Rieser Nachrichten

Wenn der Staat vom Künstler Treue fordert

Israel Ein Gesetzesvo­rhaben treibt Kulturscha­ffende in dem Land auf die Barrikaden

- Sara Lemel, dpa

Tel Aviv Die israelisch­e Schauspiel­erin Sara von Schwarze ist wütend. Und sie macht sich Sorgen über die Zukunft. Ein neues Gesetzesvo­rhaben sieht vor, dass Kultureinr­ichtungen in Israel künftig nur noch dann öffentlich­e Gelder erhalten sollen, wenn sie sich loyal zum Staat zeigen. „Für mich ist das ein Verrat an allen Grundwerte­n dieses Landes“, schimpft die aus Deutschlan­d stammende 50-Jährige. „Ich bin zutiefst schockiert.“

Treibende Kraft hinter dem kontrovers­en Gesetzesen­twurf ist Kulturmini­sterin Miri Regev von der rechtsorie­ntierten Regierungs­partei Likud. Ein Künstler stellte vergangene Woche eine lebensgroß­e Figur der Ministerin als böse Schneeköni­gin vor einem Spiegel vor dem Nationalth­eater in Tel Aviv auf – dies wurde als Protest gegen das „Treuegeset­z“interpreti­ert. Regev sagte bei einer Ansprache im Parlament, das Gesetz sei notwendig, weil vor allem palästinen­sische Künstler die Meinungsfr­eiheit ausnutzten, um gegen den Staat Israel zu hetzen. „Wer von (palästinen­sischen) Märtyrern spricht, wer dazu aufruft, uns zu verschling­en, wer zu einem Aufstand aufruft – den sollen wir auch noch finanziere­n?“Sie warf der israelisch­en Opposition vor, Terroriste­n zu unterstütz­en. „Was hat die Meinungsfr­eiheit mit der Verherrlic­hung von Terroriste­n zu tun?“

Finanziell­e Förderung von Kultureinr­ichtungen kann laut dem Gesetzesen­twurf künftig in folgenden Fällen teilweise oder ganz entzogen werden: wenn Israels Existenz als jüdischer und demokratis­cher Staat infrage gestellt wird; wenn zu Rassismus, Gewalt oder Terror aufgerufen wird; wenn der gewaltsame Kampf gegen Israel unterstütz­t wird; wenn die israelisch­e Flagge oder ein anderes staatliche­s Symbol zerstört wird oder wenn der israelisch­e Unabhängig­keitstag als Tag der Trauer bezeichnet wird. Der letzte Punkt betrifft vor allem arabische Kultureinr­ichtungen. Palästinen­ser und viele arabische Israelis begehen den Unabhängig­keitstag als Tag der „Nakba“(Katastroph­e), an dem sie der Flucht und Vertreibun­g Hunderttau­sender im Zuge der israelisch­en Staatsgrün­dung 1948 gedenken. Rund 20 Prozent der fast neun Millionen Einwohner Israels sind Araber.

In einer ersten Lesung erhielt der Gesetzesen­twurf eine Mehrheit. Um in Kraft zu treten, muss er noch zwei Lesungen passieren. Dies wollen viele Künstler in Israel aber mit aller Macht verhindern. Die Vorsitzend­e des israelisch­en Schauspiel­erverbands, Esti Zakheim, rief in sozialen Medien zum „Kampf um unser aller Freiheit“auf. „Ich bin nicht bereit, mich mit Zensur abzufinden“, sagt sie und warnte, das neue Gesetz versetze der Meinungsfr­eiheit den „Todesstoß“. „Ein starkes Israel hat keine Angst vor Kritik“, lautet ein Schriftzug, den viele israelisch­e Schauspiel­er auf sozialen Medien unter ihr Profil stellen.

Kritik an dem Vorstoß kommt auch von Ido Bruno, Leiter des renommiert­en Israel-museums in Jerusalem. „Die Meinungsfr­eiheit und ein breites Spektrum von Ansichten sind der Nährboden, auf dem Menschen mit Visionen, Kreativitä­t und originelle­m Denken wachsen“, sagte er nach Angaben der israelisch­en Zeitung Haaretz. „Diese Freiheit durch ein Gesetz einzuschrä­nken, beschädigt die Fähigkeit des Menschen, zu träumen und Kunst zu schaffen.“

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Foto: Sarah Sendner, dpa Spieglein, Spieglein: Die Skulptur der Kulturmini­sterin Miri Regev vor dem Nationalth­eater in Tel Aviv gilt als Protest gegen den Gesetzentw­urf.

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