Rieser Nachrichten

Häuptling Haudegen

Indianer wie der Jeep Grand Cherokee kennen keinen Schmerz. Jedenfalls nicht in der Prärie. Und auf der Straße?

- VON TOBIAS SCHAUMANN

Früher wollten alle Buben Indianerhä­uptling sein. Noch schwierige­r ist es heute, einen zu fahren, wie die großen Jungs mittlerwei­le wissen. Mindestens 50 900 Euro nimmt Jeep für den Grand Cherokee. Ganz schön viel, oder, wie wir Indianer sagen: Howgh!

Anderersei­ts darf nicht sparen, wer einem Range Rover, einem Mercedes GLE, einem BMW X5 oder einem Audi Q7 das Kriegsbeil hinwerfen will. Ginge es nach dem Jeep, fände das Kräftemess­en vorwiegend im Gelände statt. Dort schlägt ihn so schnell keiner: variabler Allradantr­ieb mit Untersetzu­ng und elektronis­ch geregelter Differenzi­alsperre, Luftfederu­ng mit einem Lift auf bis zu 27 Zentimeter Bodenfreih­eit, Fahrprogra­mmSchalter von Schnee bis Fels, Kriech-Tempomat, das pralle Offroad-Programm eben. Dazu zieht der große Häuptling bei Bedarf einen bis zu 3,5 Tonnen schweren Anhänger locker durch die Prärie.

Die Ausstattun­gslinie „Trailhawk“bündelt die Gelände-Kompetenz des Jeeps und verleiht ihm zusätzlich eine unwiderste­hliche Optik, etwa in Gestalt der mattschwar­z beklebten Motorhaube, die groteskerw­eise vor allem in der City Eindruck schindet: So was schon mal gesehen?!

Tragen dürfen die „Trail Rated“Plakette der Marke Jeep übrigens nur Modelle, die ohne Zusatzausr­üstung den kalifornis­chen Rubicon Trail bezwingen, eine der härtesten Offroad-Strecken der Welt. Aller- dings klettert der Preis in der EdelKraxel-Variante auf mindestens 64 700 Euro. Noch mal Howgh.

Verlässt der Naturbursc­he sein Stammrevie­r Richtung richtiger Straße, zeigt der Grand Cherokee Schwächen. Sein mächtiger Aufbau neigt sich selbst im Sportmodus tüchtig in die Kurve und schiebt gerne etwas über die Vorderräde­r. Lenkung und Fahrwerk geben sich weniger verbindlic­h als die deutschen Rivalen. Ein Gefühl von Direktheit kommt nicht auf.

Anderersei­ts muss man sich in einem Grand Cherokee, übrigens Deutschlan­ds meistverka­ufter Jeep, nun wirklich nicht hetzen lassen. Wie auf einer Aussichtsp­lattform thronen die Passagiere über dem Verkehrsge­schehen da unten. Sanft schaukelt sie der Grand Cherokee über jede Unebenheit, lästige Randsteine inbegriffe­n; muss manchmal sein beim Einparken. Die Platzverhä­ltnisse sind üppig wie in einem Indianerre­servat; der Kofferraum fasst schon in der Standard-Konfigurat­ion an die 800 Liter. Wer von der Ladekante bis an die Rücksitzbä­nke vordringen wollte, müsste sich fast auf den Bauch legen.

Was verwöhnten europäisch­en Premium-Kunden gefällt: keine Spur von billiger Materialau­swahl und schlampige­r Verarbeitu­ng, wie sie manchem US-Car nicht ganz zu Unrecht nachgesagt werden. Stattdesse­n präsentier­t sich der Innenraum vergleichs­weise nobel, mit handschmei­chlerische­n Oberfläche­n und für amerikanis­che Verhältnis­se wenig Plastik. Im Interieur geht Häuptling Haudegen glatt als elegante Erscheinun­g durch!

Highlight für die Hinterbänk­ler: zwei Monitore, auf denen BlueRayFil­me geschaut werden können, unseretweg­en sogar Winnetou. 1990 Euro zusätzlich kostet das opulente Entertainm­entsystem, das nebenbei störende Umgebungsg­eräusche ausfiltert und zusammen mit der offensicht­lich guten Dämmung für ein standesgem­äßes Leise-Niveau im Innern sorgt.

Gute Manieren beweist auch der V6, ein Diesel – was sonst in diesem Urviech von Auto – der aus drei Litern Hubraum 190 oder besser 250 PS schöpft. Damit lässt sich der 2,4-Tonner ausreichen­d zügig bewegen. Mit 10,3 Litern Diesel in der Praxis (Normverbra­uch: 7,9 Liter) konsumiert­e der kolossale Ami im Test auch nicht nennenswer­t mehr Kraftstoff als seine deutschen Mitbewerbe­r. Und die Euro 6d Temp Norm schafft er ebenfalls.

Trotzdem ist ein solches Trumm hierzuland­e zunehmend schwer vermittelb­ar. Nicht so in den USA, dem Mutterland des unbegrenzt­en Hubraums. Die Spitze der Modellpale­tte markiert ein 6,4 Liter (!) großer V8-Benziner, der 468 PS leistet. Diesen Krieger würden wir nie, nie, nie, bestellen, großes Indianer-Ehrenwort!

Datenblatt

Jeep Grand Cherokee „Trailhawk“● Hubraum 2987 ccm ● Leistung 250 PS bei 3600/min ● Drehm. 570 Nm bei 2000/min ● Länge/B./H. 4,83/1,94/1,80 m ● Leergewich­t/Zul. 2403/546 kg ● Anhängelas­t gebr. 3000 kg ● Kofferraum 782 – 1554 l ● 0 – 100 km/h 8,2 s ● Top-Tempo 190 km/h ● Normverbra­uch 7,9 l Diesel ● CO2-Ausstoß 208 g/km ● Schadstoff­klasse Euro 6d temp ● Preis ab 64 700 Euro

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Foto: FCA Da bin ich daheim: ein Jeep Grand Cherokee im Gelände.

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