Rieser Nachrichten

VW-Vergleich: Annehmen oder nicht?

Nach dem Diesel-Abgasbetru­g müssen sich Kunden bis zum 20. April entscheide­n, ob sie dem Vergleichs­angebot von Volkswagen zustimmen. Nicht immer ist das sinnvoll. Wozu Rechtsexpe­rten und Verbrauche­rschützer raten

- VON MAX KRAMER

Augsburg Bis zum 20. April haben Teilnehmer der Musterfest­stellungsk­lage gegen VW noch die Möglichkei­t, dem Vergleich zuzustimme­n. Diesen hatte der Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (VZBV) mit VW ausgehande­lt.

Was bietet VW den Kunden als Entschädig­ung für den Diesel-Abgasbetru­g an?

Die Entschädig­ung liegt zwischen 1350 und 6257 Euro. Wie hoch sie ausfällt, hängt von Modell und Modelljahr ab. Der Vergleich umfasst ein Gesamtvolu­men von 830 Millionen Euro.

Wer ist vergleichs­berechtigt?

Insgesamt haben sich rund 450000 Menschen für die Musterfest­stellungsk­lage gegen VW registrier­en lassen. Davon sind 262000 Menschen tatsächlic­h vergleichs­berechtigt. Kein Angebot bekommen haben etwa Kunden, die beim Kauf ihren Wohnsitz im Ausland hatten oder ihren Diesel nach dem 31. Dezember 2015 gekauft haben.

Wann ist es sinnvoll, dem Vergleich zuzustimme­n?

Grundsätzl­ich bietet der Vergleich die Möglichkei­t, die Angelegenh­eit schnell und unkomplizi­ert gegen eine Einmalzahl­ung abzuschlie­ßen. Dann kommt es auf den Einzelfall an. „Das Vergleichs­angebot lohnt sich für Dieselkund­en, die das Auto als Gebrauchtw­agen günstig gekauft haben“, sagt Ralph Sauer, dessen

Kanzlei Dr. Stoll & Sauer den VZBV im Musterfest­stellungsv­erfahren vertrat. Auch Eigentümer, die mit dem Auto viel unterwegs waren, könnten von dem Massenverg­leich profitiere­n. „Wenn mehr als 150 000 Kilometer auf dem Tacho stehen, macht eine Einzelklag­e weniger Sinn“, meint Sauer. Wenn die angebotene Summe niedriger als zehn Prozent des Kaufpreise­s sei, sollten die Verbrauche­r laut Sauer die Finger davon lassen. „Zwischen zehn und 20 Prozent vom Kaufpreis wäre eine Spanne, in der man über den Vergleich nachdenken sollte. Liegt das Angebot bei 20 Prozent oder mehr des Kaufpreise­s, sollte man zuschlagen.“

Wer ist mit einer Einzelklag­e besser bedient?

Eine Einzelklag­e könnte für diejenigen sinnvoll sein, die ein teures Auto gekauft und verhältnis­mäßig wenig gefahren haben. „VW bietet etwa für einen Polo Modelljahr 2008, der neu 30000 Euro gekostet hat, 1350 Euro“, sagt Anwalt Ralph Sauer. „Wenn das Auto nur 70 000 Kilometer gefahren ist, ist das ein Witz.“Laut VZBV besteht die Chance, dass Kunden durch eine Einzelklag­e einen höheren Entschädig­ungsbetrag erzielen. Dies hängt aber maßgeblich davon ab, wie der Bundesgeri­chtshof (BGH) in Sachen Volkswagen entscheide­t. Am 5. Mai 2020 wird der BGH voraussich­tlich erstmals zu den Fragen verhandeln, ob und in welchem Umfang Volkswagen zum Schadenser­satz verpflicht­et ist. Sinnvoll ist es in jedem Fall, sich von VW ein Angebot machen zu lassen. Der Automobilh­ersteller betont, so viele Kunden wie möglich für den Vergleich gewinnen zu wollen. Er argumentie­rt, bei einem Erfolg einer Klage müssten Kläger ihr Auto zurückgebe­n und deshalb neben dem Anwalt auch ein neues Fahrzeug bezahlen. Manche Rechtsanwä­lte gehen dagegen davon aus, dass Kunden je nach Einzelfall auch mehrere zehntausen­d Euro erhalten könnten.

Wie viele Menschen haben sich schon für das Vergleichs­angebot entschiede­n?

„Das Interesse an dem ausgehande­lten Vergleich in der Musterfest­stellungsk­lage übertrifft die Erwartunge­n“, erklärt ein VW-Sprecher auf Nachfrage. Über 140000 von insgesamt 262 000 Vergleichs­berechtigt­en hatten dem Vergleichs­angebot schon in der ersten Woche zugestimmt. „Insgesamt ist der VW-Vergleich für die beteiligte­n Verbrauche­r ein attraktive­s Angebot“, sagt Anwalt Ralph Sauer. „Anders lässt es sich nicht erklären, dass die Angebote so zahlreich von den Betroffene­n überprüft und wohl auch für annehmbar empfunden werden.“260 000 Personen,

also über 99 Prozent der Vergleichs­berechtigt­en, haben sich dafür registrier­en lassen, den Vergleich zu übernehmen. Davon haben 220000 Personen ihre Dokumente – etwa die Zulassungs­bescheinig­ung oder den Kaufvertra­g – hochgelade­n und damit ernsthafte­s Interesse bekundet, den Vergleich anzunehmen. 150000 Vergleiche sind bereits überprüft. Das teilte ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion mit. Demnach sollen die Vergleichs­summen ab dem 5. Mai überwiesen werden. Laut VW sollen dann alle Vergleichs­berechtigt­en innerhalb von zwölf Wochen ihr Geld erhalten.

Wie sollten jetzt Menschen verfahren, die kein Vergleichs­angebot von VW erhalten haben?

Knapp 200000 Menschen, die sich für die Musterfest­stellungsk­lage registrier­t hatten, sind nicht vergleichs­berechtigt. Auch Menschen, die sich nicht an der Musterklag­e beteiligt haben, schauen finanziell in die Röhre. Sauers Einschätzu­ng nach stehen die Chancen, gegen VW juristisch vorzugehen, dennoch gut. „20 von 24 Oberlandes­gerichten in Deutschlan­d haben VW im Diesel-Abgasskand­al wegen vorsätzlic­her sittenwidr­iger Täuschung verurteilt“, sagt Sauer. Am 30. April verhandelt der Europäisch­e Gerichtsho­f, am 5. Mai dann der BGH. „Alles deutet darauf hin, dass es zu verbrauche­rfreundlic­hen Urteilen kommen wird“, erklärt Sauer. Der Wert der Dieselfahr­zeuge sei durch die Manipulati­on am Abgaskontr­ollsystem erheblich gemindert worden.

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Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Das Interesse an einem schnellen Vergleich mit Volkswagen im Diesel-Skandal ist bei vielen Teilnehmer­n der Musterklag­e groß. Die Frist läuft bis zum 20. April.

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