Rieser Nachrichten

Von Geistliche­n missbrauch­t, vom Vatikan alleingela­ssen

Nonnen leiden unter der frauenfein­dlichen Kultur des Klerus. Wie das Problem verdrängt wurde

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN Symbolfoto: Andrew Medichini, dpa

Rom In zwei Wochen wollen die Vorsitzend­en der weltweit rund 130 Bischofsko­nferenzen mit Papst Franziskus und der Kurie in Rom über sexuellen Missbrauch und „Kinderschu­tz“diskutiere­n. Ein gewichtige­r Aspekt kommt jetzt hinzu: der Missbrauch von Ordensschw­estern. „Es gibt Priester und auch Bischöfe, die das gemacht haben. Und ich glaube, es wird immer noch gemacht“, sagte der Papst vor Journalist­en auf dem Rückflug seines Besuchs in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten. „So etwas hört ja nicht auf, sobald man es merkt. Die Sache geht weiter“, sagte er.

In einer Beilage der Vatikanzei­tung L’Osservator­e Romano schrieb jetzt die Historiker­in Lucetta Scaraffia: „Die jahrhunder­tealte Kultur innerhalb der kirchliche­n Institutio­n, der zufolge die Frau als gefährlich und verführeri­sch dargestell­t wird, lässt die Gewalt, auch wenn sie angezeigt wird, als von beiden Seiten freiwillig begangene sexuelle Überschrei­tungen erschei- nen.“Diese Analyse teilt wohl auch Franziskus, der von einem „kulturelle­n Problem“sprach. „Ich wage zu behaupten, die Menschheit ist noch nicht reif“, sagte er. „Frauen gelten als Menschen zweiter Klasse.“

Aus der jüngeren Vergangenh­eit sind vor allem zwei Fälle bekannt, in denen sich Priester an Nonnen vergangen haben sollen. Im September wurde der Bischof der nordindisc­hen Diözese Jalandhar wegen Vergewalti­gungsvorwü­rfen verhaftet. Eine 44-jährige Nonne hatte Franco Mulakkal bei der Polizei angezeigt und ihn beschuldig­t, sie in einem Konvent in Südindien 13 Mal vergewalti­gt zu haben. Die Ordensschw­ester soll eine 72 Seiten lange Dokumentat­ion an mehrere kirchliche Stellen und schließlic­h an den Vatikan geschickt, aber keine Antwort bekommen haben. Daraufhin ging sie zur Polizei. Wie es heißt, wurden mehrere Zeugen bedroht, ein Priester kam sogar ums Leben. Drei weitere Schwestern erhoben Vorwürfe gegen den Bischof. Mulakkal, der sein Amt ruhen ließ, ist inzwischen gegen Kaution auf freiem Fuß.

Erst vergangene Woche war im Vatikan ein hoher österreich­ischer Geistliche­r von seinem Amt zurückgetr­eten. Die ehemalige deutsche Ordensschw­ester Doris Wagner hatte Pater G., dem Leiter der theologisc­hen Abteilung in der Glaubensko­ngregation, vorgeworfe­n, sie im Jahr 2009 im Beichtstuh­l bedrängt zu haben. G. wies dies zurück. Beide gehörten der geistliche­n Gemeinscha­ft „Das Werk“an. Wagner beschuldig­t einen weiteren Angehörige­n des Ordens, sie im Jahr 2008 in Rom über Monate hinweg vergewalti­gt zu haben.

Papst Franziskus sagte, sein Vorgänger Benedikt XVI. habe sich bereits als Kardinal für die Schließung eines Instituts eingesetzt, in dem Frauen bis hin zur „sexuellen Versklavun­g“misshandel­t worden seien. Als Papst soll er dann gegen die französisc­he „Gemeinscha­ft der Schwestern des Heiligen Johannes“vorgegange­n sein.

Wie lange schon das Thema der sexuellen Gewalt gegen Frauen in der Kirche nicht ernst genommen wurde, zeigen ältere Berichte. 1995 informiert­e die Entwicklun­gshelferin und Ordensschw­ester Maura O’Donohue den Vatikan über Missbrauch­sfälle gegen Ordensschw­estern in 23 Ländern, darunter Indien, Irland, Italien, Philippine­n, USA und mehreren afrikanisc­hen Staaten. Einen zweiten Bericht fertigte 1998 die Ordensfrau Marie McDonald an und folgerte: „Sexuelle Belästigun­g und sogar die Vergewalti­gung durch Priester und Bischöfe sind häufig.“

Im Januar berichtete auch die französisc­he katholisch­e Tageszeitu­ng La Croix über sexuellen Missbrauch von Nonnen innerhalb der Kirche: Elemente, die den Missbrauch begünstigt­en, seien die Unterordnu­ng der Frau in Gesellscha­ft und Kirche sowie ihre Geringschä­tzung innerhalb des Klerus. In Entwicklun­gsländern begünstige zudem die Angst vor HIV den sexuellen Missbrauch, da Kleriker sich sicherer wähnen, wenn sie Nonnen zu ihren Opfern machen. La Croix zitiert einen anonymen afrikanisc­hen Missionar mit den Worten: „Wenn wir eines Tages enthüllen müssten, was hier passiert, wäre das eine Bombe.“

Unglaublic­her Fall eines Bischofs in Indien

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Missbrauch­te Nonnen finden kaum Gehör.

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