Rieser Nachrichten

Emotionale Bilder, dubiose Geschäfte

Die „Kinderkreb­shilfe Bayern“gab vor, Spenden für den guten Zweck zu sammeln. Doch zwei Gründer des Vereins sollen Gelder abgezweigt haben. Nun sitzen sie vor Gericht

- VON JAN KANDZORA

Augsburg Der Verein warb mit emotionale­n Bildern um Geld, und das gelang ihm ziemlich gut. „Diagnose: Sterbenskr­ank“hieß es etwa in der Überschrif­t einer Anzeige in einem Wochenblat­t, auf der ein Kleinkind mit traurigem Blick abgebildet war. Und natürlich das Spendenkon­to genannt wurde. Die Website der „Kinderkreb­shilfe Bayern“mit Sitz in Adelsried (Landkreis Augsburg) selbst war profession­ell gestaltet, mit wenigen Klicks war man im Spendenber­eich. Das Problem: Von all dem Geld kam kaum etwas bei kranken Kindern an.

Zwei ehemalige Vorstandsm­itglieder, eine heute 50 Jahre alte Frau und ihr 39 Jahre alter, getrennt lebender Ehemann, müssen sich seit Donnerstag vor einem Schöffenge­richt des Augsburger Amtsgerich­tes verantwort­en. Sie sollen große Teile der Spendengel­der für private Zwecke missbrauch­t haben. Zwischen Januar 2016 und Oktober 2017 sammelte der Verein in 152 Fällen Gelder von Privatpers­onen, Unternehme­n, Vereinen, Initiative­n, kirchliche­n Gruppen. Staatsanwä­ltin An- drea Hobert muss jeden einzelnen Fall aufzählen, es dauert gut eine halbe Stunde. Eine Sportlerin organisier­te eine Benefiz-Show zugunsten der Kinderkreb­shilfe, über 4000 Euro wurden eingesamme­lt. Angehörige baten in einer Todesanzei­ge um eine Spende an den Verein statt um Blumen und Kränze. Eine Hotelkette ist auf der Spenderlis­te in der Anklagesch­rift vermerkt, ein Burschenve­rein, eine Computerfi­rma, eine Grundschul­e. Mehr als 166 000 Euro kamen in dem Zeitraum zusammen. Ein stolzer Betrag.

Erheblich kürzer ist eine andere Liste, die sich ebenfalls in der Anklagesch­rift finden lässt. Sie besteht aus sieben kurzen Punkten. Es sind die Einzelbetr­äge, die für „satzungsko­nforme Zwecke“eingesetzt worden sein sollen, also tatsächlic­h krebskrank­en Kindern zugutekame­n und Initiative­n, die sie unterstütz­en, teils auch Kliniken. Die Summe dieser Einzelbeit­räge ist im Vergleich zum eingesamme­lten Be- trag dürftig, sie beträgt rund 15 000 Euro. Was heißt: Mehr als 150 000 Euro sollen in den Taschen des Ehepaars verschwund­en sein. Ein heftiger Vorwurf. Was sagen die beiden Angeklagte­n dazu?

An diesem Prozesstag: nichts. Was ihr gutes Recht ist. Die angeklagte 50-jährige Frau verbirgt ihr Gesicht hinter einer schwarzen Mappe, als die Kameras der Fotografen klicken, vor und nach dem Prozess huscht sie geradezu fluchtarti­g durch das Gerichtsge­bäude. In einem früheren Zivilproze­ss am Landgerich­t wurde sie bereits dazu verurteilt, 39 000 Euro an den Verein zurückzuza­hlen. Der 39-jährige Mitangekla­gte hingegen wirkt gefasster; als die Sitzung unterbroch­en wird, bleibt er auf seinem Platz und wartet.

Im Publikum sitzen Menschen, die sich von der Kinderkreb­shilfe betrogen fühlen, darunter Verwandte von jungen Zwillingen, die beide an Leukämie erkrankten. Nach einem Spendenauf­ruf zahlte die Kinderkreb­shilfe tatsächlic­h Geld an die Familie – danach lief der Aufruf aber noch Monate weiter, obwohl die Familie nichts mehr von dem Geld erhielt. Die Verwandten sind wütend. Sie hoffe „auf eine gerechte Strafe“, sagt eine Frau.

Viel passiert an diesem Prozesstag allerdings nicht, denn die angesproch­ene Unterbrech­ung dauert letztlich gut drei Stunden. Richter Thomas Müller-Froelich regt ein Rechtsgesp­räch mit allen Parteien an, dann verschwind­en er, die Staatsanwä­ltin und die beiden Verteidige­r Udo Reissner und Guillermo Chillagano-Busl in einem Nebenraum, wo sie erst einmal eine Weile bleiben.

Mit dem Ergebnis, dass am kommenden Donnerstag, wenn der Prozess fortgesetz­t werden soll, ein möglicher Deal stehen und folgenderm­aßen aussehen könnte: Die Vorwürfe gegen beide Angeklagte­n werden beschränkt, bei der 50-Jährigen auf 59 Fälle der gewerbsmäß­igen Untreue, beim 39-Jährigen auf 28 Fälle; beide Angeklagte­n gestehen, dafür erhalten sie eine Bewährungs­strafe. Zudem schlug das Gericht vor, dass beide als mögliche Bewährungs­auflage jeweils 40 000 Euro an gemeinnütz­ige Organisati­onen zahlen. Vielleicht ja an eine, die krebskrank­e Kinder unterstütz­t.

Nur wenige Spenden gingen an krebskrank­e Kinder

 ?? Foto: Tobias Hase, dpa ?? Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, bricht für die Eltern eine Welt zusammen. Viele Menschen wollen den Familien helfen und spenden Geld.
Foto: Tobias Hase, dpa Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, bricht für die Eltern eine Welt zusammen. Viele Menschen wollen den Familien helfen und spenden Geld.

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