Die Fujitsu-story
Das Aus des Augsburger Werks schockt die Region. Ein Blick auf die eng mit Deutschland verbundene Geschichte des japanischen Elektronikkonzerns zeigt, was hinter der Strategie des getriebenen Managements steckt
Tokio Am Anfang der Firmengeschichte von Fujitsu stand eine beispiellose Katastrophe: ein Erdbeben, das 1923 die japanische Hauptstadt Tokio komplett zerstört hat. Mit 150 000 Toten gehört es zu den schlimmsten Naturkatastrophen des vergangenen Jahrhunderts. Japan war seinerzeit nicht nur von dem Verlust an Leben betroffen. Tokio ist das wirtschaftliche und intellektuelle Zentrum des Landes. Der Wiederaufbau musste schnell gehen. Die japanische Hauptstadt sollte zudem moderner und leistungsfähiger werden als je zuvor, gab der Regierungschef vor.
Nachdem die Beamten des Ministeriums für Post und Fernmeldewesen sich wieder einigermaßen arbeitsfähig organisiert hatten, beschlossen sie, die Zerstörung auch als Chance aufzufassen. Der Großraum Tokio sollte eine völlig neue Telefoninfrastruktur erhalten: mit automatisierten Vermittlungsstellen. Während sich in London und Berlin in dieser Zeit noch das Fräulein vom Amt meldete, wenn jemand den Hörer abhob, würde Tokio ins Zeitalter der Wählscheibe springen. Die Technik dafür stammte von einer deutschen Firma: Siemens in Berlin.
Das Ministerium fädelte eine Kooperation des deutschen Technikkonzerns mit dem japanischen Unternehmen Furukawa Electric ein. In einem Gemeinschaftsunternehmen sollten sie Fernmeldeausrüstung für den japanischen Markt herstellen. Der Schwerpunkt lag auf den damals heiß begehrten Selbstwähleinrichtungen. 1935 wurde die Firma unter dem Namen Fujitsu Tsushinki selbstständig, später wurde daraus kurz: Fujitsu. Der Konzern wurde zum führenden japanischen Anbieter von Kommunikationstechnik. Er blieb Siemens auch später freundlich verbunden, wie sechzig Jahre später eine neue Kooperation zeigen würde.
Doch zunächst wuchs Fujitsu zu einem eigenständigen Vorreiter in seinem Feld heran. Statt deutsche Patente lizenzieren zu müssen, wurde das Unternehmen zu einem Innovationsführer. Im Zweiten Weltkrieg war das Militär der größte Abnehmer, nach 1945 stand der Wiederaufbau der vollständig zerstörten japanischen Städte an – selbstverständlich mit modernster Technik. Fujitsu wuchs sehr schnell, aber es noch besser. In der großen Zeit der japanischen Elektronikindustrie von Mitte der Fünfziger- bis Mitte der Neunzigerjahre war Fujitsu ein Taktgeber der Branche.
Die Produktpalette verschob sich schon bald von Telefonen zu Computern. Schon 1954 brachte Fujitsu den ersten Großrechner auf den Markt: Der Facom (Fuji Automated Computer) war noch ein Ungetüm mit Tausenden von laut klackernden mechanischen Relais. Die Maschinen wurden schnell elektronisch, und ab 1963 exportierte Fujitsu sie auch. Im Gleichschritt mit der technischen Entwicklung nahm Fujitsu Workstations, PCS und Ser- ins Programm auf. So kam das Unternehmen auch nach Augsburg: Ende der Neunzigerjahre besannen sich Fujitsu und Siemens auf gemeinsame Wurzeln und gründeten abermals ein Gemeinschaftsunternehmen, diesmal für die Belieferung des deutschen Marktes mit neuester japanischer Technik. Die Konkurrenz aus preiswerteren Ländern wie Taiwan und China setzte beide Firmen unter Druck – da erschien es für die Schwergewichte der etablierten Industrieländer sinnvoll, sich abermals die Hand zu reichen.
Der Standort Augsburg galt dabei von Anfang an als Gegenmodell zur Praxis der Branche, Aufträge in Bilkam ligländer zu vergeben. Computerfertigung sollte auch zu anständigen Löhnen möglich sein – das wollten die Partner beweisen. Sie stellten auch die Hauptplatinen für die PCS in Augsburg her. Aus heutiger Sicht ist das ein bemerkenswertes Detail. Denn derzeit ist die Branche wegen Anschuldigungen von Us-geheimdiensten in Aufruhr, das chinesische Militär habe Spionage-chips auf Platinen für Apple und Amazon aus chinesischer Produktion versteckt.
Doch nach nur zehn Jahren zog sich Siemens 2009 aus dem Geschäft zurück und gab alle Anteile an die Japaner ab. Doch die blieben Deutschland vorerst treu und bauver ten das Werk in Augsburg zu einer der fortschrittlichsten Anlagen der Welt aus. Doch die Konkurrenten aus China wurden in den folgenden Jahren immer stärker.
Der Anbieter Lenovo aus Peking hatte die Notebook-sparte von IBM übernommen, und Tablets und Handys kosteten den klassischen PC zunehmend Marktanteile. Lenovo wurde Weltmarktführer. Im Jahr 2014 stieß Konkurrent Sony seine Pc-sparte ab, weil sie sich für ein japanisches Unternehmen nicht mehr lohnte. Zwischenzeitlich war die Rede davon, die Notebook-sparte von Sony mit denen von Fujitsu und Toshiba zusammenzulegen, doch der Plan scheiterte.
Im Jahr 2017 erschütterte stattdessen die Nachricht die japanische Computerwelt, dass Fujitsu eine Mehrheit an seiner Pc-sparte an Lenovo abgibt. Nicht lange zuvor
Japan droht Führungsrolle an China zu verlieren
hatte der Auftragshersteller Foxconn aus Taiwan bereits das japanische Traditionsunternehmen Sharp geschluckt. Das Vorrücken der Chinesen ist ganz offenbar nicht aufzuhalten. Fujitsu gab auch das Geschäft mit Handys und Navigationsgeräten auf und konzentrierte sich auf Ausrüstung und Dienste für Firmenkunden.
Zur neuen Strategie des Managements gehörte auch ein Stellenabbau von 3000 Jobs in Europa. Als dieser bis Frühjahr 2018 nicht schnell genug voranging, kritisierten Aktionäre und japanische Wirtschaftsmedien die mangelnde Entschlossenheit der Unternehmensführung. Nun muss das Werk in Augsburg tatsächlich schließen. Stattdessen investiert das Unternehmen in Singapur, um den südostasiatischen Markt für Infrastruktur der wachsenden und boomenden Megastädte besser zu erschließen.
Das Management setzt darauf, dass sich die für Augsburg bittere Neuausrichtung langfristig lohnt. Finanzchef Hidehiro Tsukano erwartet in den kommenden Jahren höhere Margen und steigende Gewinne. Es lohne, sich von der Vergangenheit zu lösen und sich auf wenige Gebiete zu konzentrieren, auf denen man besser sei als andere, begründete er die Strategie im Februar in der Zeitung