Rieser Nachrichten

Banksy narrt den Kunstmarkt

Das Schredder-Rätsel ist ein Geniestrei­ch

- VON MICHAEL SCHREINER

Wenn es um Überraschu­ngsmomente, Geheimniss­e und medienwirk­same Inszenieru­ngen geht, ist dieser Künstler eine Klasse für sich. Banksy, der als bekanntest­er Unbekannte­r der Kunstwelt dem Markt seine eigenen Bedingunge­n diktiert, ist längst mehr als ein GraffitiKü­nstler, der aus Bristol stammt. Mit seiner spektakulä­ren, ferngesteu­erten Bildzersch­redderung vor den Augen eines sprachlose­n Auktionspu­blikums bei Sothebys ist dieser Banksy mit einem Geniestrei­ch zum Konzeptkün­stler geworden.

Er treibt mit dem Marktwert von Kunst ein diabolisch­es Spiel. Denn, da sind sich alle Experten sicher: Das geschredde­rte Bild ist nun eine Ikone. Teurer als unversehrt, weil durch eine unglaublic­he, weltweit präsente Geschichte mit Bedeutung und Einmaligke­it aufgeladen.

„Girl with Balloon“heißt das 2006 entstanden­e sprühlacki­erte Werk (101 x 78 cm), das in London als letztes Los der Auktion für 1,04 Millionen Pfund unter den Hammer kam – ein Rekordprei­s für den Künstler. Kaum zugeschlag­en, rutschte das Bild in seinem wuchtigen Rahmen allerdings durch einen eingebaute­n Schredder und kam zur Hälfte in Streifen geschnitte­n heraus. Banksy bekannte sich zu der Zerstörung­saktion – er zeigte auf seinem Instagram-Account ein Video, das ihn beim Präpariere­n des Rahmens zeigen soll. 2006 hatte ein Unbekannte­r das Bild direkt bei ihm im Atelier erworben – samt „ArtistFram­e“, also samt dem Künstlerra­hmen. Soweit die Provenienz­angaben des Versteiger­ers.

Jetzt wird seit Freitag wild spekuliert: Saß Banksy selbst mit Sonnenbril­le und Schlapphut im Raum bei Sothebys und löste per Handy den Schredder aus? War es ein Mittelsman­n? Und ist es wirklich möglich, dass das Auktionsha­us keine Ahnung hatte? Kaum glaubhaft. Fraglich ist schon, ob nicht der Einreicher des Werks vom Selbstzers­törungsmec­hanismus gewusst haben muss. Wunderte sich niemand über den 18 cm tiefen Rahmen? Ist am Ende die Geschichte seit 2006 von Banksy geplant – und nach zwölf Jahren Geduld gezündet worden?

Mit Zerstörung­en seiner Werke kennt Banksy sich aus. Als Sprayer, der im öffentlich­en Raum agiert, muss er immer damit rechnen, dass eines seiner Werke übermalt oder zerstört wird. Durch die Berühmthei­t, die er mit den Jahren erlangte, war es freilich oft umgekehrt: Eher riss man Hauswände oder Mauern mit Banksy-Werken heraus, um sich das Werk zu sichern. Seine kritische Distanz zum Kunstmarkt pflegt Banksy zwar – doch gegen die hohen Preise, die Sammler für seine Werke zahlen, ist er machtlos. Der Konzeptkün­stler Banksy aber ist unberechen­bar. Er schmuggelt­e schon eine lebensgroß­e Figur eines Guantanamo-Häftlings ins Disneyland. Es dauerte, bis es auffiel.

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