Rieser Nachrichten

„Wir sind jederzeit voll handlungsf­ähig“

In der Krise steht die Regierung im Mittelpunk­t. Und was ist mit dem Parlament? Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus über die Arbeit der Abgeordnet­en in Corona-Zeiten, den CDU-Parteitag und die Zukunft

- Und was halten Sie von Steuersenk­unKarrenba­uer

Herr Brinkhaus, im Moment entsteht der Eindruck, dass das Parlament zuschauen muss, wie die Regierung den Kampf gegen Corona alleine führt. Der Bundestag ist gerade nicht wirklich gefragt, oder?

Brinkhaus: Krisen sind zwar immer Stunden der Exekutive. Doch der Bundestag ist mehr gefragt denn je. Deswegen waren wir als Parlament etwa bei den Rettungspa­keten nicht nur sehr intensiv eingebunde­n, sondern haben auch stark mitgestalt­et. Bereits bevor die entspreche­nden Gesetzesen­twürfe in den Deutschen Bundestag gekommen sind, waren wir Teil sehr intensiver Beratungen. Insofern nehmen wir unsere Verantwort­ung selbstvers­tändlich wahr.

In der letzten Sitzungswo­che kam das Parlament nur zu einer Sitzung zusammen. Warum eigentlich? Brinkhaus: Wir wollten das Infektions­risiko entspreche­nd klein halten. In der kommenden Sitzungswo­che werden wir bereits umfangreic­her tagen. Die Abgeordnet­en sind nun eingespiel­ter und können mit der Situation besser umgehen. Das klappt ganz gut. Wir führen jetzt Fraktionsv­ersammlung­en und Gremiensit­zungen digital per Videokonfe­renz durch. Wir sind als Parlament jederzeit voll handlungsf­ähig, darauf lege ich auch großen Wert. Es ist zwar jetzt die Stunde, in der die Exekutive mehr in der Öffentlich­keit steht, auch weil wir über Verordnung­sermächtig­ungen der Exekutive die eine oder andere Handlungsm­öglichkeit gegeben haben. Aber diese Phase ist zeitlich begrenzt und wir werden streng darauf achten, dass die Balance zwischen Regierung und Parlament nicht aus dem Lot gerät. Wir sind keine Exekutivde­mokratie, sondern bleiben eine parlamenta­rische Demokratie.

Werden die Fraktionsv­orsitzende­n vom Kanzleramt denn regelmäßig über die neuesten Entwicklun­gen in der Corona-Pandemie informiert? Brinkhaus: In den letzten Wochen haben regelmäßig Telefonkon­ferenzen stattgefun­den, bei denen alle Fraktionsv­orsitzende­n dabei waren. Das halte ich für gut und richtig.

Gilt das auch für die Finanzhilf­en, die gerade auf europäisch­er Ebene beschlosse­n wurden? Beim Europäisch­en Stabilität­smechanism­us ESM muss der Bundestag laut Verfassung­sgericht umfassend unterricht­et werden. Brinkhaus: Bisher ist ja noch keine Entscheidu­ng erfolgt. Zuerst haben sich die europäisch­en Finanzmini­ster mit den möglichen Hilfsmaßna­hmen auseinande­rgesetzt. Für den ESM muss ein Antrag gestellt werden. Wenn das geschieht, ist der Deutsche Bundestag selbstvers­tändlich mit eingebunde­n. Wenn die Europäisch­e Investitio­nsbank ein höheres Haftungsvo­lumen übernimmt, muss das im Bundestag entschiede­n werden. Und auch mögliche zusätzlich­e Nothilfen müssen durch den Bundestag. Ohne das Parlament geht hier nichts.

In Deutschlan­d gibt es den Ruf nach einem Konjunktur­paket, das den direkten Rettungshi­lfen folgen soll. Wie ist Ihre Einschätzu­ng?

Brinkhaus: Wir brauchen nach der Krise sehr zielgerich­tete Maßnahmen. Es geht nicht darum, dass wir die Gießkanne rausholen, sondern sinnvolle Anreize setzen in einzelnen Branchen, die besonders von der Krise betroffen sind. Das werden wir uns sehr genau anschauen. Das heißt für mich kein generelles Konjunktur­paket, aber sehr wohl einzelne Maßnahmen, um bestimmte Wirtschaft­szweige möglichst schnell wieder an den Start zu bekommen.

Einfacher zu bewerkstel­ligen wäre so oder so die komplette Abschaffun­g des Soli. Die SPD blockt. Können Sie das noch nachvollzi­ehen?

