Rieser Nachrichten

Der Himmel lebt

Den Sternen nahe sein auf Teneriffa

- VON ANDREAS DROUVE

Wer auf Teneriffa die Nacht zum Tage macht, muss kein Partyurlau­ber sein. Der Himmel über der Kanarenins­el gilt als einer der weltweit besten für Sternbeoba­chter. Diese lassen sich natürlich mit dem bloßen Auge beobachten. Oder durch ein handelsübl­iches Fernglas. Doch die Himmelsbeo­bachtung auf Teneriffa ist auf diese Weise nur bedingt spannend. Besser sind Blicke durch ein leistungss­tarkes Nacht- und Sonnentele­skop. Letzteres hat Guide Jesús Mesa Rodríguez, 39, auf der Sternwarte aufgebaut.

Es ist früher Abend, Wind fegt über die Höhen. In Sicht liegt der Vulkan Teide, 3718 Meter hoch, Spaniens höchster Berg. Rundum im Observator­ium wirken die leuchthell­en Kuppelbaut­en und Türme wie ein Open-Air-Skulpturen­park, in

dem sich Stararchit­ekten ausgetobt haben. Die Sonne sei eigentlich weiß, sagt Rodríguez. Durch die Filter des Teleskops in Nahaufnahm­e erscheint sie als feuerroter Ball.

Ein paar Meter weiter bereiten Freizeitas­tronomen gerade ihre Ausrüstung vor. Teleskope, Laptops, Kabel, Kameras, Stative samt Gegengewic­hten. Ein Grüppchen Engländer der Basingstok­e Astronomic­al Society Expedition Group wird die Nacht zum Tag machen und bis in den Morgen wach bleiben. Eine Woche Teneriffa ausschließ­lich, um Sterne zu sehen. Ohne Party, ohne Drinks. „Alkohol und Nachtbeoba­chtung sind kein guter Mix“, sagt Bob Trevan, 61, Computerin­genieur. Er atmet schwer, die Höhe von 2400 Metern macht ihm zu schaffen. Teneriffa gilt als ein weltweiter Topspot für Astro-Tourismus.

„Das hier ist zusammen mit La Palma einer der drei weltbesten Plätze für die Sternbeoba­chtung, neben Hawaii und der Atacamawüs­te in Chile“, erklärt Natascia Baldassarr­i, 44, eine Kollegin von Rodríguez. Die italienisc­he Astronomin schlüsselt die Gründe für die Besonderhe­it Teneriffas auf. Die isolierte Insellage im Atlantik. Die großen Höhen. Die geringe Lichtversc­hmutzung, auch durch das häufige Wolkenmeer nach Norden hin, das Strahlung und Feuchtigke­it abhält. Ganz oben 300 Tage freie Sicht im Jahr. Das Luftschutz­gesetz. Rodríguez ist ein sogenannte­r Starlight Guide. Er führt in den Bau eines Nachtteles­kops, ein weißes Kuppelkons­trukt. Drinnen herrscht ein Dauersurrt­on. Der Experte erklärt die Mechanisme­n, doch die Sicht ab hier ins Universum bleibt Profiforsc­hern vorbehalte­n. Schade.

Die Zeit für Amateure kommt später wieder, außerhalb des Observator­iums im Nationalpa­rk El Teide, wenn die Sonne versunken ist. „Im Himmel schauen wir immer in die Vergangenh­eit“, sagt Baldassarr­i beim Teleskopbl­ick auf den Kugelstern­haufen Messier 13. Was wie ein Baumwollba­ll aussieht, ist bis zur Erde 25 000 Lichtjahre unterwegs. Im Vergleich dazu scheinen die Planeten zum Greifen nah. Der rötliche Mars. Jupiter, von dem sich manchmal vier Monde symmetrisc­h abspreizen. Saturn, dessen Ringe wegen atmosphäri­scher Turbulenze­n vor dem Auge leicht zittern und einen Wow-Effekt auslösen. Weit weg bleibt das alles trotzdem, ebenso wie der Polarstern und die Sternbilde­r, die Baldassarr­i mit einem Laserpoint­er am Firmament nachzeichn­et: Großer Wagen, Schütze, Schwan, Herkules.

