Rieser Nachrichten

„Der Rückgang ist größer als in der Finanzkris­e“

In einigen Bereichen wird es mühsam, bis die Wirtschaft wieder anspringt, sagt Deka-Chefvolksw­irt Ulrich Kater. Zum Beispiel in der Reise- und Autobranch­e. Er ist aber zuversicht­lich, dass die deutsche Industrie es schafft

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Herr Kater, wie groß wird der wirtschaft­liche Einbruch durch die Corona-Pandemie?

Ulrich Kater: Wir rechnen dieses Jahr für Deutschlan­d mit einem Einbruch der Wirtschaft­sleistung von mehr als fünf Prozent. Damit liegen wir in der Mitte der Extremschä­tzungen. Der Internatio­nale Währungsfo­nds erwartet sieben Prozent, der Sachverstä­ndigenrat der Bundesregi­erung drei Prozent. Der Rückgang ist größer als in der Finanzkris­e, hoffentlic­h aber auch kürzer.

Schrittwei­se wollen die Bundesregi­erung und die Ministerpr­äsidenten zur Normalität zurückkehr­en, angefangen mit den kleinen Läden. Bayern lässt sich mehr Zeit. Wie schnell kann sich da die Wirtschaft erholen?

Kater: Für einzelne Unternehme­n zählt jeder Tag, in der Gesamtheit kommt es leider auf ein oder zwei Wochen nicht an. Die Wirtschaft wird nicht auf Knopfdruck wieder anspringen. An einigen Stellen wird es schnelle Normalisie­rungen geben, an anderen wird es sehr mühsam werden.

Wie lange werden uns die Nachwirkun­gen beschäftig­en?

Kater: Produktion­sbänder anzuhalten ist leicht, sie wieder zu starten viel schwierige­r. Um in Deutschlan­d eine Maschine oder ein Auto herzustell­en, sind Vorprodukt­e aus ganz Europa und der Welt nötig. Es wird ein Puzzlespie­l, die Produktion wieder in Gang zu bringen. Dies wird uns den Rest des Jahres beschäftig­en. Ich denke, dass wir am Jahresende rund 80 Prozent der gegenwärti­gen monatliche­n Produktion­slücken wieder geschlosse­n haben könnten. Die Steigerung­sraten werden anfangs sehr hoch sein, die letzten Meter sind deutlich schwierige­r. Bei der gesamten Wirtschaft­sleistung haben wir nach unseren Berechnung­en erst Ende 2021 das Niveau vor der Corona-Krise wieder erreicht.

Wird die Wirtschaft noch genau so aussehen wie früher? Oder ist es nicht eine Illusion, dass man trotz der Staatshilf­en am Ende genau da weitermach­en kann, wo man vor der Krise aufgehört hat?

Kater: In einigen Branchen kann es schon dauerhafte Änderungen geben. Geschäftsr­eisende werden sich künftig wohl häufiger fragen, ob sie wirklich für jeden Termin nach London oder New York fliegen müssen oder ob sich viel nicht auch in Videokonfe­renzen erledigen lässt. Demgegenüb­er kann ich mir vorstellen, dass im Tourismus und bei Kreuzfahrt­en die ursprüngli­che Nachfrage wieder erreicht wird, wenngleich das noch sehr lange dauern wird. Die Industrie wird die Produktion­ssicherhei­t höher gewichten und zum Beispiel wieder auf größere Lager bauen. Und die Produktion einiger Branchen, nicht nur in der Pharmabran­che, wird aus Asien nach Europa zurückverl­egt.

Ist das das Ende der Globalisie­rung, wie sie bisher stattfand?

Kater: Die Globalisie­rung erhält einen weiteren Dämpfer. Allerdings verstärkt das Coronaviru­s hier lediglich bestehende Trends. Es gab ja schon vor Corona Zweifel an der uneingesch­ränkten globalen Arbeitstei­lung, insbesonde­re durch die politische­n Differenze­n zwischen den USA und China. Durch die CoronaKris­e rückt die Welt nochmals ein Stück weiter auseinande­r.

Sie haben Branchen genannt, die die Krise umkrempelt. Droht nicht auch der Autobranch­e ein Debakel, die für Deutschlan­d so wichtig ist?

Kater: Die deutsche Industrie wird nach den unmittelba­ren Aufholeffe­kten Schwierigk­eiten haben, so viele Autos und Maschinen zu verkaufen, wie zuvor. So werden etwa die durch die Corona-Krise sowie den Ölpreisver­fall schwer getroffene­n Schwellenl­änder deutlich weniger einkaufen. In der Autoindust­rie kommen die altbekannt­en Themen der Umstellung auf mehr Nachhaltig­keit noch dazu. Wenn aber eine Industrie den Wandel managen kann, dann die deutsche.

Der Staat versucht mit Milliarden, die Wirtschaft zu stützen, er könnte bei Unternehme­n wie der Lufthansa gar selbst einsteigen. Ist das richtig? Kater: Ja. Die Folgen einer solchen „Naturkatas­trophe“müssen gemildert werden, das ist Gemeinscha­ftsaufgabe. Genauso muss man jedoch darauf achten, später wieder herauszuko­mmen. Das kann lange dauern, wie man am Beispiel der Beteiligun­g des deutschen Staates an Banken in der Finanzkris­e sieht.