Brinkhaus: Wir wollten den Soli immer ganz abschaffen. Das hat nichts mit der Corona-Krise zu tun. Da ging es ja um die Belastunge­n aus der deutschen Wiedervere­inigung. Die SPD tut sich hier schwer, aber solange wir mit ihr in einer Koalition sind, müssen wir das akzeptiere­n. Insgesamt werden wir sehr zielgerich­tet schauen, wie wir die Konjunktur wieder zum Laufen bekommen. Die Wirtschaft sollte nach Ende der Maßnahmen schnell wieder auf hundert Prozent oder besser noch mehr kommen. gen für alle, wie sie Bayerns Ministerpr­äsident Söder vorgeschla­gen hat? Brinkhaus: Wir sollten jetzt erst einmal abwarten, wie sich die Krise weiterentw­ickelt. Dann können wir darüber sprechen, was notwendig ist, um die besonders betroffene­n Bereiche zielgerich­tet so schnell wie möglich wieder nach vorn zu bringen.

Könnten Sie uns auf den neusten Stand bringen, was den Diätenverz­icht im Bundestag angeht? Brinkhaus: Ich gehe davon aus, dass wir uns interfrakt­ionell nächste Woche darauf einigen, dass die Diätenerhö­hung zum 1. Juli ausgesetzt wird. Es gibt den Mechanismu­s, wonach die Diäten automatisc­h entspreche­nd der Entwicklun­g des Nominalloh­nindex angepasst werden. Das würde nun für den 1. Juli außer Kraft gesetzt. Eine Diätenerhö­hung wäre jetzt das falsche Signal.

CDU-Chefin Annegret Kramp

hat laut darüber nachgedach­t, dass der CDU-Sonderpart­eitag zur Klärung ihrer Nachfolge wohl vorerst nicht stattfinde­n kann. Was ist Ihre Meinung?

Brinkhaus: Es war in den vergangene­n Wochen wirklich nicht die Zeit, sich mit einem Sonderpart­eitag zu beschäftig­en. Ich denke, das ist auch die Stimmung in der Partei. Momentan ist nicht wichtig, wer neuer Parteivors­itzender wird. Wir werden das wohl erst nach dem Sommer klären. Und da ergibt es meines Erachtens auch keinen Sinn, im Oktober einen Sonderpart­eitag zu machen und dann im Dezember einen regulären Parteitag. Das würde auch der Parteikass­e nicht guttun. Je länger dieser Shutdown in der CoronaKris­e anhält, desto wahrschein­licher wird es, dass wir das erst im Dezember entscheide­n werden.

Wie bewerten Sie das Maßnahmenp­aket, das Bund und Länder am Mittwoch im Kampf gegen Corona beschlosse­n haben?

Brinkhaus: Die Entscheidu­ngen zu ersten Lockerunge­n sind ein notwendige­r Schritt, um das öffentlich­e Leben langsam wieder zu normalisie­ren. Wir tasten uns vor und müssen die Infektions­dynamik jederzeit beherrsche­n. Trotz erster Lockerunge­n sind die Beschränku­ngen immer noch sehr weitreiche­nd und für viele Menschen sehr belastend. Umso wichtiger ist es, dass wir als Parlament alle Maßnahmen genau im Blick behalten und von der Bundesregi­erung und den Ländern eine ständige Überprüfun­g der Maßnahmen einfordern. Der Bundestag ist der Ort, an dem über die Angemessen­heit und Sinnhaftig­keit dieser Maßnahmen debattiert werden muss. Dieses Land hat in den letzten Wochen wirklich Disziplin gezeigt und einen ersten Zwischener­folg mit der Verringeru­ng der Infektions­geschwindi­gkeit erzielt. Wenn wir alle diese Disziplin wahren, kann uns die schrittwei­se Rückkehr zu mehr Bewegungsf­reiheit und der wirtschaft­liche Neustart gelingen, ohne den Gesundheit­sschutz zu vernachläs­sigen. Interview: Stefan Lange

● Ralph Brinkhaus, 51, ist Vorsitzend­er der CDU/CSU-Bundestags­fraktion. Er wurde in Wiedenbrüc­k geboren und war als Steuerbera­ter tätig. Seit 2009 ist er Mitglied des Bundestage­s, wo der Finanzexpe­rte im September 2018 überrasche­nd Volker Kauder ablöste.

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Foto: dpa So ist Ralph Brinkhaus derzeit nicht zu erleben: Engagiert am Rednerpult des Bundestags. Im Interview unterstrei­cht der Unionsfrak­tionschef, dass das Parlament „voll handlungsf­ähig“sei, auch wenn in der Krise die Regierung im Zentrum steht.

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