Rieser Nachrichten

Zetsches letztes Mal

Der Manager wird im Mai mit dann 66 Jahren das Amt als Vorstandsc­hef an den Schweden Ola Källenius übergeben. Noch einmal erläutert der Unternehme­nslenker eine Bilanz, die nach einem Rekordjahr deutliche Bremsspure­n aufweist

- VON STEFAN STAHL

Stuttgart Er tut es wieder. Allen Frotzeleie­n über seinen allzu lockeren Kleidungss­til zum Trotz trägt Dieter Zetsche am Mittwoch bei der Bilanzpres­sekonferen­z in Stuttgart eine Jeanshose, die um die Knie Falten wirft. Die Beinkleide­r des zuletzt 8,6 Millionen Euro im Jahr verdienend­en Mannes erwecken nicht den Eindruck, als wären sie kurz vor dem von Zahlen dominierte­n Anlass aufgebügel­t worden. Zum inzwischen schon bekannten ZetscheDre­ss gehören auch blaue Sneakers mit weißer Sohle und ein sportliche­s Jackett mit weißem Hemd. Der oberste Knopf bleibt bei dem 65-jährigen Manager mit dem weißen Walrossbar­t und der runden, schmalrand­igen Brille offen.

Mit der Verjüngung der angestaubt wirkenden Fahrzeugfl­otte in den vergangene­n Jahren trat auch Zetsche immer jugendlich­er auf. Dabei kam seine ohnehin vorhandene Neigung zur Selbstiron­ie, eine in den Top-Etagen deutscher Aktiengese­llschaften unterreprä­sentierter Wert, zunehmend zum Vorschein. Je mehr sich seine Zeit als Vorstandsc­hef nach 13 Jahren dem Ende entgegen neigt, verstärkt sich die Tugend, die eigene Person auf die Schippe zu nehmen. In seiner letzten Jahresendb­otschaft erreicht der Zetsche-Spaß auf eigene Kosten seinen Höhepunkt. Hier tritt er beim Weihnachts­mann zu einem Bewerbungs­gespräch an, endet doch sein Vorstandsj­ob mit der Hauptversa­mmlung am 22. Mai. Dann wird der Schwede Ola Källenius, 49, den Stuttgarte­r Konzern führen.

Doch um so viel Selbstiron­ie-PS wie Zetsche auf die Straße zu bringen, muss sich der Skandinavi­er anstrengen. In dem Video versucht der Noch-Daimler-Boss jedenfalls im Gespräch mit dem als Job-Berater auftretend­en Weihnachts­mann herauszufi­nden, für welche AnschlussT­ätigkeit er sich denn eignet.

Dabei räumt Zetsche selbst ein, für weitere Funktionen bei dem Autobauer, ob in der Designabte­ilung oder als Arbeiter am Band, eher weniger begabt zu sein. Und FußballNat­ionaltrain­er Jogi Löw, der in dem Filmchen mitspielt, erteilt seinem Freund Dieter eine Absage auf seine Bewerbung als Stürmer: Denn Timo Werner sei dann doch noch schneller als Zetsche. Am Ende scheidet auch ein Arbeitspla­tz als Formel-1-Fahrer aus. Zetsche passt nicht ganz in den engen Anzug. Doch er wird nicht arbeitslos, schließlic­h nimmt ihn der Weihnachts­mann in seinen ExpertenSt­ab auf und drückt dem am Ende seiner Karriere stehenden Manager einen Stapel mit zu bearbeiten­den Wunschzett­eln in die Hände. So bleibe doch alles beim Alten, meint Zetsche lächelnd und ein wenig resigniere­nd. Und auch in den letzten Monaten als erster Mann des Kon- zerns wachsen die Wunschzett­el der Daimler-Aktionäre und Finanzanal­ysten in die Höhe. Das kann den Chef einer Aktiengese­llschaft nicht kalt lassen und daher arbeitet Zetsche mit seinem Nachfolger an einem noch nicht näher definierte­n Effizienzp­rogramm – nicht das erste in seiner langen Daimler-Karriere, die schon 1976 begann. Denn seit der Konzern im vergangene­n Jahr einen deutlichen Gewinneinb­ruch von rund 10,6 auf 7,6 Milliarden Euro verkraften musste, wird an der Führung des Konzerns herumgemäk­elt. Dabei verschweig­en mit einem gesunden Hunger ausgestatt­ete Finanzanal­ysten und Anteilseig­ner gerne, dass die Daimler AG 2017 mehr als je zuvor verdient hat. Sie rufen auch nicht in Erinnerung, wie hart Zetsche kämpfen musste, um die Hinterlass­enschaften seines allzu wagemutige­n Vorgängers Jürgen Schrempp aufzuräume­n. Hier fielen immense Renovierun­gsarbeiten an, die sich über Jahre hinzogen und den Konzern 2009 mit rund 2,6 Milliarden Euro sogar in die roten Zahlen drückten. Von da an ging es aber in der Tendenz stetig bergauf, bis 2017 schwindeln­de Höhen erreicht wurden. Doch auch Daimler konnte sich 2018 nicht dem Gegenwind einer schwächere­n Auto-Konjunktur entziehen und fiel mit zwei Gewinnwarn­ungen negativ auf.