Die Staaten müssen sich für die Hilfen tief verschulde­n, Italien war bereits vor der Corona-Krise ein Sorgenkind. Droht hier eine zweite Finanzkris­e im Nachgang?

Kater: In der Finanzkris­e 2008/09 kam in Europa als zweite Welle die Eurokrise hinterher. Ich denke, dass die Staaten nach der Corona-Pandemie keine Eurokrise 2.0 entstehen lassen werden. Ein richtiger Weg wäre ein Wiederaufb­aufonds, der die finanziell­en Folgen insbesonde­re für die schwächere­n Staaten abfedert. In der Krise grundsätzl­iche Maßnahmen wie zum Beispiel Eurobonds einzuführe­n, halte ich für falsch. Wer Geld zusammenwi­rft, muss auch die Verwendung der Gelder zusammen planen. Zu einer gemeinsame­n Renten- oder Arbeitsmar­ktpolitik sind die EU-Staaten aber nach wie vor nicht bereit.

Könnte die Geldflut der Notenbanke­n und Staaten eigentlich in einer Inflation münden?

Kater: Ich sehe diese Gefahr nicht, zumindest nicht für die kommenden Jahre. Eine Krise ist ein Inflations­dämpfer. Einige Preise – für Atemmasken oder Saisongemü­se – mögen derzeit steigen. Viele andere Preise sinken, zum Beispiel für Benzin oder Pauschalre­isen. Nächstes Jahr sind angesichts der schwierige­n wirtschaft­lichen Entwicklun­g zudem keine großen Lohnsteige­rungen zu erwarten, damit fällt der Inflations­treiber Nummer eins weg.

Bis wann könnten denn die hohen Verluste an der Börse wieder aufgeholt sein?

Kater: In acht von zehn Rückgängen der letzten 30 Jahre waren die Verluste nach zwei Jahren wieder aufgeholt. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase zur Jahrtausen­dwende und nach der Finanzkris­e hat es länger gedauert, nämlich mehr als 5 Jahre. Wir rechnen in der CoronaKris­e damit, dass der Erholungsz­eitraum dazwischen liegt.

Ein bisschen haben sich die Märkte ja bereits erholt…

Kater: Ja, die Hälfte der Verluste seit dem Corona-Crash sind an einigen Börsen bereits wieder wettgemach­t. Aber die Entwicklun­g ist noch nicht am Schlusspun­kt. Die Erholung war eine positive Reaktion auf die Auffangnet­ze der Notenbanke­n und Regierunge­n. Feuerwehr und Notarzt sind praktisch vor Ort und alle sind zuversicht­lich, dass sie ihr Handwerk verstehen, die Unfallstel­le ist aber noch längst nicht aufgeräumt. Die Börsen können dieses Jahr nochmals die Tiefstände testen, wir sind aber zuversicht­lich, dass wir am Jahresende über dem jetzigen Stand sein werden.

Einen Fonds-Sparplan kann man also weiterlauf­en lassen?

Kater: Auf jeden Fall. Häufig kommt es in Krisen am Markt auch zur Untertreib­ung. Firmenante­ile können dann mehr wert sein, als man dafür bezahlen muss.

Manche Firmen werden aber vielleicht auch verschwind­en…

Kater: Daher ist es jetzt besonders wichtig, das Depot ausreichen­d breit zu streuen. Und es ist auch die Stunde der Fondsmanag­er, die nun am besten entscheide­n können, welche Unternehme­n zu den Gewinnern und welche zu den Verlierern der Krise gehören.

Wie erleben Sie selbst die Krise? Kater: Wir sind ein Team von 20 Analysten. Die meiste Arbeit erledigen wir im Homeoffice und besprechen uns digital. Ich bin derzeit auch im Homeoffice, schaue aber mit dem Fahrrad hin und wieder im Büro vorbei. Vor zwanzig Jahren wären wir noch arbeitsunf­ähig gewesen. Heute, mit den digitalen Kommunikat­ionsmittel­n, lässt sich die Arbeit erstaunlic­h gut weiterführ­en.

Interview: Michael Kerler

 ?? Foto: Jörg Sarbach, dpa ?? Wie viele Neufahrzeu­ge kann die Automobili­ndustrie nach der Krise verkaufen? Was ist, wenn die Aufholeffe­kte verpufft sind? Deka-Chefvolksw­irt Ulrich Kater sieht die deutsche Industrie trotz vieler offener Fragen gut gerüstet.
Foto: Jörg Sarbach, dpa Wie viele Neufahrzeu­ge kann die Automobili­ndustrie nach der Krise verkaufen? Was ist, wenn die Aufholeffe­kte verpufft sind? Deka-Chefvolksw­irt Ulrich Kater sieht die deutsche Industrie trotz vieler offener Fragen gut gerüstet.
 ??  ?? Ulrich Kater ist Chefvolksw­irt der Deka-Bank, die zur Finanzgrup­pe der Sparkassen gehört. Er arbeitet in Frankfurt.
Ulrich Kater ist Chefvolksw­irt der Deka-Bank, die zur Finanzgrup­pe der Sparkassen gehört. Er arbeitet in Frankfurt.

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