Eine stärkere Gottesbindung
Im Moment befinden wir uns in einer schlimmen Krise, verursacht durch ein Virus. Diese Krise ist weltweit und führt Staaten an ihre Leistungsgrenzen. Vor allem aber gibt es viele persönliche Schicksale von Menschen, die in verschiedener Hinsicht in existenzielle Bedrängnis geraten. Für gläubige Menschen kommt noch hinzu, dass sie auf die gemeinsame Feier ihres Glaubens im Gottesdienst verzichten müssen. Auch das Osterfest werden wir nicht in gewohnter Form miteinander feiern können – für mich fast noch nicht zu begreifen. Gerade in dieser schweren Zeit wäre die physische Gemeinschaft der Glaubenden so wichtig. Ich weiß aus so manchem Telefonat dieser Tage, wie sehr das viele schmerzt, ja fast das Herz zerreißt.
In den letzten Tagen ist mir spontan die biblische Überlieferung vom Volk Israel im babylonischen Exil im sechsten vorchristlichen Jahrhundert in den Sinn gekommen. Das Volk Israel fern der Heimat, fern vom Tempel als dem Ort der Gottesverehrung. Eine Zeit tiefer Erschütterung, der Krise, aber auch des Nachdenkens. Auch manche von uns haben das schmerzliche Empfinden: Der Tempel ist uns genommen. Die Versammlung des Volkes Gottes, der sonntägliche Kirchgang, um Gott die Ehre zu geben und ihn anzubeten, ist uns genommen. Aber im Nachhinein hat das Volk Israel die bittere Erfahrung des Exils als eine Zeit der Läuterung verstanden. Vielleicht wird uns durch den vorübergehenden Verlust erst wieder die volle Bedeutung des Sonntags und der Feier der Eucharistie bewusst. Vielleicht bietet gerade diese schwere Zeit die Möglichkeit zum Gebet und zur Intensivierung der persönlichen Gottesbeziehung.
Vielleicht bekommen wir vom Herrn die Augen geöffnet, worauf es im Leben wirklich und entscheidend ankommt. Bestürmen wir den Himmel, dass diese gegenwärtige Prüfung bald ein Ende nehme und wir uns wieder leibhaftig begegnen können.