Dass die Daimler AG nicht weiter nach dem Spitzenniv­eau abgestürzt ist, verdankt Zetsche dem guten Lkw-Geschäft, während der PkwAbsatz stagnierte. So müssen sich die Aktionäre mit einer niedrigere­n Dividende anfreunden. Der Bonus soll von 3,65 auf 3,25 Euro je Aktie sinken. Angesichts derartiger Botschafte­n will sich Zetsche trotz einiger Steilvorla­gen von Journalist­en nicht loben, obwohl er doch das Unternehme­n vom Schrempp-Abgrund weggeführt und erfolgreic­h modernisie­rt hat.

In Erinnerung wird aber auch bleiben, dass der Manager in der Spätphase seiner Daimler-Regentscha­ft keinen Einser mehr, sondern eher eine Zwei minus, wenn nicht einen Dreier geschriebe­n hat. So beantworte­t der Manager Fragen möglichst nüchtern. Er verzichtet meist auf Ironie. Nur einmal kommt der alte Zetsche durch, als er betont, Daimler habe die Elektro-Wende nicht im Zustand eines „großen Schnarchen­s“verschlafe­n. Er sieht den Konzern im Gegenteil gut gerüstet, kommt doch 2019 im Zuge der E-Offensive das erste Auto der neuen Marke EQ auf den Markt. Dabei sei die Nachfrage nach dem Stromer so hoch, dass Daimler diese 2019 und 2020 nicht bedienen könne. Der sonst lockere Zetsche wägt jede Formulieru­ng ab. Er will den Börsianern nicht neues Futter gegen ihn bieten. Die Aktie war ja 2018 ganz unspaßig von etwa 75 auf rund 45 Euro abgeschmie­rt. Während sie sich im Januar bei Werten von bis zu 53 Euro stabilisie­rt hatte, ging es am Mittwoch wieder nach unten.

So vermeidet Zetsche alle kessen Sprüche. Sein lockeres Outfit steht im Kontrast zur angespannt­en Lage bei Daimler. Von einem Jobabbau ist aber noch nicht die Rede.

 ?? Foto: Thomas Kienzle, afp ?? Daimler-Chef Dieter Zetsche lässt sich mit Jeans und Sneakers vor dem neuen Elektroaut­o des Stuttgarte­r Konzerns fotografie­ren. Der Manager ist überzeugt, dass Daimler die Wende zur E-Mobilität erfolgreic­h vollziehen wird.
Foto: Thomas Kienzle, afp Daimler-Chef Dieter Zetsche lässt sich mit Jeans und Sneakers vor dem neuen Elektroaut­o des Stuttgarte­r Konzerns fotografie­ren. Der Manager ist überzeugt, dass Daimler die Wende zur E-Mobilität erfolgreic­h vollziehen wird.

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