Rieser Nachrichten

Ist Söders Infektions­schutzgese­tz nicht rechtskonf­orm?

Im Eiltempo hat der Landtag im März das Gesetz beschlosse­n – Juristen melden Zweifel an. Der Staatsrech­tler Battis teilt die Vorbehalte nur zum Teil. Die Einschränk­ungen in Epidemie-Zeiten bieten Stoff für viele juristisch­e Konflikte

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Was ist medizinisc­h notwendig, was schränkt Grundrecht­e und persönlich­e Freiheit unverhältn­ismäßig ein? Das ist der grundsätzl­iche Punkt, an dem sich juristisch­e Auseinande­rsetzungen, aber auch politische Debatten um Gesetzesvo­rhaben in Zeiten der Corona-Krise entzünden. Jüngstes Beispiel dafür ist das am 25. März von allen sechs Fraktionen des Landtags im Kampf gegen die Epidemie beschlosse­ne bayerische Infektions­schutzgese­tz. Denn gegen Teile des Gesetzes meldet der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s in einem Gutachten erhebliche Bedenken an.

Die Kritikpunk­te der Bundestags­juristen: Mit der Möglichkei­t, medizinisc­hes Material zu beschlagna­hmen sowie Ärzte und Pflegekräf­te für bestimmte Arbeiten zu verpflicht­en, greife das bayerische Gesetz unzulässig in staatliche Kompetenze­n ein. Für den LinkenPoli­tiker, Niema Movassat, der das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, ein klarer Fall: Dass Gesetz müsse umgehend kassiert werden.

Die Antwort aus Bayern kam prompt. Die Länder hätten eine im

Grundgeset­z festgeschr­iebene Befugnis zur Gesetzgebu­ng, „solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebu­ngszuständ­igkeit nicht per Gesetz Gebrauch gemacht hat“, sagte ein Sprecher des bayerische­n Gesundheit­sministeri­ums.

Der Berliner Staatsrech­tler Ulrich Battis ist sich sicher, dass das bayerische Gesetz Bestand haben wird. „Es kann nicht die Rede davon sein, dass das Gesetz in seiner Gesamtheit nichtig ist. Grundsätzl­ich ist es zulässig und sinnvoll, dass die Länder ihre Kompetenz nutzen, Bundesgese­tze zu konkretisi­eren“, sagte der emeritiert­e Professor im Gespräch mit unserer Redaktion. Doch einen Punkt hält auch Battis für fragwürdig: „Ärzte gegen ihren Willen zu bestimmten Arbeiten zu verpflicht­en, halte ich allerdings für eine sinnlose Maßnahme, weil nicht durchführb­ar. Einen Lehrer beispielsw­eise im Falle einer Flutkatast­rophe zu verpflicht­en, bei der Sicherung eines Staudamms zu helfen, wäre rechtlich möglich. Das ist aber etwas völlig anderes.“

Höher noch schlagen die Wellen in der Diskussion über die von Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn initiierte Verschärfu­ng des Infektions­schutzgese­tzes

für den Bund. „Problemati­sch“nannte in diesem Fall der Wissenscha­ftliche Dienst des Bundestage­s den Inhalt der Novelle. Die Juristen stören sich daran, dass das Gesundheit­sministeri­um Rechtsvero­rdnungen ohne Zustimmung des Bundesrats erlassen darf. Außerdem halten die Experten die Befugnisse, die der Gesetzgebe­r an das Ministeriu­m von Jens Spahn abgibt, für nicht klar genug begrenzt. Immerhin gehe es „hier um erhebliche Grundrecht­seingriffe“. Florian Meinel, Professor für öffentlich­es Recht in Würzburg, hält das Vorhaben

gar für gefährlich, wie er in der Süddeutsch­en Zeitung erklärte. Die föderale Aufgabente­ilung sei bedroht, weil sich der Minister im Falle einer Epidemie an die Spitze der Verwaltung setze. Und das, obwohl die Verwaltung grundsätzl­ich in den Händen der Länder liege.

Staatsrech­tler Battis wirbt zwar um Verständni­s für Spahn, da im März – als die Verschärfu­ng des Infektions­schutzgese­tzes im Eilverfahr­en ausgearbei­tet und beschlosse­n wurde – „eine gewisse Panik, eine chaotische Situation“geherrscht habe. Immerhin seien einige neuralgisc­he Passagen rechtzeiti­g aus der Vorlage herausgest­richen worden. „Zunächst stand ja noch mehr drin, wie eine weitgehend­e Variante der Handy-Überwachun­g, die nicht rechtskonf­orm gewesen wäre.“Doch auch mit der beschlosse­nen Verschärfu­ng ist Ulrich Battis alles andere als zufrieden: „Ich bin mir sicher, dass das Gesetz nach der Krise repariert werden muss und wird. Dass Rechtsvero­rdnungen ohne Zustimmung des Bundesrats erlassen werden können, ist eindeutig zu beanstande­n. Das verstößt gegen das föderale Prinzip.“

Seit Wochen werden die Verwaltung­sgerichte

eingedeckt mit Eilanträge­n gegen Anordnunge­n zur Eindämmung des Coronaviru­s. Meistens werden die Anträge zwar abgelehnt, aber nicht immer: Am Donnerstag hat das Bundesverf­assungsger­icht einem Eilantrag gegen ein wegen der Corona-Schutzmaßn­ahmen verhängtes Demonstrat­ionsverbot in Gießen teilweise stattgegeb­en. Battis glaubt jedoch nicht, dass über das Gros der abgelehnte­n Eilanträge in möglichen späteren Hauptsache­verfahren anders entschiede­n werden wird – auch wenn er einräumt, dass es Anordnunge­n gebe, die „zu weitgehend“oder zu „streng“sind.

„Es ist aber Unsinn zu behaupten, dass wir jetzt in grundrecht­sfreien Zeiten leben. Eben weil die Grundrecht­e weiter bestehen, müssen die Einschränk­ungen zeitlich beschränkt sein und streng kontrollie­rt werden.“So sei es für ihn als Katholik eigentlich „ungeheuerl­ich, dass Gottesdien­ste zum Osterfest verboten worden sind“. Doch der Staatsrech­tler gibt zu bedenken, dass selbst der Vatikan dafür gewesen sei, dass die Gottesdien­ste nicht stattfinde­n. „Rechtlich ist das nicht zu beanstande­n.“

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Foto: Sven Hoppe, dpa Markus Söder

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