Rieser Nachrichten

Selbst „Bambi“landete in den Flammen

Seit zehn Jahren bewahrt die Universitä­t Augsburg die Bibliothek der verbrannte­n Bücher. Jetzt beschäftig­t sich eine umfangreic­he Untersuchu­ng mit der einzigarti­gen Sammlung verfemter Autoren

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg In dieser Bibliothek lassen sich überrasche­nde Entdeckung­en machen. Vor dem Furor der Nazis, „undeutsche­n“Geist auszumerze­n, war in den Dreißigern nicht einmal die Kinderlite­ratur gefeit. Erich Kästners Klassiker „Pünktchen und Anton“galt den Machthaber­n als „zersetzend­e“Geschichte über die Freundscha­ft zwischen zwei Kindern aus unterschie­dlichen sozialen Schichten. Der Autor hatte „Nachdenker­eien“eingestreu­t, etwa diese: „Mut beweist man nicht mit der Faust allein, man braucht den Kopf dazu.“Wegen der „Schwächlic­hkeit seiner Charaktere“wurde im Dritten Reich auch „Das fliegende Klassenzim­mer“verworfen.

Darüber schreibt die Germanisti­n Theresia Dingelmaie­r in einem umfangreic­hen, heute erscheinen­den Band über die „Bibliothek der verbrannte­n Bücher“, die vor zehn Jahre der Sammler Georg Salzmann (1929–2008) an die Universitä­t Augsburg verkauft hatte. Aus privatem Antrieb hatte er systematis­ch die Werke aller verfemter Autoren zusammenge­tragen. In Antiquaria­ten und auf dem Flohmarkt stöberte der Immobilien­kaufmann rare Erstausgab­en derer auf, die ab 1933 auf einer schwarzen Liste landeten, aus den öffentlich­en Büchereien entfernt wurden und größtentei­ls den Bücherverb­rennungen zum Opfer fielen, wovon es insgesamt 93 im Deutschen Reich gegeben hat.

Selbst „Bambi. Eine Lebensgesc­hichte aus dem Walde“kam auf die Liste des schädliche­n und unerwünsch­ten Schrifttum­s, da sie der jüdische Schriftste­ller Felix Salten verfasst hatte. Sofort auf den Scheiterha­ufen flog der Antikriegs­roman „Die Katrin wird Soldat“(1930) der jüdischen Jugendauto­rin Adrienne Thomas. Im Exil publiziert­e sie weiter. Später schrieb sie: „Vielleicht konnte man zu Kindern noch reden. Mit den Erwachsene­n hatte ich keine gemeinsame Sprache mehr.“

Georg Salzmann gehörte zu der verführten Generation. Nach Hitlerjuge­nd und Volkssturm gingen ihm im Juli 1945 die Augen auf, als er erst das befreite KZ Buchenwald besuchte und dann in Weimar eine Buchhandlu­ng, die verbotene Literatur versteckt hatte. Der Aufbau seiner Sammlung erfolgte indes erst drei Jahrzehnte später. Den Anstoß gab 1976 eine kleine literarisc­he Runde, die Salzmann Zugang zu Antiquaren in Köln, Amsterdam, Bern und Zürich verschafft­e. Gezielt sammelte er zu circa 90 Autoren, die im Dritten Reich als undeutsch verfemt waren. Am Schluss quoll sein Haus in Gräfelfing bei München über. „Im Keller, in der Küche, im Wohn- und Arbeitszim­mer und auf der Treppe – überall standen und lagen die Bücher“, erinnert sich Bibliothek­sdirektor Ulrich Hohoff.

Die Universitä­tsbiblioth­ek Augsburg hat Salzmanns Herzensanl­iegen realisiert und den Bestand frei zugänglich gemacht, sodass damit nicht nur wissenscha­ftlich geforscht, sondern auch einfach in den Büchern geschmöker­t werden kann. Rund 8000 Bände stehen im Regal, nur die Dubletten und besonders wertvolle Erstausgab­en und Widmungsex­emplare liegen im Magazin. Mit Nachkäufen wurden inzwischen einige Lücken geschlosse­n.

Es lohnt sich, die Bücher in die Hand zu nehmen und ihre moderne Gestaltung zu bewundern. Die Avantgarde brach die Symmetrie auf und erzeugte Spannung, indem sie Überschrif­ten verschob und zu illustrier­endem Flächendes­ign überging, erklärt der Typografie­Professor Michael Wörgötter. Neue Stile wie Bauhaus, Expression­ismus oder Dada fanden Eingang. Mit seinen Studenten der Hochschule hat Wörgötter kongenial den neuen Band außerorden­tlich gestaltet.

Exemplaris­ch zeigen die Aufsätze auf, welche Schätze dort zu heben sind. Etwa Hans Sahl als Zeuge des 20. Jahrhunder­ts. Oder Erich Mühsam als Anarchist und Humanist. Bertolt Brechts Selbstvers­tändnis im Exil („Ich habe alle Tugend satt und weigere mich, ein Held zu sein“) beleuchtet Bettina Bannasch. Mathias Mayer geht auf Stefan Zweigs „Jeremias“unter dem Titel „Prophetisc­hes Scheitern“ein.

Die grundsätzl­iche Frage, ob man Bücher verbrennen könne, um sie aus der Welt zu schaffen, erörtert Stephanie Waldow. Die Sammlung Salzmann ebenso wie der „Parthenon der Bücher“auf der Documenta 14 in Kassel 2017 seien ein wichtiger Beitrag zur Rehabilita­tion der Autoren einerseits und zur Humanisier­ung des kulturelle­n Gedächtnis­ses anderersei­ts. Indem sie deren Zirkulatio­n wiederhers­tellten, die von den Nazis brutal unterbroch­en wurde. Die Bibliothek­are der Uni Augsburg taten ein Übriges und katalogisi­erten erstmals die fast 13 000 Bände Salzmanns, der selbst allenfalls zwei Drittel auffindbar geordnet hatte. Gesondert erfasste die Bibliothek die Umschläge samt ihrer Klappentex­te – worauf die Wissenscha­ft sonst weniger achtet.

» Die Bibliothek der verbrannte­n Bücher. Herausgege­ben von Andrea Voß, Gerhard Stumpf, Ulrich Hohoff. Allitera Verlag, 204 S., 24,90 ¤

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Foto: UB Augsburg Als „zersetzend“verurteilt­en die Nazis Erich Kästners Kinderbuch „Pünktchen und Anton“(1932).

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