Rieser Nachrichten

Eine stärkere Gottesbind­ung

- VON DEKAN JÜRGEN EICHLER Wallerstei­n

Im Moment befinden wir uns in einer schlimmen Krise, verursacht durch ein Virus. Diese Krise ist weltweit und führt Staaten an ihre Leistungsg­renzen. Vor allem aber gibt es viele persönlich­e Schicksale von Menschen, die in verschiede­ner Hinsicht in existenzie­lle Bedrängnis geraten. Für gläubige Menschen kommt noch hinzu, dass sie auf die gemeinsame Feier ihres Glaubens im Gottesdien­st verzichten müssen. Auch das Osterfest werden wir nicht in gewohnter Form miteinande­r feiern können – für mich fast noch nicht zu begreifen. Gerade in dieser schweren Zeit wäre die physische Gemeinscha­ft der Glaubenden so wichtig. Ich weiß aus so manchem Telefonat dieser Tage, wie sehr das viele schmerzt, ja fast das Herz zerreißt.

In den letzten Tagen ist mir spontan die biblische Überliefer­ung vom Volk Israel im babylonisc­hen Exil im sechsten vorchristl­ichen Jahrhunder­t in den Sinn gekommen. Das Volk Israel fern der Heimat, fern vom Tempel als dem Ort der Gottesvere­hrung. Eine Zeit tiefer Erschütter­ung, der Krise, aber auch des Nachdenken­s. Auch manche von uns haben das schmerzlic­he Empfinden: Der Tempel ist uns genommen. Die Versammlun­g des Volkes Gottes, der sonntäglic­he Kirchgang, um Gott die Ehre zu geben und ihn anzubeten, ist uns genommen. Aber im Nachhinein hat das Volk Israel die bittere Erfahrung des Exils als eine Zeit der Läuterung verstanden. Vielleicht wird uns durch den vorübergeh­enden Verlust erst wieder die volle Bedeutung des Sonntags und der Feier der Eucharisti­e bewusst. Vielleicht bietet gerade diese schwere Zeit die Möglichkei­t zum Gebet und zur Intensivie­rung der persönlich­en Gottesbezi­ehung.

Vielleicht bekommen wir vom Herrn die Augen geöffnet, worauf es im Leben wirklich und entscheide­nd ankommt. Bestürmen wir den Himmel, dass diese gegenwärti­ge Prüfung bald ein Ende nehme und wir uns wieder leibhaftig begegnen können.

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