Corona – von ganz oben bis ganz unten
Das Virus und die geltenden Ausgangsbeschränkungen ziehen Folgen nach sich, die vorher kaum einer geahnt hätte. Manche sind amüsant, andere erschreckend
Augsburg Es ist schon beachtlich, was das Coronavirus innerhalb kürzester Zeit schon alles mit uns angestellt – von den tatsächlich erkrankten Menschen einmal abgesehen: Wir warten neuerdings sehnsüchtig auf die nächste Klopapierlieferung im Supermarkt. An der Kasse halten wir artig Abstand und die Karte zum Bezahlen durch ein Loch in einer Plexiglasscheibe. Und auf der Straße beschleicht uns ein schlechtes Gefühl, wenn uns der Nachbar entgegenkommt und wir mehr Worte als nur ein „Hallo“wechseln wollen.
Die geltenden Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote erzielen ihre Wirkung in sämtlichen Bereichen des Lebens – und gleichzeitig führen sie uns in unzähligen Situationen die eigene Hilflosigkeit, die Unsicherheit im Umgang mit Gesetzestexten oder die Abgründe menschlichen Verhaltens vor Augen. Das beweist in diesen Tagen auch der Blick in die Presseberichte der bayerischen Polizei, die vor Meldungen über Verstöße – bewusste wie unbewusste, schlimme wie weniger schlimme – gegen die geltenden Regeln nur so strotzen. Manche davon sind zum Schmunzeln, andere zum Kopfschütteln oder sogar abstoßend. So wie die Meldung über den 33-Jährigen, der in München einen Fahrkartenautomat und Griffe einer U-Bahn abgeleckt hat, um nach eigener Aussage das Coronavirus zu verbreiten. Oder die über einen Neu-Ulmer, der einem Passanten den Mundschutz vom Gesicht riss und ihn anspuckte.
Kein Vergleich dazu, aber ebenfalls nicht rechtens, war das Verhalten einiger Bergwanderer im Allgäu. Diese drängten sich laut Polizei „dicht an dicht“am Gipfelkreuz des Riedberger Horns und verstießen damit gegen die festgelegten Abstandsregeln. Demnach sollen sich die Menschen, wenn sie denn nicht in einem Haushalt leben, in der Öffentlichkeit nicht näher als eineinhalb Meter kommen. Das Problem der Wanderer: Auf einem Gipfel ist bekanntlich nur begrenzt Platz. Das Problem der Ordnungshüter: Das Fehlverhalten am Gipfel hatte lediglich die Besatzung eines Rettungshubschraubers beobachtet – die Polizei am Boden konnte erst verspätet im Tal eingreifen. Dort erwischten die Beamten an einem Parkplatz lediglich noch zwei Pärchen, die gemeinsam unterwegs waren, das aber nicht hätten tun dürfen. Sie erwartet nun ein Bußgeld.
Gleiches gilt für zwei Frauen und einen Mann aus Unterfranken, die sich die täglichen Aufgaben auf unerlaubte Art und Weise aufgeteilt hatten. Um Einkäufe erledigen zu können, hatte die eine Frau ihre Kinder zur Betreuung kurzzeitig in die Obhut ihrer Schwester und deren Lebensgefährten gegeben. Das war falsch. Die richtige Lösung wäre gewesen, die Schwester oder ihren Partner zum Einkaufen zu schicken und sie die Waren dann vor der Haustüre ablegen zu lassen.
Was richtig ist, und was nicht, darüber waren sich auch die Helfer des BUND Naturschutz zunächst nicht ganz im Klaren. Dürfen sie denn in den kommenden Wochen, wie jedes
im Frühjahr, wandernden Fröschen und Kröten über die gefährlichen Straßen des Freistaates helfen? Ja, fanden sie schließlich heraus. Denn „Handlungen zur Versorgung von Tieren“sind in der Allgemeinverfügung des Gesundheitsministeriums ausdrücklich als Ausnahme aufgeführt und das Kontrollieren von Froschzäunen gehe als Spaziergehen durch.
Stichwort Ausnahmen: Solche würden in diesen Zeiten sehr viele Menschen für sich gerne in Anspruch nehmen, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd-West in Kempten. So sei gerade im Allgäu die Autofahrt in die Berge sehr beliebt, aber in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen eigentlich nicht vorgesehen. Physische und soziale Kontakte zu anderen MenJahr schen sollten schließlich auf ein absolut nötiges Minimum reduziert werden. Dass das selbst in den Bergen schwierig sein kann – siehe Riedberger Horn. „Einige Menschen verlieren aber offenbar, wenn es um ihre eigene Freiheit geht, das große Ganze aus den Augen“, sagt der Sprecher. Aus diesem Grund und angesichts des aktuell schönen Wetters sprach am Freitag auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ein Machtwort: „Es ist nicht der Sinn der Sache, wenn Leute zuhauf über 50 oder 100 Kilometer meinen, in die Berge fahren zu müssen. Da rate ich dringend davon ab“, sagte Herrmann im Bayerischen Rundfunk.
Das lässt sich wohl auch für die Menschen sagen, die derzeit mit ihren Hamsterkäufen die Supermarktregale leeren – und schon wären wir wieder bei anfangs erwähntem Klopapier. Weil dieses zeitweise zu einem raren Gut geworden ist, steigen vielerorts Menschen auf alternative Hygieneartikel zurück. Unter anderem in Neu-Ulm, wo das allerdings die städtische Kanalisation an ihre Grenzen bringt. Zuletzt seien dort vermehrt Feucht-, Kosmetik- oder Küchentücher gefunden worden, was die Pumpen überfordern, zu Ausfällen führen und den Reinigungsprozess in der Kläranlage behindern könne, warnen die Experten von der Stadtentwässerung.
Egal, ob ganz oben auf dem Allgäuer Gipfel oder ganz unten in der Kanalisation: Es ist schon beachtlich, was das Coronavirus innerhalb kürzester Zeit schon alles mit uns angestellt hat.