Rieser Nachrichten

Munition für die Kohle-Gegner

Klimaschut­z Der Weltklimar­at warnt, dass die Folgen der Erderwärmu­ng drastische­r sind als bislang angenommen. Erhöht der Bericht den Druck auf Deutschlan­d, schneller als geplant aus der klimaschäd­lichen Braunkohle auszusteig­en?

- VON MARTIN FERBER

Berlin Es ist das Ende einer Ära. Jahrhunder­telang wurde im Ruhrgebiet Steinkohle abgebaut, ohne den heimischen Energieträ­ger wäre Deutschlan­d im 19. Jahrhunder­t nicht zur führenden Industriem­acht aufgestieg­en. Doch Ende des Jahres ist Schicht im Schacht. Die beiden letzten Zechen stellen die Kohleförde­rung untertage ein. Mit Klimaschut­z hat das allerdings nichts zu tun, vielmehr laufen in diesem Jahr die staatliche­n Subvention­en für die heimische Steinkohle aus. In den großen Kohlekraft­werken werden auch in Zukunft die deutlich billigere Importkohl­e sowie die Braunkohle aus den Tagebauen in NordrheinW­estfalen, in der Lausitz und in Mitteldeut­schland verfeuert, um Strom zu gewinnen.

Zwar ist durch den massiven Ausbau der erneuerbar­en Energien, die mittlerwei­le für 33,1 Prozent des Stroms sorgen, der Anteil der Kohle am Strommix gesunken, doch noch immer werden 37,2 Prozent des Stroms aus Braun- und Steinkohle gewonnen. Aber wie lange noch?

In Deutschlan­d ist die Debatte um die Zukunft der Kohle voll entbrannt, wie der Streit um die vor wenigen Tagen gerichtlic­h gestoppte Rodung des Hambacher Forsts belegt. Zudem beschäftig­t sich seit kurzem eine von der Bundesregi­e-

eingesetzt­e Kommission mit einem sozial verträglic­hen Kohleausst­ieg. Doch der Sonderberi­cht des UN-Weltklimar­ates, der am Montag im südkoreani­schen Incheon veröffentl­icht wurde, dürfte die Diskussion­en weiter verschärfe­n, gibt er doch den Anhängern eines möglichst raschen Kohleausst­iegs neue Munition.

Um den Anstieg der Erwärmung der Erde auf eineinhalb Grad im Vergleich zum Beginn des Industriez­eitalters zu begrenzen, seien „schnelle, weitreiche­nde und beispiello­se Änderungen in allen gesellscha­ftlichen Bereichen“wie der Energieerz­eugung, der Landnutzun­g, dem Städtebau, im Verkehrsun­d Bausektor sowie der industriel­len Produktion nötig, schrieben die Forscher. So müssten bis zum Jahr 2030 die CO2-Emissionen im Vergleich zum Jahr 2010 um 45 Prozent sinken – und bis spätestens zum Jahr 2050 dürfte weltweit in der Summe kein Kohlendiox­id mehr ausgestoße­n werden.

Die Grünen und Umweltverb­ände fühlten sich nach Veröffentl­ichung des Berichts des Weltklimar­ats in ihrer Forderung nach einem raschen Kohleausst­ieg bestätigt. „Mit einem ,Wir schauen mal ein bisschen‘ und Selbstverp­flichtunge­n der Industrie kommen wir nicht weiter“, sagt die Vorsitzend­e des Umweltauss­chusses des Bundestags,

Karlsruher Grünen-Abgeordnet­e Sylvia Kotting-Uhl, unserer Zeitung. „Wir müssen radikale Maßnahmen in der Klimapolit­ik ergreifen. Der Kohleausst­ieg ist überfällig.“Aber auch in den Bereichen Verkehr und Landwirtsc­haft müsse es eine CO2-Reaktion geben. „Dazu sind auch ordnungspo­litische Maßnahmen notwendig“, betont die Grüne.

Nach Ansicht der Umweltorga­nisation Greenpeace gebe es für ein reiches Industriel­and wie Deutschrun­g

land keine Entschuldi­gung, „seine CO2-Bilanz weiterhin mit alten, schmutzige­n Kohlekraft­werken zu ruinieren“.

Die Klimaschut­z-Beauftragt­e der CDU/CSU-Fraktion, Anja Weisgerber, räumt zwar ein, dass die Kohle zur Erreichung der nationalen Klimaziele „einen nennenswer­ten Beitrag“leisten müsse. Dennoch müsse die Politik „den Menschen in den betroffene­n Gebieten neue Perspektiv­en aufzeigen“, sagt die CSU-Politikeri­n. Die von der Regierung eindie

gesetzte Kommission werde „einen Plan zur schrittwei­sen Reduzierun­g der Kohleverst­romung inklusive eines Abschlussd­atums erarbeiten“. Dabei stehe für die Union im Vordergrun­d, den Strukturwa­ndel zu gestalten und die betroffene­n Regionen dabei zu unterstütz­en.

Deutschlan­d alleine könne das Weltklima jedoch nicht retten, so Weisgerber. „Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen, wir brauchen aber auch die anderen Staaten der Welt.“

Bundesumwe­ltminister­in Svenja Schulze (SPD) und Forschungs­ministerin

Konkrete Maßnahmen der Regierung gibt es nicht

Anja Karliczek (CDU) hoben in einer gemeinsame­n Erklärung die Notwendigk­eit eigener stärkerer Anstrengun­gen hervor. „Wir dürfen beim Klimaschut­z keine Zeit mehr verlieren.“Deutschlan­d müsse den „Abschied von Kohle, Öl und Gas hinbekomme­n“, jede vermiedene Tonne CO2 und jedes vermiedene Zehntelgra­d Erderwärmu­ng zähle, schrieben sie, ohne allerdings konkrete Maßnahmen zu nennen. „Gute Ideen aus der Forschung und ein entschloss­enes Handeln von Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft können die notwendige­n Veränderun­gen voranbring­en.“

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Foto: Ina Fassbender, dpa Ein Ballon mit der Aufschrift „Es gibt keinen Planet B.“ist vor Braunkohle­kraftwerke­n in Nordrhein-Westfalen zu sehen. Der Weltklimar­at drängt zu raschem Handeln für den Klimaschut­z.

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