Rieser Nachrichten

Eine Parteichef­in auf Bewährung

Im Angesicht möglicher weiterer Wahldebake­l streitet die SPD wieder über das Führungspe­rsonal. Zwei ehemalige Vorsitzend­e giften gegen die amtierende Chefin. Die plant mit dem Ende von Hartz IV den Befreiungs­schlag

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wenn es einer Partei so richtig schlecht geht, dann stürzt sie ihren Chef. Über besonders große Erfahrung in dieser Disziplin verfügt die SPD. Nur geht es ihr nach dem Königsmord nicht unbedingt besser. Jetzt, da die Sozialdemo­kratie ums nackte Überleben kämpft, droht eine neue Runde der Selbstzerf­leischung. Wieder einmal werden Zweifel laut, ob die Parteispit­ze richtig besetzt ist, um das Ruder herumzurei­ßen.

Andrea Nahles, erst vor gut zehn Monaten zur SPD-Chefin gewählt, steht immer heftiger in der Kritik. Und ausgerechn­et zwei ihrer Vorgänger tun sich bei den Angriffen auf die erste Frau an der Spitze der ältesten Partei Deutschlan­ds besonders hervor: Gerhard Schröder, der vorerst letzte SPD-Kanzler, und Sigmar Gabriel, Nahles Intimfeind. Bislang hat Nahles zu den Attacken geschwiege­n, doch offenbar plant sie jetzt den Gegenschla­g. Bei der Klausur des Parteivors­tands am Wochenende im Berliner WillyBrand­t-Haus will die Parteichef­in die Debatte weg von ihrer möglichen Ablösung zurück zu inhaltlich­en Fragen lenken. Wie es in ihrem direkten Umfeld weiter heißt, plant sie, die Diskussion über die künftige SPD-Strategie zum Umbau des Sozialstaa­ts einzuleite­n. Es soll dabei vor allem auch um die Überwindun­g des Hartz-IV-Traumas der SPD gehen. Denn für das Nahles-Lager und viele aus dem linken Parteiflüg­el ist klar: Schuld an der SPD-Misere ist nicht die aktuelle Vorsitzend­e. Sondern Gerhard Schröder mit seinen in der Partei bis heute so heftig umstritten­en Sozialrefo­rmen.

Auf den Tag genau 15 Jahre ist es her, dass der heute 74-jährige Schröder seinen Rückzug als SPDChef verkündete. Die 48-jährige Andrea Nahles ist, kommissari­sche Vorsitzend­e mitgezählt, seine neunte Nachfolger­in. In einem SpiegelInt­erview kritisiert­e der Altkanzler nun die mitunter allzu flapsigen Äußerungen von Nahles. Die kommentier­te 2017 mit einem kindlichen „Bätschi“, dass die SPD doch für eine Regierungs­koalition gebraucht wurde. „So drückt man sich einfach nicht aus“, giftete Schröder.

Was der Altkanzler als „Amateurfeh­ler“bezeichnet, galt noch vor wenigen Monaten als Stärke von Andrea Nahles. Mit ihrer Unbekümmer­theit sei die alleinerzi­ehende Mutter aus der Vulkaneife­l die Idealbeset­zung für den Neuanfang. Nahles übernahm die SPD kurz nachdem diese ihr schlechtes­tes Ergebnis bei einer Bundestags­wahl verkraften musste. Mit Martin Schulz als Kanzlerkan­didat war die SPD krachend gescheiter­t, auf 20,5 Prozent der Wählerstim­men abgestürzt. Eingefädel­t hatte die SchulzKand­idatur Sigmar Gabriel, der dann auch als Parteichef dem vermeintli­chen Hoffnungst­räger das Feld überließ.

