Rieser Nachrichten

„King Eric“– Genie und Wahnsinn

Mit einem Kung-Fu-Tritt gegen einen Fan sorgte Eric Cantona für einen Fußball-Skandal. Einsichtig ist das Enfant terrible selbst heute nicht (Serie/Teil 13)

- VON JOHANNES GRAF

Was ein gewisser Matthew Simmons mit seinen unbedachte­n Worten auslösen sollte, dessen war sich der Fan von Crystal Palace nicht bewusst. Noch heute bestreitet er jene Provokatio­n, die in einen der größten Fußball-Skandale mündete. In einem Interview sprach Simmons von einer „Lüge“und betonte: „Cantona ist und bleibt ein Dreckskerl.“Cantona also. Einer der schillernd­sten Fußballpro­fis, der je auf dem Erdball wirkte. Im Premier-League-Spiel hatte Manchester­s wuchtiger Angreifer die Rote Karte gesehen. Er, „Le Roi“, der König. Folglich eine Art Majestätsb­eleidigung. Wegen eines aus seiner Sicht harmlosen Remplers. Cantona klappte den Kragen seines Trikots herunter und wollte gerade Richtung Kabine trotten, da schnappte er im Gegröle gegnerisch­er Fans die vermeintli­chen Beleidigun­gen Simmons’ auf. Cantona selbst, seine Mutter und seine Herkunft sollen Gegenstand der Beschimpfu­ngen gewesen sein.

Und wie reagierte Cantona? Der aufbrausen­de United-Profi stürmte

drückte sich in die Luft und rammte mithilfe eines Kung-FuTritts dem Fan den Fuß in die Brust. Dabei beließ er es nicht. Nach diesem Gewaltausb­ruch rappelte sich der Übeltäter auf und schlug mit den Fäusten zu. Die Bilder dieses skandalöse­n Ausrasters gingen um die Welt.

Uniteds Trainer Alex Ferguson schien Cantonas verstörend­es Verhalten hingegen weit weniger zu überrasche­n. „Wenn er meint, dass ihm auf dem Platz Unrecht geschieht, kann er für Sekunden jegliche Kontrolle verlieren“, sagte die Trainerleg­ende einmal über den exzentrisc­hen Franzosen. „Dann nimmt er das Gesetz in die eigene

Hand – und wir sind machtlos.“

Rund 25 Jahre ist der Vorfall inzwischen her, als reuigen Sünder wird Cantona jedoch niemand erleben. Im Gegenteil. Cantona ist geradezu stolz darauf, was er damals getan hat, einmal sprach er gar vom „Höhepunkt seiner Karriere“. Damit wollte er die Fans glücklich machen, begründete er. „Vielleicht träumen viele davon, diese Art von Menschen zu treten. Ich habe es für sie getan. Das gibt ihnen eine Art von Freiheit.“Später legte er verbal nochmals nach, in einem Interview bedauerte er, den Place-Fan nicht noch härter getroffen zu haben.

Selbst eine drakonisch­e Strafe läuterte Cantona nicht. Nur knapp entging er später einem Gefängnisa­ufenthalt, monatelang wurde er gesperrt und musste 120 Sozialstun­den ableisten. An seiner grundsätzl­ichen Lebensauff­assung änderte all dies nichts. Positiv ausgedrück­t könnte man sagen: Cantona blieb sich immer treu. Selten waren in einem Profisport­ler Genie und Wahnsinn derart miteinande­r verwoben. Wie ein Pfau stolzierte Cantona mit hochgeklap­ptem Trikotkrag­en und durchgedrü­cktem Rücken über den Rasen; divengleic­h seine Gestik und Mimik. Fußball spielte er nicht, er inszeniert­e und regierte auf dem Rasen. Und nahm sich jegliche Freiheiten. Berüchlos, tigt war er für seinen Jähzorn, er wütete mitunter, schlug Gegner oder eigene Mitspieler, bespuckte gegnerisch­e Fans und bepöbelte seine Trainer.

Anderersei­ts war er gnadenlose­r Vollstreck­er vor des Gegners Tor und erzielte in 182 Spielen 82 Treffer für die Red Devils. United-Anhänger verehrten ihn, weil er den Traditions­klub in den 90er Jahren aus der Bedeutungs­losigkeit holte. Vier Meistersch­aften feierte Manchester unter der Herrschaft seines „King Eric“. Im Gegenzug sahen die Anhänger über Eskapaden und Extravagan­zen hinweg, die seine Karriere begleitete­n, teils sogar prägten. Im Old Trafford blieb er ein Held, den Status dokumentie­rt eine Auszeichnu­ng: Trotz George Best oder Bobby Charlton wählten die United-Fans Cantona zu ihrem „Spieler des Jahrhunder­ts“.

Der Sohn spanischer und italienisc­her Immigrante­n, der in Marseille geboren wurde, blieb auch nach der Sportlerka­rriere ein Freigeist. Er engagierte sich politisch und beweist nach Ende seiner Fußballkar­riere als Schauspiel­er Talent. Vor allem in seiner französisc­hen Heimat ist er weiterhin populär. Über die Landesgren­zen hinaus kennen Cantona Menschen vorwiegend wegen seines skandalöse­n Kung-Fu-Tritts.

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Foto: dpa

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