„Die Türkei hat zwei Gesichter“
Interview In Nördlingen aufgewachsen, wird Karin Senz Krisenreporterin in Kairo, Idomeni und Nizza. Heute ist sie Auslandskorrespondentin in Istanbul. Am Dienstag spricht sie darüber in der Buchhandlung Greno in Donauwörth
Frau Senz, schön, dass Sie sich Zeit nehmen konnten. In unserem Vorgespräch schlugen Sie vor, dass wir das Interview besser noch am selben Tag führen. „Man weiß nie, was morgen ist“, sagten Sie. War das auf die politische Lage bezogen?
Karin Senz: Das war vor allem auf meinen Job bezogen. Ich habe im September 2017 als ARD-Hörfunkkorrespondentin angefangen. Rund um die Bundestagswahl war das deutsch-türkische Verhältnis auf einem Tiefpunkt. Das Telefon stand bei uns nicht still. An uns hängen rund 60 Wellen, die wir bedienen. Aber wenn hier etwas passiert ist, hat das der Tourist auf der Badematte eher nicht mitbekommen.
Muss der Urlauber dennoch aufpassen, wie er sich in der Türkei gibt? Wie erst kürzlich in der Diskussion stand, sollte man ja besser auch kritische FacebookPosts vermeiden.
Senz: Ich sag jetzt mal: jein. Es geht eher um Leute mit türkischem Background, die in Deutschland leben und sich von dort aus vielleicht auch politisch engagieren. Wenn man dazu vielleicht auf Facebook ein entsprechendes Video teilt, kann das problematisch werden. Wir hören, dass Anzeigen eher mal aus dem Umfeld kommen, dass sich Leute gemüßigt fühlen, etwas weiterzugeben. In den Anklagen ist öfter mal von anonymen Zeugen die Rede. Ich würde vorsichtig sagen, bei jemandem, der in seiner Facebook-Timeline nicht das Erdog˘an-Bashing drin hat, sich nicht politisch engagiert, sondern im All-inclusive-Hotel am Strand liegen will, ist es unwahrscheinlich, dass etwas passiert. Ausgeschlossen ist in der Türkei aber nichts.
Woran, glauben Sie, liegt die allgemeine Vorsicht?
Senz: Die Emotionalität ist hoch, Erdog˘an polarisiert in Deutschland unglaublich und ist ein rotes Tuch für viele. Ich sehe den Mann auch kritisch.
Am Dienstag sind Sie als Gast in der Buchhandlung Greno in Donauwörth und wollen einen anderen Blick auf das Land aufzeigen, in dem Sie leben. Was werden Veranstaltungsteilnehmer erfahren?
Senz: Die Türkei hat zwei Gesichter. Viele meiner Freunde haben gesagt, sie kommen mich nicht besuchen, dafür habe ich aber auch völliges Verständnis. Vor allem dann, wenn man sagt, ich fühle mich hier nicht sicher. Man macht schließlich in einem Land Urlaub und will sich entspannen. Wenn mich dann doch Leute besuchen kommen, dann heißt es schon: „Hier ist es ja ganz anders“.
Welches Bild hatten Ihre Freunde? Senz: Viele denken, hier huschen die Menschen nur von einer Ecke zur anderen. So ist es aber nicht. Von meiner Wohnung in Istanbul aus habe ich den Blick auf drei Dachterrassen, und da ist an jedem Tag in der Woche Party. Die Türken feiern immer noch. Die Türkei ist eben ein krisengeprägtes Land. Die Leute waren verwundert, dass man hier auch normal tickt. Es gibt hier zwei Dinge, die sind extrem prägend, die Manzara – das heißt auf Deutsch: Ausblick. Der ist in Istanbul immer traumhaft, weil die Stadt auf sieben Hügeln liegt. Man blickt immer auf den Bosporus und das Meer. Dann ist da noch die unglaubliche Gastfreundschaft, das habe ich noch nie erlebt.
Sie sind in Nördlingen aufgewachsen, waren Krisenreporterin und sind jetzt Auslandskorrespondentin – ein gefragter Job für Journalisten. Was ist dazwischen passiert?
Senz: Ich habe in Nördlingen das Gymnasium besucht, aber nie für die Schülerzeitung geschrieben, wie man vielleicht denken könnte. Was glauben Sie, wo ich mein erstes Praktikum gemacht habe? Bei den Rieser Nachrichten …
Senz: Das war eine Katastrophe. Ich habe die Mitschreiberei total ätzend gefunden, den Job aber interessant. Durch einen Zufall bin ich dann bei Radio 7 Ostalb gelandet, habe studiert (aber nur drei Semester), bei einem kleinen Privatsender volontiert und war ab 2001 beim SWR 4 in Karlsruhe.
Wíe genau sah später Ihr Alltag als Krisenreporterin aus?
Senz: Krisenreporterin heißt, man steht auf einer Liste. Ein Reporter geht dann raus, wenn etwas passiert. Mein erster Einsatz wäre der Absturz des Germanwings-Flugzeugs in Frankreich gewesen, aber da war ich krank. Zum ersten Mal als Krisenreporterin war ich dann in Idomeni, habe gesehen, wie 14 000 Menschen im Schlamm lebten. Da klingelt morgens um 7 das Telefon und um 19 Uhr ist man schon vor Ort und berichtet. Mein zweiter Einsatz war, als in Nizza ein Lkw in eine Menschenmenge gefahren ist.
Ein spannender Job. Warum fiel dann die Entscheidung auf eine Journalistenstelle in der Türkei?
Senz: Es war die Aufgabe an sich. Ich rede jetzt mit so vielen verschiedenen Menschen, ob mit Hühnerzüchtern oder türkischen Ministern. Das ist spannend, und für mich ist es das Höchste, wenn mich jemand mit seiner Leidenschaft packt.
Sie berichten über die Zustände in der Türkei für deutsche Medien. Müssen Sie aufpassen, was Sie sagen, um sich zu schützen (Stichworte Tolu und Yücel)?
Senz: Von oben gibt es gar keine Zensur. Wir wissen wohl, dass unsere Sachen gelesen und gehört werden. Wir sind aber keine Investigativ-Redaktion, wir bilden die aktuelle Lage ab. Wir machen aber auch Kommentare und gehen darin inhaltlich sicher nicht in die Richtung „alles super“. Ich arbeite noch sorgfältiger, ich zitiere viel. Und dann überlege ich auch immer, ob die Aussage meinen Gesprächspartner in Gefahr bringen könnte? Ich muss meine Quellen besonders schützen.