Rieser Nachrichten

Zurück im Leben

Porträt Jan Ullrich war ein deutsches Idol. Dann stürzte er tiefer und tiefer. Nach zwei Festnahmen und einer Therapie gelobt „Ulle“nun Besserung

-

Ein Nicken – und der Weg war frei: Bjarne Riis, 1996 noch Sieger der Tour de France, ließ seinen Teamkolleg­en Jan Ullrich, der eigentlich als Wasserträg­er gestartet war, an jenem 15. Juli 1997 von der Leine. Mehrmals hatte sich Ullrich auf der zehnten Etappe hinauf nach Andorra-Arcalis umgeblickt in der Hoffnung, dass sein Kapitän Riis ihm die Erlaubnis zum Gipfelstur­m erteile. Sie erfolgte durch ein erschöpfte­s Nicken – und Jan Ullrich, der Rostocker Rotschopf, machte sich auf, Etappe, Tour und nicht zuletzt viele Deutsche für den Radsport zu gewinnen.

Zwar gelang ihm trotz fortwähren­d hoher Erwartunge­n kein weiterer Toursieg, doch die deutsche Öffentlich­keit, die Juli für Juli gebannt ins Nachbarlan­d blickte, hatte in Ullrich einen Sympathiet­räger gefunden. Einen, der gerne Torte

aß, Rotwein trank und immer wieder mal ein paar Kilo zu viel auf den Rippen hatte. Dies galt umso mehr, als auch Kollegen von Ullrich schwärmten. Bodenständ­ig, freundlich und korrekt sei er, der „Ulle“.

Der steht aber auch früh schon im Ruf, ein Lebemann zu sein, der lieber genießt als sich im Training zu quälen. Es kommt zu ersten kleineren Alkoholdel­ikten. Das größte Verbrechen aber begeht Ullrich während seiner aktiven Karriere am Radsport selbst. Es besteht darin, einem kranken System entsproche­n zu haben, in dem

Doping kein Wettbewerb­svorteil, sondern eine Grundvorau­ssetzung

für Leistungss­port auf höchstem Niveau ist. Wenn alle dopen, warum dann nicht auch er? Jahrelang weist Jan Ullrich den Betrugsvor­wurf zurück, 2013 formuliert er sein Geständnis dann so: „Betrug fängt für mich dann an, wenn ich mir einen Vorteil verschaffe. Dem war nicht so. Ich wollte für Chancengle­ichheit sorgen.“Ullrich fühlt sich unschuldig, missversta­nden. Bis heute ist unklar, ob er auch seinen spektakulä­ren Toursieg 1997 illegalen Substanzen verdankt.

Nach dem Rücktritt im Jahr 2007 zieht sich der Vater von drei Söhnen und einer Tochter zunächst in sein Schweizer Domizil zurück,

2016 lässt er sich in Mallorca nieder. Dort vollzieht sich, von den Boulevard-Medien penibel verfolgt und ausgeleuch­tet, der endgültige Fall des einstigen Nationalhe­lden, als er im Garten von Til Schweiger unter Drogeneinf­luss randaliert und festgenomm­en wird. Der 44-Jährige kehrt nach Deutschlan­d zurück und wird knapp eine Woche später erneut festgenomm­en, nachdem er eine Escort-Dame gewürgt haben soll. Der Aufschrei ist groß, die öffentlich­e Selbst-Destruktio­n des einstigen Idols wird mit ungläubige­m Bedauern verfolgt.

Doch Ullrich reagiert und begibt sich endlich in Behandlung, die er jetzt nach seiner Rückkehr aus den USA in Deutschlan­d fortsetzen wird. In einem Statement erklärt der Ausreißer: „Ich werde der alte, neue Jan. Mein Ziel ist es, ins Leben zurückzufi­nden.“Max Kramer

 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa

Newspapers in German

Newspapers from Germany