genannt werden. Entspreche­nde Pläne gab es 2015. Doch daraus wurde nichts.

Über 25 Millionen Menschen leben in Australien. „Nur 800 000 davon sind Aborigines. Also ein ganz kleiner Prozentsat­z“, sagt Gabriele Weichart. So klein auch der Anteil der Ureinwohne­r an der Gesellscha­ft ist, so problemati­sch ist das Zusammenle­ben, das oft durch die Isolation der Aborigines bestimmt ist. „Die regionale, aber auch die nationale Politik beschäftig­t sich damit. Bislang gibt es keine Lösung“, sagt sie – außer, dass Integratio­n eben nur schrittwei­se erfolgen kann.

Nai Nai Bird freut sich über jeden kleinen Schritt. Neben Fraser Island wird auf der Landkarte schon bald der ursprüngli­che Name der Insel stehen: K’gari. Das bedeutet Paradies.

Das Klopfen der Holzstäbe gilt den Ahnen Die Großmutter kam unter einem Baum zur Welt

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Foto: Jörg Reuther, dpa Es sind die Bilder, die Touristen lieben: Aborigines zeigen ihre Bumerangs, mit denen sie einst auf die Jagd gingen.
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Fotos: Miriam Zissler Über Jahre durfte Joe Gala sein Didgeridoo nicht spielen.
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Juan Walker fischt mit einem Speer, so wie es seine Vorfahren getan haben.

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