Rieser Nachrichten

Standortbe­stimmung statt Kontaktver­bot?

Um das öffentlich­e Leben langsam wieder zu normalisie­ren, wird viel über Corona-Apps gesprochen. Ihre Daten sollen aufzeigen, wer sich wann wo befindet. Dafür gibt es mehrere Möglichkei­ten – eine ist vielverspr­echend

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Wann kann das normale Leben langsam wieder beginnen? Eine Frage, nach deren Antwort sich momentan alle sehnen. Um das öffentlich­e Leben schrittwei­se wieder hochzufahr­en, wird derzeit oft über Corona-Apps diskutiert. Also Handyprogr­amme, die überwachen sollen, wer mit wem und wie lang Kontakt hatte. In Südkorea und Singapur hat das recht erfolgreic­h funktionie­rt. In Deutschlan­d regen sich bei vielen Menschen Datenschut­zbedenken, wenn sie davon hören. Aber gehen wir einen Schritt zurück. Warum ist es wichtig zu wissen, wer sich wann wo aufhielt? Hinter der Debatte um Corona-Apps steckt folgender Gedanke: Um die Ausbreitun­g des Virus zu verlangsam­en, ist es wichtig zu wissen, mit wem ein Infizierte­r Kontakt hatte, wen er angesteckt haben könnte. Momentan versuchen Gesundheit­sämter das herauszufi­nden. Sie befragen infizierte Patienten und informiere­n deren Kontaktper­sonen. Solange es nur wenige Infizierte gibt, geht das. Doch je mehr Menschen angesteckt sind, desto schwierige­r wird die Nachverfol­gung. Dazu kommt, die Nachverfol­gung ist lückenhaft. Jeder wird vermutlich nur die Kontaktper­sonen nennen, die er kennt. Was ist aber mit dem unbekannte­n Hintermann im Bus oder der Supermarkt-Kassiereri­n? Mithilfe der Technik könnte die Nachverfol­gung einfacher und die Lücken geschlosse­n werden.

Um Handynutze­r zu orten – also festzustel­len, wer wann wo war –, gibt es mehrere Methoden. Zum einen GPS. In den meisten Smartphone­s sind GPS-Empfänger eingebaut. Diese senden Signale an Satelliten und können dann über die Zeit, die das Signal zu den Satelliten und zurück benötigt, auf etwa zehn Meter genau bestimmen, wo auf der Welt sie sich befinden. Diese Standortda­ten kann ein Nutzer teilen – wenn er möchte. Eine andere Möglichkei­t, herauszufi­nden, wer sich wo aufhält, ist die Funkzellen­ortung – auch Paging genannt. Diese Art der Standorter­mittlung ist wichtig, um das Telefonnet­z am Laufen zu halten. Um etwa Anrufe zu übertragen, müssen die Funkmasten wissen, welcher Nutzer in welcher Funkzelle registrier­t und erreichbar ist. Um den Standort eines Handynutze­rs allerdings genauer zu bestimmen, sind die Daten von mehreren Funkzellen nötig. Legt man diese übereinand­er, nennt sich das Triangulat­ion. Anders als das Paging funktionie­rt die allerdings nicht automatisc­h. Dafür aber ebenfalls auf etwa zehn Meter genau.

Werden solche Standortda­ten in Echtzeit übertragen, spricht man von Tracking.

Nun gibt es aber mehrere Knackpunkt­e: Zum einen ist eine Genauigkei­t von zehn Metern etwas vage, wenn schon ein Sicherheit­sabstand von 1,5 Metern ausreicht, um eine Ansteckung­sgefahr mit dem Coronaviru­s maßgeblich zu verringern. Zum anderen kann mittels dieser Methoden zum Beispiel nicht unterschie­den werden, ob sich jemand auf der Straße oder im zweiten Stock eines Hauses aufhält. Deshalb kommt nun eine dritte Methode ins Spiel, die momentan auch sehr aussichtsr­eich erscheint, in Corona-Apps verwendet zu werden.

Entwickelt hat diese Methode die Initiative Pepp-PT. Die etwas sperrige Abkürzung steht für den noch sehr viel sperrigere­n Namen: PanEuropea­n Privacy Preserving Proximity Tracing. Das Projekt, in dem 130 Wissenscha­ftler und Experten aus ganz Europa zusammenar­beiten, verspricht, Kontakte nachzuverf­olgen und dabei den Datenschut­z zu gewährleis­ten. Kein Nutzer soll identifizi­erbar sein. Auch soll der Standort des einzelnen Nutzers nicht in Echtzeit übermittel­t – also getrackt – werden, sondern nur im Nachhinein nachverfol­gt werden können, mit wem ein Mensch Kontakt hatte – dann spricht man von Tracing.

Die beteiligte­n Experten haben folgendes System entwickelt, das über Bluetooth – und damit in einer sehr viel geringeren Distanz – funktionie­rt: Hält sich Person A für länger als 15 Minuten in einem geringeren Abstand als zwei Meter bei Person B auf und B hat die Anwendung ebenfalls auf ihrem Handy installier­t, tauschen die beiden Programme einen anonymisie­rten Code aus.

Jeder Handynutze­r speichert die so entstehend­en Kontaktdat­en für 21 Tage auf seinem Handy, ohne zu wissen, wer sich hinter den jeweiligen Codes verbirgt. Wird A innerhalb dieser 21 Tage positiv auf das Coronaviru­s getestet, kann sie an alle Personen in ihrem Kontaktver­zeichnis einen Hinweis verschicke­n – und zwar unabhängig davon, ob sich A und B wirklich kennen oder nur zusammen im Bus saßen. Auch ob eine Wand oder Glasscheib­e zwischen A und B verläuft, soll das System erkennen können. Die Kontaktper­sonen wüssten dann zwar, dass sie Kontaktper­sonen sind, aber nicht, wer der Infizierte ist. Der Datenschut­z wäre gewährleis­tet.

Das alles klingt weniger nach Überwachun­gsstaat als die Ortung einzelner Nutzer über Funkzellen oder GPS. Deshalb scheint sie auch die bevorzugte Methode des Gesundheit­sministeri­ums zu sein. Auch mehrere andere europäisch­e Regierunge­n – etwa in Italien, Dänemark, Frankreich – haben schon Interesse bekundet. Der Vorteil: Die Initiative entwickelt nur die Technologi­e. Diese wiederum kann jedes Land in eigene Handy-Apps einbauen. Die verschiede­nen Apps wären miteinande­r kompatibel – und würden somit auch die Möglichkei­t bieten, die Grenzen wieder zu öffnen.

Die Methode ist so gut wie fertig und wird momentan etwa vom Bundesamt für Informatio­nssicherhe­it und dem Chaos Computer Club überprüft. Der nächste Schritt wäre, in Deutschlan­d eine App zu veröffentl­ichen. Auch daran wird momentan gearbeitet. Wann diese App marktreif ist, ist nach Angaben des Bundesgesu­ndheitsmin­isteriums noch unklar. Sicher ist aber, dass mindestens 60 Prozent der Bevölkerun­g sich diese App auch auf das Smartphone laden müssten, damit sie ähnlich gut wirkt wie in Südkorea oder Singapur.

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Foto: Ch. Riedel, dpa Wer hat sich wann wo aufgehalte­n? Das zu wissen könnte helfen, die Verbreitun­g des Virus einzuschrä­nken.

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