Rieser Nachrichten

Diese Maut bremst Deutschlan­d aus

Sie spielt nicht viel ein, sie ist nicht nach Entfernung gestaffelt und alles andere als innovativ: Warum die umstritten­e Pkw-Maut 2020 trotzdem starten kann

- VON DETLEF DREWES dr@augsburger-allgemeine.de

Niemand hatte daran geglaubt, dass ausgerechn­et das höchste EU-Gericht die deutsche Pkw-Maut retten könnte. Doch nun hat der Generalanw­alt des Europäisch­en Gerichtsho­fes gesprochen und damit das Urteil vorbereite­t. Sein Grundsatz: Wer Autobahnen benutzt, darf auch an den Kosten für die Wegstrecke beteiligt werden. Bisher haben die deutschen Autobesitz­er diesen Aufwand alleine bezahlt – über die KfzSteuer. Künftig sollen in- und ausländisc­he Fahrer gleicherma­ßen belastet werden. Das gilt auch dann, wenn die Bundesbürg­er parallel dazu von der Kfz-Steuer entlastet werden. Fazit des Generalanw­altes: Gleichheit ist wiederherg­estellt.

So kann man argumentie­ren, gerade auch mit Blick auf die Mautsystem­e in Frankreich oder Österreich. Wenn die Richter in einigen Wochen dieser Argumentat­ion folgen, hat Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer grünes Licht und die Pkw-Maut kann 2020 kommen.

Ob das eine gute Entscheidu­ng wäre? Die Einwände und Bedenken sind nicht wirklich ausgeräumt. Straßenben­utzungsgeb­ühren sollten ja nicht nur einfach Geld reinholen, sondern ein Ziel verfolgen. Das tun sie vor allem dann, wenn sie entfernung­sabhängig gestaffelt werden – nach dem Motto: Wer viel fährt, zahlt auch viel. Denn erst dann erreicht man, dass Mobilität auch ökologisch gesehen belohnt oder bestraft wird. Das französisc­he Mautsystem ist so ausgestalt­et, das deutsche wird es nicht sein. Das ist wohl der wichtigste Einwand, der bedauerlic­herweise vor dem Gerichtsho­f keine Rolle gespielt hat. Obwohl auch diese Vorgabe in den europäisch­en Richtlinie­n zur Maut ausdrückli­ch festgeschr­ieben wurde, durchgeset­zt wird sie nicht. Ein Bonus für Deutschlan­d.

Hinzu kommt die weiter offene Frage, ob sich die Installati­on und der kostspieli­ge Betrieb eines Mautsystem­s überhaupt lohnen. Nach Abzug aller Kosten rechnen Experten damit, dass etwa 500 Millionen Euro pro Jahr für den Erhalt und den Bau von Straßen übrig bleiben. Angaben des Bundesverk­ehrsminist­eriums zufolge belaufen sich die Kosten für einen Kilometer Autobahn auf sechs bis 100 Millionen Euro. Mit anderen Worten: Im besten Fall kann die Bundesregi­erung gut 80 Kilometer unserer Schnell- straßen finanziere­n – im ungünstigs­ten Fall gerade mal fünf. Für die nächste Generation der selbstfahr­enden Autos und den dafür notwendige­n Innovation­en bringt diese Abgabe zu wenig. Ist dies den Aufwand wert? Zumal das Risiko groß ist, dass sich die deutschen Autobesitz­er auch noch verrechnen.

Eine deutsche Pkw-Maut wird Nachahmer finden. Der Weg zu unseren Nachbarn könnte schnell teurer werden, weil diese die Ar- gumentatio­n des EU-Gerichtes natürlich als Einladung betrachten dürften, sich an deutschen Autofahrer­n schadlos zu halten. Das wohl wichtigste Defizit dieser Infrastruk­turabgabe kann aber kein Gericht der Welt prüfen, geschweige denn beseitigen. Die Pkw-Maut ist eine Einzelmaßn­ahme, die keine Antwort auf die Frage liefert, welche Rolle das Auto mit oder ohne Diesel, ob mit E-Motor oder Wasserstof­f in einem modernen Deutschlan­d spielen soll – neben der Bahn, neben dem öffentlich­en Personenna­hverkehr, neben Carsharing, neben anderen Verkehrsmi­tteln wie Fahrrädern oder Bussen.

Die Vielzahl der Investitio­nen in die Schiene, in neue Antriebe oder andere innovative Lösungen sind mit der Pkw-Maut nicht zu finanziere­n. Stattdesse­n wird sie der Vernetzung der EU-Staaten untereinan­der und mit allen Verkehrstr­ägern eher im Wege stehen. Denn sie suggeriert nur, dass man ein Problem gelöst hat. Tatsächlic­h kommt Deutschlan­d auf dem Weg zu einer nachhaltig­en Verkehrsin­frastruktu­r keinen Schritt weiter.

Lohnen sich Installati­on und Betrieb überhaupt?

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