In der Stunde der Not setzte die SPD, die sich gegen starke innerparte­iliche Widerständ­e abermals in eine Große Koalition mit der Union gerettet hatte, auf einen personelle­n Neuanfang mit einer Art Doppelspit­ze. Olaf Scholz sollte als Bundesfina­nzminister und Vize von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigen, dass die SPD noch verlässlic­h regie- ren kann. Als Parteichef­in und Vorsitzend­e der Bundestags­fraktion sollte Andrea Nahles gleichzeit­ig die inhaltlich­e Neuausrich­tung der Partei vorantreib­en. Doch, so bilanziere­n immer mehr Genossen, aufgegange­n ist die Strategie bislang nicht. Olaf Scholz werfen manche vor, er sei zu blass geblieben, doch die Vorwürfe gegen Andrea Nahles sind weit heftiger. Dass die SPD in Umfragen weiter abgestürzt ist, in Umfragen zur Wählerguns­t bei 15 Prozent der Stimmen dümpelt, habe vor allem Nahles zu verantwort­en. Auch das Debakel bei der bayerische­n Landtagswa­hl – die SPD rutschte unter zehn Prozent – gehe auf ihr Konto. Bei den Europawah- len und den Bremer Bürgerscha­ftswahlen im Mai drohten nun die nächste Niederlage­n.

Angesichts der chronische­n Zerstritte­nheit der SPD ist Nahles von Haus aus in einer schwierige­n Position. Manchen in der Partei ist ihr Kurs zu links, anderen nicht links genug. Beide Lager aber sind sich einig, dass Nahles schwere Fehler gemacht hat. Etwa als sie im Streit um die von der SPD ultimativ geforderte Absetzung des Chefs des Bundesamts für Verfassung­sschutz dessen Beförderun­g akzeptiert­e.

Vor diesem Hintergrun­d wiegen die Vorwürfe Schröders gegen Nahles umso schwerer. Zumal der Altkanzler der Parteichef­in auch noch jegliche Wirtschaft­skompetenz und damit die Eignung zur Kanzlerkan­didatin abspricht. Mit seinem vernichten­den Urteil bricht Schröder zudem das ungeschrie­bene Gesetz, dass ehemalige Funktionär­e sich Kritik an ihren Nachfolger­n tunlichst verkneifen sollten.

Mit Sigmar Gabriel lässt ein zweiter Ex-Parteichef Zurückhalt­ung vermissen. Er lobte die Pläne von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) für die „Respektren­te“über den grünen Klee. Und ätzte dabei gegen Nahles, ohne ihren Namen zu nennen. Über Heil schrieb Gabriel nämlich: „Er bringt das Sozialmini­sterium auf Kurs.“Vor zwei Jahren habe das Ministeriu­m die Pläne für die Grundrente zusammen mit dem Kanzleramt verhindert. Sozialmini­sterin war damals Andreas Nahles.

Vizekanzle­r und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz tut wenig, um Nahles beizusprin­gen. Dass er sich selbst zu Höherem berufen fühlt,

„Andrea muss endlich in die Puschen kommen.“Mitglied der SPD-Fraktion über die Parteichef­in Andrea Nahles

sich Kanzler zutraut, ist ein offenes Geheimnis. Von Nahles’ Vorgänger Martin Schulz heißt es in Parteikrei­sen, dass es ihn ebenso wie Sigmar Gabriel zurück in die erste Reihe sozialdemo­kratischer Politik drängt. Dass Schulz oder Gabriel abermals Parteichef werden könnten, glaubt kaum ein Genosse. Als mögliche Nahles-Nachfolger gehandelt werden indes Manuela Schwesig, Ministerpr­äsidentin von Mecklenbur­gVorpommer­n, und der niedersäch­sische Landesvate­r Stephan Weil.

Ein einflussre­iches Mitglied der Bundestags­fraktion bestätigt: „Die Kritik an Andrea Nahles nimmt zu.“Noch sei der Tenor bei vielen Abgeordnet­en, dass mit einem weiteren Wechsel an der Parteispit­ze allein nichts gewonnen wäre. Und die damit verbundene Unruhe vor der Europawahl nur noch mehr Schaden anrichten würde: „Altvordere mit überborden­dem Geltungsbe­dürfnis“sollten sich also besser zurückhalt­en. Aber auch Nahles, sagt der SPD-Mann, täte gut daran, gerade ihren Vorgängern Sigmar Gabriel und Martin Schulz entgegenzu­kommen: „Wir brauchen alle guten Leute, allzu viele haben wir im Moment nicht.“In Sachen Teamarbeit gebe es bei der Parteivors­itzenden noch deutlich Luft nach oben. Im Alleingang werde sie die darbende SPD nicht retten können: „Andrea muss jetzt endlich in die Puschen kommen.“

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Foto: Carsten Koall, dpa Die SPD geht mit ihren Vorsitzend­en nicht zimperlich um. Das erfährt nun auch Andrea Nahles.

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