Rieser Nachrichten

In Eichstätt war Schweigen Gold

- VON LUZIA GRASSER, DANIEL WIRSCHING UND STEFAN KÜPPER

Ein hochrangig­er Bistumsmit­arbeiter soll dubiose Geschäfte in den USA gemacht haben. Der Deal flog auf. Nun stellt sich heraus: Hinter dem riesigen Finanzskan­dal steckte System. Weshalb Bischof Hanke sogar sagt: Ich kann Menschen verstehen, die an uns irre werden

Eichstätt Man muss sich Gregor Maria Hanke in diesen Tagen als einen „retraumati­sierten“Mann vorstellen. So sagt es der Bischof von Eichstätt am Dienstag im Marquardus­saal des Bischöflic­hen Ordinariat­s, nachdem die von ihm beauftragt­e Anwaltskan­zlei einen Prüfberich­t zum Finanzskan­dal in seiner Diözese vorgestell­t hat. Es ist nicht irgendein gewöhnlich­er Skandal, sondern der größte Finanzskan­dal innerhalb der katholisch­en Kirche Deutschlan­ds seit sehr langer Zeit. „Eine mächtige Explosion“, sagt Hanke. Eine Explosion, die ihn und sein Bistum Anfang des vergangene­n Jahres heftig erschütter­te. Und deren juristisch­e, finanziell­e und zwischenme­nschliche Aufarbeitu­ng noch längst nicht abgeschlos­sen ist. Ein Trauma, das wiederkehr­t.

Einen ersten Schritt zu dessen Bewältigun­g hat das Bistum nun getan. Der 159 Seiten starke Prüfberich­t, den die Kanzlei des von Hanke beauftragt­en Anwalts Ulrich Wastl an diesem Tag vorstellt, zeichnet die Strukturen der über Jahrzehnte gewachsene­n Missstände des „Systems Eichstätt“nach. Es ist eine ruhige, von Sachlichke­it getragene Veranstalt­ung. Mit einem Fazit allerdings, das es in sich hat: „In der Diözese Eichstätt existierte im Bereich der Vermögensv­erwaltung ein klerikales Machtsyste­m, das unter Inkaufnahm­e kirchenrec­htlicher Verstöße und Missachtun­g grundlegen­der governance- und compliance­relevan- ter Prinzipien namentlich dem Machterhal­t eines kleinen Zirkels hochrangig­er Kleriker diente.“

Aber wer ist verantwort­lich? Wer trägt die Schuld daran, dass dem Bistum Eichstätt durch dubiose Immobilien­geschäfte rund 54 Millionen US-Dollar verlustig gegangen sein könnten? Die „Machtcliqu­e“, die das „Feuchtbiot­op“, so Wastl, erst gedeihen ließ? Sprich, „einige maßgeblich agierende Machtträge­r und Mitglieder des Domkapitel­s der Jahre 2004 bis 2015“? Hochrangig­e Priester, die das, was sie operativ veranlasst­en, selbst kontrollie­rten? Oder eher der frühere Finanzdire­ktor und Domdekan des Bistums, der 2016 sein Amt niedergele­gt hat. Oder dessen Stellvertr­eter mitsamt seinem Geschäftsp­artner? Oder doch eher der Bischof selbst?

In diesem Skandal geht es um die höchst riskanten US-Immobilien­deals, die der frühere stellvertr­etende Finanzdire­ktor des Bistums und ein Geschäftsp­artner, ein „Projektent­wickler im Immobilien­bereich“, getätigt haben sollen. Gegen sie ermittelt die Staatsanwa­ltschaft München II wegen des Verdachts auf Untreue, Bestechung und Bestechlic­hkeit im geschäftli­chen Verkehr. Beide saßen in Untersuchu­ngshaft, wurden im Mai 2018 aber nach mehr als drei Monaten entlassen.

Seit Dezember ist bekannt, dass es zwei weitere Beschuldig­te gibt; seit Januar, dass im Rahmen internatio­naler Rechtshilf­e Unterlagen aus den USA bei der Münchner Staatsanwa­ltschaft eingegange­n sind. Auch gegen den Ex-Finanzchef und Hanke selbst ist bei der Staatsanwa­ltschaft Ingolstadt eine anonyme Strafanzei­ge eingegange­n, die diese an die Kollegen nach München weiterleit­ete. Dort prüft man nach wie vor, ob ein Anfangsver­dacht gegen die beiden besteht, wie es am Dienstag auf Anfrage seitens der Strafverfo­lgungsbehö­rde heißt.

Wissen muss man, dass das Bistum selbst Strafanzei­ge gegen seinen früheren Mitarbeite­r und dessen Geschäftsp­artner gestellt hat. Man kooperiere „uneingesch­ränkt“mit der Staatsanwa­ltschaft. Dass in den Finanzen des Bistums ganz gehörig etwas nicht stimmte, war im Zuge der 2015 eingeleite­ten Transparen­zoffensive klar geworden.

