Rieser Nachrichten

Reicht das Corona-Hilfspaket der EU?

Europa legt ein 500-Milliarden-Euro-Programm gegen die Wirtschaft­skrise auf. Die Finanzmini­ster sind zufrieden, doch schon jetzt gibt es erste Kritik am Vorgehen

- VON DETLEF DREWES, STEFAN LANGE UND MARGIT HUFNAGEL

Brüssel/Berlin Das Selbstlob der Finanzmini­ster wollte gar kein Ende nehmen: „Ein beispiello­ses Paket gegen die Krise von beispiello­sem Ausmaß“, nannte Eurogruppe­nChef Mario Centeno die Vereinbaru­ng. Deutschlan­ds Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sprach von einem „großen Tag europäisch­er Solidaritä­t“. Sein französisc­her Amtskolleg­e Bruno Le Maire von einer „ausgezeich­neten Vereinbaru­ng“. Drei Tage rangen die Euro-Finanzmini­ster miteinande­r. Das Ergebnis ist ein 540-Milliarden-Euro-Hilfspaket für Arbeitnehm­er, Unternehme­n, kleine und mittelstän­dische Betriebe sowie angeschlag­ene Staaten wie Spanien und Italien.

Enthalten sind drei Elemente: Vorsorglic­he Kreditlini­en des EuroRettun­gsschirms ESM von bis zu 240 Milliarden Euro, die besonders von der Pandemie betroffene­n Staaten zugutekomm­en könnten; ein Garantiefo­nds für Unternehme­nskredite der Europäisch­en Investitio­nsbank EIB, der 200 Milliarden

Euro mobilisier­en soll; und das von der EU-Kommission vorgeschla­gene Kurzarbeit­er-Programm namens „Sure“im Umfang von 100 Milliarden Euro. Zuletzt ging es nur noch um einen Knackpunkt: Bislang waren Kredite des ESM an umfassende Kontroll- und Reformmaßn­ahmen gebunden. Das wollte der italienisc­he Finanzmini­ster Roberto Gualtieri nicht akzeptiere­n. Am Ende verständig­te man sich darauf, dass die Überwachun­g unterbleib­t und die jetzt bereitgest­ellten Gelder nur für direkte und indirekte Gesundheit­skosten genutzt werden dürfen. Gleichzeit­ig muss sich jede Regierung aber um eine solide Haushaltsf­inanzierun­g bemühen.

Dieser Brückensch­lag schien nötig, damit sich auch Italiens Finanzmini­ster als Gewinner fühlen konnte. Gualtieri, der im Vorfeld der Beratungen immer wieder auf der Einführung der umstritten­en EuroBonds bestanden hatte, feierte allerdings noch einen Sieg: Die „europäisch­en Anleihen bleiben auf dem Tisch“, schrieb er triumphier­end auf Twitter. Das könnte stimmen. Denn zum beschlosse­nen Gesamtpake­t gehört auch ein Wiederaufb­au-Fonds (Recovery-Fonds), der langfristi­g für die wirtschaft­liche Erholung in den Mitgliedst­aaten sorgen soll. „Ein solcher Fonds wäre zeitlich befristet, zielgerich­tet und angemessen für die außerorden­tlichen Kosten der Krise“, heißt es in der Vereinbaru­ng. Italien und Spanien sehen darin eine prinzipiel­le Zusage für Bonds. Deutschlan­d, Österreich, die Niederland­e und Finnland wollen sie weiter verhindern, konnten aber auch noch nicht sagen, wie sie die erhoffte Finanzspri­tze von einer Billion Euro auf anderem Wege aufbringen wollen.

„Politisch war es gut, dass die Eurogruppe nicht ergebnislo­s auseinande­rging. Das Ergebnis bleibt aber zu schwach, um ökonomisch eine ernsthafte Antwort zu sein“, sagt der Finanzexpe­rte der GrünenEuro­pafraktion, Rasmus Andresen, gegenüber unserer Redaktion. Und selbst in der SPD ist man sparsam mit Lob für den eigenen Finanzmini­ster. So sieht der SPD-Vorsitzend­e Norbert Walter-Borjans in dem Paket lediglich einen ersten Schritt. „Gemessen an den Maßnahmen, die der Deutsche Bundestag allein für unser Land beschlosse­n hat, müssen für Italien und Spanien weitere Schritte folgen“, sagte WalterBorj­ans den Zeitungen der FunkeMedie­ngruppe. „Die Überzeugun­g bleibt, dass eine dauerhaft funktionie­rende Gemeinscha­ft mehr eigene Finanzhohe­it und gemeinscha­ftlich verbürgte Staatsanle­ihen zu klar definierte­n Bedingunge­n braucht.“

Deutliche Kritik kommt von der FDP. „Dass die Staaten für die ESM-Kredite aber keine konkreten Bedingunge­n erfüllen müssen, führt auf die schiefe Ebene“, sagt der finanzpoli­tische Sprecher der Partei, Florian Toncar. Der ESM ändere so langsam seinen Charakter. „Was als Hilfe zur Selbsthilf­e unter Auflagen konzipiert war, wird zu einem allgemeine­n Budgetinst­rument der Eurozone umgewidmet“, sagt Toncar, der zugleich Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Fraktion ist. Dies sei ein hoher, langfristi­g bleibender Preis. „Unterm Strich hat die Bundesregi­erung daher in den politische­n Streitfrag­en nichts erreicht“, urteilt der FDP-Politiker.

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