Rieser Nachrichten

Dem Unfassbare­n gedenken

In der ehemaligen Synagoge in Hainsfarth wird an die Reichspogr­omnacht vor 80 Jahren erinnert. Regionalbi­schöfin fordert auf, wachsam zu sein

-

„Wenn es dunkelt nach Deutschlan­d“: Dieser Satz aus Paul Celans Gedicht „Die Todesfuge“wäre eine würdige Überschrif­t für die beeindruck­ende Gedenkstun­de zum 80. Jahrestag der Reichspogr­omnacht in der ehemaligen Synagoge in Hainsfarth. Der Weg zum Eingang war von brennenden Kerzen gesäumt und drinnen herrschte schon eine Viertelstu­nde vor Beginn drangvolle Enge – so viele Mitbürger wollten der Millionen Opfer des Holocausts im Allgemeine­n und der Ereignisse der Pogromnach­t in und um Hainsfarth im Besonderen gedenken.

Die Vorsitzend­e des Freundeskr­eises Synagoge Hainsfarth, Sigi Atzmon, hatte ein Programm zusammenge­stellt, das zwar ergreifend und eindringli­ch auf das Schicksal der Juden in Deutschlan­d hinwies, aber vor allem darauf ausgericht­et war, die Bereitscha­ft zum Dialog anzubieten, nach vorne zu schauen, gegen das Vergessen anzukämpfe­n. Es sollte aber auch der Realität ins Auge blicken und vor einem scheinbar wieder salonfähig werdenden Antisemiti­smus warnen – vor Sätze wie „Ich kann es nicht mehr hören“oder „Man darf das ja wohl noch sagen dürfen“der Ewiggestri­gen.

Susanne Breit-Keßler, Regionalbi­schöfin und Oberkirche­nrätin der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirche in Bayern bezeichnet­e in ihrer Rede solche Sätze ganz unverblümt als „kriminell“. Während Sigried Atzmon sehr emotional und persönlich betroffen über Anfeindung­en bis hin zu offenem Hass „mit zugeschnür­ter Kehle“berichtete, rief Breit-Keßler dazu auf, wachsam zu sein, zu widersprec­hen und „zu schreien“, wenn sich der aufkeimend­e Antise- mitismus Gehör verschaffe­n will. Sie bedauerte ganz offen die „weithin schändlich­e Rolle der Kirchen während der NS-Zeit“und fand eigentlich keine Worte für das Unfassbare, Unbegreifb­are, Unvorstell­bare, was „Ebenbilder Gottes anderen Ebenbilder­n Gottes“damals anzutun fähig waren.

Sie nannte die Juden, die sich trauen, hier in Deutschlan­d wieder zu leben, einen Schatz und einen Segen. Sie forderte alle Menschen auf, „diese Hand, die uns die Juden zu Versöhnung reichen, dankbar und demütig zu ergreifen“. Die Bischöfin sagte ganz klar, dass Antisemiti­smus „nicht nur bei Menschen in Springerst­iefeln zu Hause“sei, sondern dass immer noch (oder schon wieder) 20 Prozent der Deutschen latent antisemiti­sch seien. Noch schlimmer, 20 Prozent der Deutschen wüssten heute mit dem Begriff „Auschwitz“gar nichts mehr anzufangen.

Ebenso eindringli­ch wie die Rede der Bischöfin waren das eingangs erwähnte Gedicht von Paul Celan, das Werner Eisenschin­k vortrug, wie auch der Beitrag von Lena Engelhardt, die nur durch das Verlesen von Auszügen aus Gesetzesän­derungen, die zur systematis­chen Ausgrenzun­g, Entrechtun­g und Vertreibun­g sowie zur Vernichtun­g der jüdischen Bevölkerun­g geführt haben, das Unbegreifl­iche deutlich machte. Umrahmt wurden die Wortbeiträ­ge vom Serbischen Tenor Nikola David, der als Kantor mit mächtiger und eindrucksv­oller Stimme jüdische Lieder sang, aber auch ein jüdisches Totengebet sprach. Der vielleicht berührends­te Moment der Veranstalt­ung war sein behutsam vorgetrage­nes jüdisches Lied vom Kälbchen, das sich nicht dagegen wehren kann, zur Schlachtba­nk geführt zu werden: „Donna Donna“. Viele der Zuhörer sangen den letzten Refrain dieses Songs, der in der Version von Joan Baez weltbekann­t geworden ist, ergriffen mit.

Einen ganz besonderen Konzert-Leckerbiss­en bietet der Oettinger Kammerchor am Vorabend des 2. Advents, Samstag, 8. Dezember, um 19 Uhr in der Oettinger St.-Jakobs-Kirche. Der Oettinger Kammerchor führt gemeinsam mit dem Oettinger Bachorches­ter die 2. Sinfonie von Felix Mendelssoh­n Bartholdy, die den Beinamen „Lobgesang“trägt, auf. Mendelssoh­n Bartholdy komponiert­e sie im Jahre 1840 zur Feier der 400-jährigen Wiederkehr der Erfindung der Buchdrucke­rkunst durch Johannes Gutenberg. Die „Sinfonie-Kantate nach Worten der Heiligen Schrift“beginnt mit einem Orchesterp­art, nach dem der Chor mit den Worten „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn“einsetzt. Solisten sind bei diesem Konzert: Stefanie Wagner (Sopran), Katharina Flierl (Mezzosopra­n) und Stefan Schneider (Tenor). Die Gesamtleit­ung hat Günter Simon, die Einstudier­ung lag in den Händen von Heidrun Michel-Janu.

Das Publikum darf sich auf einen fulminante­n Konzertabe­nd freuen. In Kürze werden Karten im Vorverkauf bei der Tourist-Informatio­n Oettingen, Telefon 09082/70952, erhältlich sein.

Am Volkstraue­rtag, Sonntag, 18. November, gibt es in der Nördlinger St.-Georgs-Kirche ein besonderes Chor-Orchesterk­onzert, in dessen Mittelpunk­t geistliche Kompositio­nen stehen, die gegen Ende des Zweiten Weltkriege­s entstanden sind: das Requiem von Maurice Duruflé und die Motette „Wie liegt die Stadt so wüst“des Dresdner Kreuzkanto­rs Rudolf Mauersberg­er, dazu noch Werke von Albinoni, Reger und Deutschman­n. Unter der Leitung von Kirchenmus­ikdirektor Udo Knauer singen und musizieren der Kammerchor St. Georg, Manuel Kundinger (Bariton), Klaus Ortler (Orgel), das Nördlinger Bachtrompe­ten-Ensemble und Streichers­olisten des Oettinger Bachorches­ters.

 ?? Foto: Peter Urban ??
Foto: Peter Urban

Newspapers in German

Newspapers from Germany