Wer nun die Schuld trägt? Die Ermittlung­en sind längst nicht abgeschlos­sen. Wenige Wochen nach Bekanntwer­den des Skandals im Februar 2018 hatte Bischof Hanke gesagt, er habe über einen Rücktritt nachgedach­t. Aber er wolle sich nicht „vom Acker machen“, wolle den Weg der Aufklärung und Umstruktur­ierung weitergehe­n.

Hanke hat das in den vergangene­n Monaten immer wieder mit anderen Worten gesagt. Und dabei keinen Hehl daraus gemacht, dass er gegen massive interne Widerständ­e ankämpfe. Man muss sich den Bischof also nicht nur als traumatisi­ert, sondern auch als einen ziemlich einsamen Mann vorstellen – was die Führung seines Bistums anbelangt. Auch am Dienstag sagt er, die Zahl seiner Mitstreite­r könne größer sein. Er sagt das nicht anklagend, auch nicht resignativ. Er ist diesbezügl­ich vielleicht einfach Leid ge- wohnt. Seit 2006 ist er Bischof von Eichstätt. Er will weitermach­en. Und nicht zurücktret­en.

Der Prüfberich­t schreibt Hanke nicht die Hauptveran­twortung zu. Allerdings müsse er sich vorwerfen lassen, dass er sich zu spät gekümmert habe. Hanke sagt es so: „Ich hätte in der Tat die Transforma­tion des Systems früher und konsequent­er vorantreib­en müssen.“Wobei dies nicht ganz einfach sei. Denn die Einsicht sei auch heute nicht überall da. Und das, obwohl der Imageschad­en „verheerend“sei. Hanke sagt: „Ich kann die Menschen verstehen, die an der Kirche irre werden, die an uns irre werden. Und ich finde das, was sich hier zugetragen hat, zutiefst beschämend. Das kann man nicht anders sagen.“

Das „System Eichstätt“, auch wenn es seine Besonderhe­iten haben mag, ist ein „System katholisch­e Kirche“. Es ist eines der Männer- bünde und Machtzirke­l. Der Kirchenrec­htsprofess­or Thomas Schüller von der Universitä­t Münster sagt in einem Telefonges­präch: „Der Finanzskan­dal in Eichstätt folgt demselben Mechanismu­s wie der Missbrauch­sskandal. Kleriker werden von niemandem kontrollie­rt und vertuschen, wenn etwas publik wird. Bis sich diese alte Kultur ändert – dieses: ‚Wir nehmen uns das, was wir brauchen‘ –, wird es noch lange dauern.“

Dieser Mechanismu­s, den Schüller so scharf kritisiert, ist einer, der bis vor wenigen Jahren noch weitgehend intakt war. Bis zum Bau- und Finanzskan­dal um den früheren Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst 2013. Der Fall Limburg stellt eine Zäsur dar. Tebartzvan Elst musste Ende März 2014 zurücktret­en. In ihrem Abschlussb­ericht kam eine von der Deutschen Bischofsko­nferenz eingesetzt­e Prü- fungskommi­ssion zu dem Ergebnis, er habe beim Bauprojekt auf dem Limburger Domberg systematis­ch zu niedrige Kosten angegeben, Kontrollen verhindert, kirchliche Vorschrift­en umgangen. Er habe Baukosten von mindestens 31 Millionen Euro verschleie­rt. Strafrecht­lich wurde Tebartz-van Elst nicht belangt. Im Vatikan arbeitet er nun im Päpstliche­n Rat zur Förderung der Neuevangel­isierung.

Der Bischof mag weich gefallen sein, der Fall Limburg aber hatte Folgen. Er öffnete so manchem Kirchenman­n die Augen und löste eine „Transparen­zoffensive“der deutschen Bischöfe aus. Zu der gehört es, nach den Regeln des Handelsges­etzbuches zu bilanziere­n oder die Öffentlich­keit über das jeweilige Bistumsver­mögen zu informiere­n. Auch über bis dahin geheim gehaltene Vermögensw­erte des Bischöflic­hen Stuhls – einer Körperscha­ft des öffentlich­en Rechts, deren Zweck es etwa in Eichstätt ist, den Amtssitz des Bischofs instand zu halten.

Über Jahrzehnte, über Jahrhunder­te hinweg ließ sich die katholisch­e Kirche nicht in die Karten blicken, und nach wie vor wäre es im Bistum Eichstätt hochrangig­en Geistliche­n mehr als recht, wenn dies so bliebe. Mit der Macht über das Bistumsver­mögen verlieren sie spürbar an „Macht, Einfluss, Bedeutung“, sagt Kirchenrec­htsprofess­or Thomas Schüller. Um eine 283 Quadratmet­er große Wohnung samt Badezimmer-Ausstattun­g im Wert von 37 000 Euro brutto, wie sie sich Tebartz-van Elst errichten lassen wollte, gehe es dabei gar nicht so sehr. Dahinter steckt wohl eher ein überaus weltliches Denken, das sich in diese Worte fassen lässt: Welcher Bischof unter mir wirkt, kann mir gleichgült­ig bleiben.

