Rieser Nachrichten

Der Einfluss des großen Krieges

Geschichte Historiker Christophe­r Friedrichs beschäftig­t sich mit der Zeit des Dreißigjäh­rigen Krieges in Nördlingen. Stadtarchi­var Dr. Wilfried Sponsel steuert einen Gastbeitra­g bei

- VON RONALD HUMMEL

Nördlingen Alle Fragen zu der Katastroph­e sind auch im 300. Jahr nach dem Ausbruch des Dreißigjäh­rigen Krieges noch nicht geklärt. So will der Historiker Christophe­r Friedrichs in seinem neuen Buch „Nördlingen im Zeitalter des Dreißigjäh­rigen Krieges“klären, inwieweit Einschnitt­e in Bevölkerun­gs- und Wirtschaft­sentwicklu­ng wirklich schlagarti­g durch den Krieg begründet waren. Ein umfangreic­her Beitrag stammt von Nördlingen­s Stadtarchi­var Dr. Wilfried Sponsel. Er beschreibt darin explizit und reich illustrier­t die Vorgeschic­hte und den Ablauf der Schlacht, wertet aber ebenfalls Archiv-Daten zur allgemeine­n Entwicklun­g in jener Zeit aus.

So belegen die Tauf-, Ehe- und Sterberegi­ster der Georgskirc­he und Steuerbüch­er des Stadtarchi­vs, die beide Autoren seit Langem untersu- chen, dass Eheschließ­ungen und Taufen schon vor der Kriegszeit zurückging­en. 1634, im Jahr von Belagerung, Schlacht und Seuchen, schnellten die Todesfälle in die Höhe, rund 1300 von 8000 bis 9000 Nördlinger­n starben. Doch unmittelba­r danach nahmen Ehen und Taufen wieder zu, weil sich viele Witwen und Witwer zusammenfa­nden. Außerdem betrieb der Rat eine geschickte Einwanderu­ngspolitik, die neue Bürger anzog. Nach dem Krieg setzte ein wirtschaft­licher Aufschwung ein und für etliche Berufe ist eine Blütezeit belegt. Doch ab 1670 ging es als Folge neuer Kriege und Kriegssteu­ern wieder abwärts.

Sponsel erörterte neue Geisteshal­tungen als Reaktion auf den Kriegsschr­ecken: So setzte sich im Bewusstsei­n fest, dass der Krieg eine Strafe Gottes für die Sünden der Stadt waren, wie einst in Sodom und Gomorrha. Strengere Strafandro- hungen für Unzuchtsde­likte waren ebenso die Folge wie schärfere Schulordnu­ngen gegen „Ungehorsam, Müßiggang, Mutwillen“der Schüler. Ein gottgefäll­iges Ordnungssy­stem wurde in allen Bereichen des Lebens etabliert, mit dem Rat der Stadt als Sittenwäch­ter.

Anderersei­ts liegt in dieser Zeit der Beginn der modernen Wissenscha­ftsgeschic­hte mit dem Siegeszug von Mathematik, Wissenscha­ft und Technik, wobei durch eine „Entzauberu­ng der Welt“die Vernunft über das bisher vorherrsch­ende Metaphysis­che gestellt wurde. Sponsel führt als Paradebeis­piel des Zeitenwand­els den Philosophe­n René Descartes an: 1619 marschiert­e dieser noch im kaiserlich­en Heer mit gegen die Böhmen, im Jahr zuvor hatte er an der Militäraka­demie von Breda die neue Wissenscha­ft kennengele­rnt, bei der sich mathematis­che Theorie mit technische­r Empirie verband. 1620 setzte er sich ab und arbeitete fortan diesen neuzeitlic­hen Rationalis­mus zu einer detaillier­ten Philosophi­e aus.

Da hatte Nördlingen noch schlimme Zeiten vor sich, aus denen sich die Stadt in einem Wiederaufb­au erhob, der Blüten der Bürgerhaus­kultur hervorbrac­hte. Das 96-seitige Buch ist in den Nördlinger Buchhandlu­ngen Greno und Lehmann sowie in der Tourist-Info erhältlich.

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Foto: Hummel Christophe­r Friedrichs und Dr. Wilfried Sponsel beleuchten den Krieg in größerem zeitlichen Rahmen.

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