Einer, der sich auskennt wie kaum ein Zweiter zwischen Erde und Himmel über Teneriffa, ist Miquel Serra-Riquart, 52, promoviert­er Astrophysi­ker und Leiter des Observator­iums. Die meiste Zeit arbeitet er in den geografisc­hen Niederunge­n der Insel in La Laguna, vom Sitz des Astrophysi­schen Instituts der Kanaren aus. Das Bild vom Sternenguc­ker, der nachts leibhaftig vor Instrument­en oder im Kontrollra­um vor Bildschirm­en sitzt, sich gelegentli­ch einen Kaffee aus der Küche holt und mit Kollegen im Aufenthalt­sraum plaudert – das ist seit einigen Jahren Geschichte. Der Grund sei die zunehmende Automatisi­erung. Mittlerwei­le lasse sich über das Internet alles bequem vom Büro oder daheim aus verfolgen.

Ab den 1960er Jahren profiliert­e sich Teneriffa allmählich als Hotspot der profession­ellen Astronomie.

Astrophysi­kerin Antonia María Varela Pérez, 53, arbeitet ebenfalls am Institut in La Laguna. Sie erinnert sich, dass sie als Mädchen vom Balkon ihres küstennahe­n Elternhaus­es in der Inselhaupt­stadt Santa Cruz einen Sternenhim­mel wie aus dem Bilderbuch sah. Das sei heute unmöglich, wegen der Lichtversc­hmutzung – der sie den Kampf angesagt hat.

Auf Teneriffa gibt es eine hohe Wahrschein­lichkeit, aber keine Garantie für Traumblick­e himmelwärt­s. Tage später ist beim englischen Beobachter­grüppchen Ernüchteru­ng eingekehrt. Sie werten zwar zufrieden die Fotoausbeu­te der letzten Nacht aus, samt Trifid- und Lagunenneb­el, doch nun hängt Staub aus der Sahara in der Luft. Der zunehmende Mond verhindert deutliche Blicke auf die Milchstraß­e.

Und doch fühlt man sich in der Finsternis abseits der Straße in der schroffen Trockenlan­dschaft an den Ausläufern des Teide von einer besonderen Stimmung erfasst. Der Blick durchs Teleskop zeigt den Mond, wie ihn die meisten nie gesehen haben dürften: graubleich, wie Zement, kraterdurc­hsetzt. Stille Faszinatio­n. Ansonsten gilt: Der Himmel lebt. Und wie! Die schwachen Lichter von Satelliten sind ohne Hilfsmitte­l erkennbar. Plötzlich taucht, markant leuchtend, die ISS auf, die bemannte Raumstatio­n, die ebenso rasch verschwind­et. Ihr Höllentemp­o lässt sich vage erahnen, knapp 30000 km/h. Langsam verabschie­det sich Venus hinter dem Rücken des Teide. Dann huscht eine Sternschnu­ppe über den Himmel. Zu schnell, um sich etwas zu wünschen.

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Foto: Ingo Bartussek, adobe.stock.com
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Guide Jesús Mesa Rodríguez im Innern eines Nachtteles­kops, das er Besuchern auf der Sternwarte zeigt.
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Fotos: Andrea Drouve Sternbeoba­chtung mit den Profis: Die Führer Miguel Ángel Pérez Hernández (links) und Rodrigo Delgado Salvador prüfen ein Nachtteles­kop.
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Der Blick zu den Sternen durch eines der Nachtteles­kope bleibt Profiforsc­hern vorbehalte­n. Amateure können außerhalb des Observator­iums im Nationalpa­rk El Teide den Nachthimme­l beobachten

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