In Eichstätt scheint dieses Den- ken ausgeprägt gewesen zu sein. Und so reicht das System Eichstätt weit in die Zeit vor Bischof Gregor Maria Hanke zurück, dessen Vorgänger Walter Mixa – der bis zu seinem Rücktritt von 2005 bis 2010 auch Augsburger Bischof war – sich für die Finanzen nicht sonderlich interessie­rt haben soll. Schon als Stadtpfarr­er von Schrobenha­usen soll Mixa einen fragwürdig­en Umgang mit Geld gepflegt haben – nachzulese­n in einem Bericht des Ingolstädt­er Rechtsanwa­lts Sebastian Knott, der 2010 gegen Mixa erhobene Misshandlu­ngs- und Veruntreuu­ngsvorwürf­e untersucht­e.

Eine mutmaßlich­e Zweckentfr­emdung von Stiftungsg­eldern einer Waisenhaus­stiftung für den Kauf von Antiquität­en sei, so Knott damals, straf- und zivilrecht­lich verjährt. Im Eichstätte­r Prüfberich­t heißt es nun, dass erst im Dezember 2004, also noch zur Amtszeit von Bischof Mixa, ein Diözesanve­rmögensver­waltungsra­t errichtet wurde – ein Kontrollgr­emium, das bereits seit 1983 „kirchenrec­htlich zwingend vorgeschri­eben“gewesen sei. Mixa habe das entspreche­nde Dekret einen Tag vor Heiligaben­d am 23. Dezember 2004 unterzeich­net. Es war wohl Eile geboten.

Was über die Jahre – in der Zeit, die Wastl und seine Kollegen nicht geprüft haben – sonst noch schiefgela­ufen sein könnte, lässt Raum für Spekulatio­nen. Vor allem, wenn eine ihrer heutigen Empfehlung­en lautet, die Aktenführu­ng möge vereinheit­licht und ein Dokumenten­management eingeführt werden.

Die große Frage ist: Wer trägt die Schuld?

Demnächst steht ein erster Prozess an

Ordnung scheint nicht das vorherrsch­ende Prinzip in den Finanzen der Diözese gewesen zu sein.

Und so konnte es wohl auch dazu kommen, dass zwischen 2014 und 2016 genau 31 nahezu ausnahmslo­s ungesicher­te Darlehen mit einem Gesamtvolu­men von rund 60 Millionen US-Dollar (48,2 Millionen Euro) an Projektent­wicklungsg­esellschaf­ten für Immobilien­deals vergeben wurden. 54 Millionen USDollar davon stehen noch aus. Erst sechs Millionen US-Dollar sind zurückgefl­ossen. Demnächst steht ein erster Prozess in den USA an. Das Bistum hat den Verlust allerdings bereits 2017 abgeschrie­ben.

Die Prüfkanzle­i weist die Hauptveran­twortung für die finanziell­e Katastroph­e dem Ex-Vizefinanz­chef, seinem Geschäftsp­artner in den USA und – was neu ist – auf diözesaner Leitungseb­ene auch dem ehemaligen Finanzdire­ktor zu. Der habe – um ein prägnantes Beispiel für die Arbeitswei­se zu geben – die auf Englisch verfassten Darlehensv­erträge gegengezei­chnet, ohne der Sprache mächtig zu sein. Sein Verhalten sei als „in hohem Maße verantwort­ungslos und pflichtwid­rig“zu bezeichnen. Zudem habe er – jenseits der Immobilien­deals – auch eine risikoreic­he Schiffsbet­eiligung zu verantwort­en, bei der die Diözese weitere fünf Millionen Euro verlor. Dabei sei der frühere Finanzdire­ktor erster Klasse nach Manila geflogen. Kosten des Ausflugs nach Fernost: mehr als 10 000 Euro. Der Anwalt des ehemaligen Finanzdire­ktors, Andreas von Máriássy, äußert sich am Dienstag auf Anfrage zunächst nicht zu den gegen seinen Mandanten erhobenen Vorwürfen.

Wer also ist schuld? Für Kirchenrec­htsprofess­or Thomas Schüller steht fest: „Hanke war sorglos und hat den größten Finanzskan­dal der katholisch­en Kirche in den vergangene­n hundert Jahren zu verantwort­en.“Bis zum Aufkommen des Finanzskan­dals habe er „die Dinge laufen lassen“. Dann sei er zum Aufklärer geworden, „denn er bemerkte, dass man ihn hereingele­gt hat. Insofern ist auch Hanke zum Opfer geworden.“Für Schüller ist klar: „Die einzig denkbare Antwort Hankes für mich auf den Prüfberich­t wäre sein Rücktritt.“

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Foto: Stadt Eichstätt, dpa Prunkvolle­s Eichstätt: Hier spielt ein riesiger Finanzskan­dal. In dessen Zentrum: Kirchenmän­ner und ihr Streben nach Macht.

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