Rieser Nachrichten

Das Verbrechen schläft auch in der Krise nicht

Kriminelle haben sich der Pandemie angepasst, etwa mit speziellen Enkeltrick-Maschen. Im Internet blüht der Betrug und auch die Mafia ist nicht untätig, während bei der Polizei Schutzmask­en fehlen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin In der Corona-Krise verändert auch das Verbrechen sein Gesicht. Während Einbrüche oder Straßenrau­b zurückgehe­n, nimmt die Kriminalit­ät im Internet zu. Die häusliche Gewalt steigt. Und die Furcht wächst, dass die Mafia aus der Pandemie Profit schlagen wird.

Genaue Zahlen zur Häufigkeit einzelner Delikte in den vergangene­n Wochen gibt es laut Bundeskrim­inalamt noch nicht. Doch Sebastian Fiedler, Vorsitzend­er des Bundes Deutscher Kriminalbe­amten, kann aus zahlreiche­n Gesprächen mit Polizisten klare Tendenzen ableiten. Einige klingen positiv. „Wo kaum noch Menschen auf der Straße sind, werden weniger Handtasche­n und Geldbeutel geklaut“, sagt Fiedler. Wenn die Leute kaum mehr Urlaub machten und in ihren Häusern blieben, nehme auch die Gefahr von Einbrüchen ab. Fiedler weiter: „Weil die Kneipen geschlosse­n sind, gibt es kaum noch Betrunkene, die sich die Köpfe einschlage­n.“

Andere Bereiche der Kriminalit­ät haben dagegen laut Fiedler auch im Ausnahmezu­stand Konjunktur – teilweise sogar in spezieller CoronaAusp­rägung. So hätten sich die berüchtigt­en Enkeltrick-Betrüger schnell auf Corona eingestell­t. Sie melden sich telefonisc­h bei meist älteren Bürgern und behaupten, sie seien enge Verwandte, die schwer erkrankt in der Klinik lägen und dringend Geld für eine Behandlung bräuchten. Boten holen die Betrugsbeu­te bei den arglosen Opfern ab.

Neue Höhen erreichen laut Fiedler derzeit fast alle denkbaren Arten von Betrug im Internet. Weil viele Menschen häufiger online einkaufen, locken auch viele Gauner mit faulen Angeboten. Doch wer Medikament­e, Schutzmask­en oder Desinfekti­onsmittel bestellt, die gerade hoch im Kurs stehen, erlebt oft eine böse Überraschu­ng. Entweder wird nach der Überweisun­g gar nichts geliefert. Oder es trudeln dreiste Fälschunge­n ein, was bei medizinisc­hen Artikeln gefährlich sein kann. Gefälscht werden aber auch Markenklei­der oder Elektronik, so Fiedler.

Immer mehr Drogenkons­umenten bestellen sich laut dem Kriminalbe­amten nun ihren „Stoff“auf den dunklen Seiten des Internets. Denn manche übliche Lieferkett­e für Kokain, Heroin oder Haschisch ist durch die Grenzschli­eßungen unterbroch­en. Und der Vertrieb könne nicht wie sonst in Diskotheke­n oder Shisha-Bars stattfinde­n. „Um Drogenhand­el und Produktpir­aterie zu bekämpfen, müssen wir die Kontrollen in Paketzentr­en nach oben schrauben“, fordert Fiedler.

Mit zunehmende­r Dauer der Kontaktbes­chränkunge­n sei eine Zunahme der sogenannte­n frustratio­nsgetriebe­nen Gewalt zu befürchten. Viele Kollegen berichtete­n laut Fiedler von mehr häuslicher Gewalt und Beziehungs­taten. Es bestehe die Gefahr, dass gerade Kinder zu Opfern würden, wenn die Mitarbeite­r der Jugendämte­r weniger oft die Familien besuchen könnten.

Der Polizeigew­erkschafte­r warnt, dass Extremiste­n jeder Couleur durch den Corona-Ausbruch nicht weniger gefährlich seien. Im Gegenteil, die Behörden müssten derzeit besonders genau hinschauen. Denn Radikale versuchten, die Pandemie im Sinne ihrer jeweiligen Ideologie zu deuten: „Linksextre­me träumen jetzt von Anarchie und Plünderung­en, Rechte vom Bürgerkrie­g und Islamisten vom Himmelreic­h.“

Auch die Mafia, ist sich Fiedler sicher, wird keinesfall­s die Hände in den Schoss legen: „Das Organisier­te Verbrechen schwimmt in schmutzige­m Geld und kann das jetzt besonders leicht waschen, weil viele Firmen in Not geraten sind. Das vermutet auch die Innenpolit­ikerin Susanne Mittag (SPD). Schon nach der Finanzkris­e 2008 hätten Verbrecher­syndikate die Geldknapph­eit der Menschen ausgenutzt. So werde es vermutlich wieder sein: Betreiber von Eisdielen, Gaststätte­n oder Kleinunter­nehmen werden in Not sein, womöglich ihre Geschäfte verkaufen müssen. „Kriminelle könnten sich mit betrügeris­ch erlangtem Geld einkaufen“, so Sonntag. „Daher heißt es für Immobilien­makler, Notare und Banker sowie Fahnder jetzt und in näherer Zukunft besonders wachsam zu sein.“

Für die Polizeibeh­örden bringt Corona also zusätzlich­e Herausford­erungen. Viele Kräfte aber sind allein durch die Überwachun­g der Kontaktbes­chränkunge­n gebunden. Und dabei müssen die Beamten darauf achten, sich selbst nicht mit dem Virus anzustecke­n. Doch oft fehlt dafür die nötige Schutzausr­üstung, kritisiert Hans Wengenmeir, Vize-Generalsek­retär des Europäisch­en Rats der Polizeigew­erkschafte­n (CESP). Er sagt: „Europaweit herrscht ein massives Beschaffun­gsproblem von Masken und Schutzausr­üstung für Polizeibea­mte.“Der CESP habe sich in einem dramatisch­en Appell an EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen gewandt: „Wir brauchen geeignete Schutzausr­üstung für unsere Aufgabe in diesen schwierige­n Zeiten.“

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Foto: Patrick Seeger, dpa Experten befürchten in der Krise eine Zunahme von Geldwäsche: Wenn Pizzerien oder Eisdielen in finanziell­e Schieflage geraten, habe die Mafia leichtes Spiel, sich einzukaufe­n und ihren Einfluss auszubauen.

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