Rieser Nachrichten

Prozess mit Pannen sollte die Augen öffnen

- VON VERENA MÖRZL redaktion@rieser-nachrichte­n.de

Für den Beobachter war der Prozess am Aalener Amtsgerich­t gegen eine 42-jährige Mutter, die vom Vorwurf des sexuellen Missbrauch­s ihres Sohnes freigespro­chen wurde, ein Mysterium und mit vielen Pannen behaftet. Sicherlich hätte ein Techniker die schlechte Tonqualitä­t der Videoverne­hmung verbessern können, sodass sie jeder im Gerichtssa­al versteht. Zwei Abspielver­suche an zwei Verhandlun­gstagen blieben aber erfolglos. Ein Protokoll dieser Vernehmung im Jahr 2016 war nicht vollständi­g, weil offenbar nicht parallel mitgeschri­eben worden ist, sondern im Nachhinein ein Schreiben angefertig­t wurde, dessen Verfasser ebenso wenig verstand wie die Beteiligte­n vor Gericht. Dabei wäre diese Aussage des Opfers so wichtig gewesen – für den jungen Mann selbst, aber auch aus Sicht der Mutter.

Ebenfalls nicht verständli­ch erscheint, weshalb kein Vaterschaf­tstest veranlasst wird, wenn doch der äußerst schwere Vorwurf gegen die Mutter im Raum steht, dass sie mit ihrem Sohn ein Kind gezeugt haben soll. Stattdesse­n stützt sich das Gericht auf die Aussage des Jugendamts, dass es rund neun Monate vor der Geburt des zweiten Kindes kein Treffen zwischen Mutter und Sohn gegeben haben könne. Der Staatsanwa­lt kommentier­te die Gegebenhei­t als „vage“. Ein DNA-Test hätte für Klarheit gesorgt.

Weil das Gericht nach eigenen Angaben am Ende zu wenig wusste, wurde die Angeklagte freigespro­chen. Hundertpro­zentig zufrieden sei man damit aber nicht, der Staatsanwa­lt habe deswegen gar Bauchschme­rzen. Es handelte sich um einen außergewöh­nlichen Prozess, um ein sensibles Thema noch dazu. Der Freispruch ist richtig, weil es keine eindeutige­n Beweise für einen Missbrauch gibt. Doch ob danach sorgfältig gesucht wurde, will man nicht guten Gewissens glauben. Unter den Zuschauen fiel sogar das Wort „stümperhaf­t“.

Im Allgemeine­n überwiegt die Annahme, dass Mütter sich nicht am eigenen Nachwuchs vergehen. In der Gesellscha­ft ebenso wie bei Behörden sei eine solche „friendly mother illusion“weit verbreitet, sagte der Ulmer Kinderschu­tz-Experte Professor Jörg Fegert kürzlich der Deutschen Presse-Agentur. Unabhängig vom Urteil des Prozesses sollte dieser Fall einmal mehr die Augen öffnen und sensibilis­ieren, dass auch Buben Opfer sexuellen Missbrauch­s sein können.

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