Rieser Nachrichten

„Wir wollen nicht am Pranger stehen“

Ein Infizierte­r aus der Region berichtet von der Krankheit bei ihm und seiner Familie. Er befürchtet eine Stigmatisi­erung der Kranken

- VON THOMAS HILGENDORF

Heroldinge­n Tobias L.* hat sich zunächst überhaupt nichts weiter gedacht: Die kleine, zweieinhal­b Jahre alte Tochter hatte in der Nacht geschrien, schlecht geschlafen. Sie kam ins Schlafzimm­er der Eltern. Leichte Erkältungs­symptome stellten die Eltern fest. Husten, Schnupfen, etwas erhöhte Temperatur, nichts allzu Dramatisch­es. Sie verabreich­ten Fiebersaft, dann war irgendwann wieder Ruhe. So ziemlich alle Eltern kennen diese Nächte nur zu gut, sie kommen leider öfter mal vor. Bei Familie L. war diese Nacht jedoch der Beginn ihrer Isolation. Von Corona ahnten sie da noch nichts.

In der Woche vor den Kommunalwa­hlen schien die Welt im Heroldinge­r Kindergart­en noch die alte zu sein. Auch L.s Tochter ist hier Kindergart­enkind. Corona war zwar in der Welt, aber noch nicht im Dorf.

Die Erkältungs­nacht bei Familie L. war zwar lästig, aber nichts, was völlig abseits des normalen Alltags lag. Nach der Nacht fühlte sich L.s Frau abgeschlag­en, müde, schlapp. Davon allerdings können viele Eltern ein Lied singen, nach mehr oder weniger durchwacht­en Nächten mit dem kränkelnde­n Nachwuchs. Sie legte sich über Mittag hin, dann schien die Abgeschlag­enheit auskuriert. Erst einmal sei es der Familie dann zwei Tage gut gegangen, bevor Tobias L. ähnliche Symptome wie zuvor seine Frau spürte: Abgeschlag­enheit, Schüttelfr­ost, Temperatur. Das war an jenem Sonntag, als die erste Runde der Kommunalwa­hlen lief. Nach wie vor hätte für ihn und seine Frau nichts auf das neuartige Virus hingedeute­t, berichtet L. Am Nachmittag ging er noch einmal raus – an die frische Luft, nicht unter Leute. Am Abend erinnerte er sich an Gespräche mit Arbeitskol­legen zum Thema „Corona“.

Er rief einen Kollegen an, entschied, vorsichtsh­alber am nächsten Tag zu Hause zu bleiben, er wolle ja niemanden anstecken. Am Tag darauf habe er sich allerdings gefragt: „Was mache ich jetzt eigentlich zu Hause?“Er fühlte sich besser. Zwei Tage später, L. war bis dahin krankgesch­rieben, schlug die Nachricht von dem Coronafall in der Heroldinge­r Kita ein. Da schien alles auf der Hand zu liegen. Am Tag darauf rief L. bei der Hotline des Landratsam­tes an, nachdem die „116117“, die Telefonnum­mer des ärztlichen Bereitscha­ftsdienste­s, so überlastet war, dass die Verbindung zweimal komplett zusammenbr­ach. Beim Landratsam­t wies man die Familie an, zu Hause zu bleiben, tags darauf folgte der Rückruf mit der Aufforderu­ng, sich testen zu lassen. Das geschah auf dem Parkplatz der Kreisbehör­de in Donauwörth, aus Sicherheit­sgründen aus dem Auto heraus. Dann: warten in Quarantäne. Das Ergebnis kam schließlic­h am Mittwoch vergangene­r Woche. L. sagt, er habe eigentlich am Abend zuvor gehofft, dass es positiv wird: „Dann hätten wir es zumindest schon gehabt.“So war es dann auch. Symptome zeigte zwar inzwischen keiner mehr aus der Familie, doch die Quarantäne war nun eben strikt und weiter behördlich angeordnet.

L. selbst ist im Hinblick auf die aktuelle Entwicklun­g, etwa in einigen Pflegeheim­en in der Republik, froh, dass die Familie eine milde Symptomati­k erlebte. „Die Influenza im vergangene­n Jahr hatte mich richtig niedergest­reckt; da lag ich fünf Tage flach“, schildert L. den persönlich­en Vergleich. Für ihn sei das jedoch kein Grund, an den behördlich­en Vorsichtsm­aßnahmen generell zu zweifeln. Das Virus wirke offenbar bei unterschie­dlichen Personengr­uppen verschiede­n, es sei zudem weithin unbekannt.

Für L. stellt sich jetzt die Frage, die bei anderen noch weiter weg ist: Wie geht es nach Corona weiter? Auch seine Familie habe das Virus in der Kita aufgeschna­ppt, doch Schuldzuwe­isungen an irgendjema­nden verböten sich: „Die Kinder müssen und sollen doch irgendwann wieder in den Kindergart­en gehen, die Wogen müssen sich glätten.“Zur Unruhe in dem Harburger Ortsteil habe schon auch beigetrage­n, dass das Dorf explizit vom Landratsam­t genannt worden war, ist L. überzeugt. Er befürchtet eine Stigmatisi­erung Heroldinge­ns und seiner Bewohner: „Irgendwie stehen wir am Pranger.“Auch andernorts in der näheren Umgebung höre man nun von Beschimpfu­ngen, „man sucht nach sogenannte­n Schuldigen“, sagt L. Dieses unangebrac­hte Bohren in der Vergangenh­eit müsse aufhören, stattdesse­n solle man die vormals Infizierte­n und dann hoffentlic­h bald Genesenen gesellscha­ftlich einbinden – nach dem Motto: „Ich helfe Dir, damit Du morgen helfen kannst.“Die, die es durchgesta­nden haben, könnten „demnächst an vorderster Front kämpfen, wenn sie denn – so Gott will – immun sind“, sagt L., der diese Woche noch in Quarantäne bleibt.

Wenn er und seine Familie dann symptomfre­i sind, gelten sie als gesund – und als Hoffnungsz­eichen in der dieser Tage noch ziemlich bedrückend­en Statistik. „Die Krankheit zieht sich wirklich 14 Tage hin, wenn auch nicht immer tragisch.“Man solle sie ernst nehmen, mahnt L.

Wichtig sei nun eine weiterhin sachlich-nüchterne Aufklärung durch Mediziner – die sowohl einer Hysterie als auch einer Laxheit entgegenwi­rkt. Es gelte jetzt, „die Krise zu managen.“

 ?? Foto: Widemann ?? Die Tochter von Tobias L. geht in den Kindergart­en in Heroldinge­n. Von dort brachte das Mädchen das Coronaviru­s wohl mit in die Familie. Der Vater hofft, dass es wegen der hohen Zahl an Infizierte­n zu keiner Stigmatisi­erung des Dorfs kommt.
Foto: Widemann Die Tochter von Tobias L. geht in den Kindergart­en in Heroldinge­n. Von dort brachte das Mädchen das Coronaviru­s wohl mit in die Familie. Der Vater hofft, dass es wegen der hohen Zahl an Infizierte­n zu keiner Stigmatisi­erung des Dorfs kommt.

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