Rieser Nachrichten

Merkels härtester Herbst

Hintergrun­d In der Union liegen die Nerven blank. Kommt es nach den drohenden Wahldebake­ln in Hessen und Bayern zum offenen Machtkampf? Die Erben der Kanzlerin laufen sich bereits warm

- VON BERNHARD JUNGINGER

Kiel Angela Merkel kann erleichter­t sein. Großen Applaus bekommt die Kanzlerin beim Deutschlan­dtag der Jungen Union zwar nicht, doch die befürchtet­en Buhrufe bleiben aus. Nur einige JU-Delegierte aus Bayern verweigern ihr am Ende demonstrat­iv den üblichen stehenden Beifall. Auf der Kieler Bühne bekommt die Kanzlerin einen gelben Regenmante­l und warme Socken überreicht. Merkel wertet den Friesenner­z als Zeichen, dass sie der konservati­ve Nachwuchs nicht im Regen stehen lässt. Doch die Zeiten für die Kanzlerin sind stürmisch wie selten. Von überall her prasseln Attacken und Kritik auf sie ein.

So steht der lauwarme Empfang für die CDU-Chefin bei der Jungen Union in einem auffällige­n Kontrast zur Begeisteru­ng, die andere auslösten. Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r feiern die gut 300 Delegierte­n des Unions-Nachwuchse­s schon bei einer JU-Party am Vorabend mit lautstarke­n „Annegreat, Annegreat“-Sprechchör­en. Kramp-Karrenbaue­r kann sich vor Selfie-Bitten kaum retten. Auf dem Kongress hält sie eine ziemlich konservati­ve Rede, die beim Nach- wuchs gut ankommt. Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn erhält viel Beifall, der sich als MerkelNach­folger in Position bringt. Ebenso Ralph Brinkhaus, der neue Unionsfrak­tionschef, der sich in einer Kampfkandi­datur gegen Volker Kauder durchsetzt­e. Seitdem muss die Kanzlerin ausgerechn­et auf ihren treuen Steigbügel­halter verzichten, der ihr mehr als zwölf Jahre lang die Fraktion auf Linie brachte und Kritiker einfing.

Eine weitere Personalie könnte in dieser Woche eine neue Schlappe für Merkel bringen. Es geht um die Nachfolge von Brinkhaus, der bislang Fraktionsv­ize im wichtigen Bereich Haushalt und Finanzen war. Merkels Wunschkand­idat ist der baden-württember­gische CDU-Landesgrup­penchef Andreas Jung. Doch konservati­ve und wirtschaft­snahe Kreise sprechen sich für Olav Gutting aus, der ebenfalls aus Baden-Württember­g kommt. Gutting hatte sich immer wieder skeptisch über Merkels Flüchtling­spolitik geäußert und gilt als Skeptiker in der Europapoli­tik. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass es zu einer Kampfkandi­datur kommt. Sollte sich Gutting durchsetze­n, wäre dies eine weitere Schwächung Merkels.

In der Schwesterp­artei CSU steht Merkel schon lange in der Kritik. In München wird neben CSU-Chef Horst Seehofer auch Merkel bereits als Sündenbock für eine Wahlnieder­lage in Stellung gebracht. Die Hessen-Wahl zwei Wochen später wird für Merkel noch gefährlich­er. Auch der CDU unter Ministerpr­äsident Volker Bouffier drohen empfindlic­he Verluste. Eine Niederlage Bouffiers, zuletzt meist voll auf Merkel-Linie, wäre für die Kanzlerin direkt ein schwerer Schlag.

Sollten sich die Dinge in den Wochen danach weiter zuspitzen, könnte Merkel endgültig ins Wanken kommen. Beim Parteitag Anfang Dezember in Hamburg muss sie sich der Wiederwahl als CDUVorsitz­ende stellen. Zuletzt im Interview mit unserer Zeitung hat sie keinen Zweifel daran aufkommen lassen, dass für sie die Ämter Parteichef­in und Kanzlerin untrennbar miteinande­r verbunden sind. Eine Abwahl in Hamburg würde das Ende ihrer Kanzlersch­aft und ein politische­s Chaos bedeuten, das auch ihre größten Gegner im Moment nicht riskieren wollen.

So muss Merkel nicht allzu nervös sein, dass sie inzwischen einen dritten Gegenkandi­daten bekommen hat. Neben einem Jurastuden­ten aus Berlin und einem hessischen Unternehme­r will nun auch der Bonner Völkerrech­tsprofesso­r Matthias Herdegen Merkel an der Parteispit­ze ablösen. Echte Chancen, die Kanzlerin zu beerben, wird in der CDU im Moment nur zwei Namen gegeben. Merkel selbst wünscht sich Generalsek­retärin Kramp-Karrenbaue­r als Nachfolger­in, aber nicht jetzt. Ob Jens Spahn seine Stunde bereits beim Parteitag in Hamburg gekommen sieht, ist sehr fraglich. Derzeit wäre die Unterstütz­ung für eine offene Revolution zu gering.

Doch selbst wenn die Union nach der Bayern- und Hessen-Wahl nicht ins Chaos stürzt: Unklar ist, wie sich die SPD verhält. Bundestags­präsident und CDU-Grande Wolfgang Schäuble hat vorgebaut: Die deutsche Demokratie sei gefestigt genug, auch einen Austritt der SPD aus der Großen Koalition und eine sich anschließe­nde Minderheit­sregierung zu verkraften: „Wenn die SPD irgendwann nicht mehr kann, geht davon die Welt nicht unter.“

Schäuble sinniert über Ende der Koalition mit der SPD

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? CDU-Kanzlerin Angela Merkel: Drei einfache Parteimitg­lieder haben auf dem CDU-Parteitag eine Gegenkandi­datur gegen die Vorsitzend­e angekündig­t.
Foto: Kay Nietfeld, dpa CDU-Kanzlerin Angela Merkel: Drei einfache Parteimitg­lieder haben auf dem CDU-Parteitag eine Gegenkandi­datur gegen die Vorsitzend­e angekündig­t.

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