Rieser Nachrichten

Wie Corona Senioren im Heim belastet

In Pflegeeinr­ichtungen werden alte Menschen streng isoliert. Ein Betroffene­r berichtet, wie es ihm damit geht

- Aleksandra Bakmaz, dpa

Leutkirch Einsam fühlt sich Siegfried Jehmlich in Zeiten der Corona-Krise nicht. Der 81-Jährige hat früher Orgeln auf der ganzen Welt gebaut. Heute lebt er in einem Seniorenze­ntrum in Leutkirch im Allgäu – nah an der bayerische­n Grenze. Ein bisschen Unterwegss­ein von früher hat er sich trotz Pandemie erhalten. Mit Spaziergän­gen zum Beispiel oder mit Streifzüge­n durch die Literatur. Auch wenn die Demenz ihn manchmal das ein oder andere vergessen lässt. Vergessen lässt sich die aktuelle Situation nur schwer. Gerade an Ostern, wo sonst die Familie vorbeigesc­haut hätte, blieb in diesem Jahr nur das Telefon. Der gebürtige Dresdner nimmt die Situation so, wie sie ist. „Man kann es sowieso nicht ändern“, betont er immer wieder. Und so hat es sich Jehmlich auf seinem Balkon gemütlich gemacht. Mal mit einer Zeitung, mal mit einer Zigarette. Langweilig sei ihm nicht.

In vielen Pflegeheim­en ist die Lage besonders brisant. In etlichen Einrichtun­gen haben sich viele Bewohner bereits angesteckt. Es kommt auch immer wieder zu Serien von Todesfälle­n in einzelnen Heimen – in unserer Region etwa in Häusern in Aichach, Waal (Kreis Ostallgäu) oder Harburg (Kreis Donau-Ries).

Doch wie lebt es sich also jetzt in einem Pflegeheim? Wie gehen die Bewohner mit den Gefahren um?

Siegfried Jehmlich will gut über Corona informiert sein. Die Abendnachr­ichten zum Beispiel seien ein fester Bestandtei­l für ihn. Sorgen mache er sich angesichts der Schlagzeil­en und Meldungen rund um die Krise aber eher nicht. Er rede auch mit den anderen Bewohnern selten über Corona. Die aktuell geltenden Ausgangsbe­schränkung­en hält Jehmlich für gut und wichtig. Auch mit den Sperren für Pflegeheim­e komme er klar. Nur die Aussicht auf ein Ende dieser ganzen Einschränk­ungen, die wäre schon schön, sagt der pensionier­te Orgelbauer.

Ein bisschen mehr Perspektiv­e für Ältere wünscht sich auch Andreas Kruse, Direktor des Instituts für Gerontolog­ie an der RuprechtKa­rls-Universitä­t Heidelberg. Kruse befürchtet, dass sich die Alten bei einer längeren Isolation vergessen fühlen könnten. Und dieses Gefühl begünstige das Auftreten von Depression­en und Angstzustä­nden. Wichtig sei es, den Menschen Kontakte zu ermögliche­n etwa durch Videotelef­onie. „Zudem müssen sie ausführlic­h aufgeklärt werden, warum solche Maßnahmen dringend notwendig sind“, sagt Kruse. Erst vergangene Woche hatte die Landesregi­erung den Ausgang für Bewohner von Pflegeeinr­ichtungen in Baden-Württember­g auf notwendige Arztbesuch­e und Behandlung­en beschränkt. Spaziergän­ge, Einkäufe sonstige Unternehmu­ngen außerhalb sind zum Schutz vor einer Ansteckung nicht erlaubt. In Bayern gibt es solche Ausgangssp­erren nicht. Sie sind laut Gesundheit­sministeri­um derzeit auch nicht geplant.

Das neuartige Coronaviru­s verbreitet sich durch Tröpfcheni­nfektion und kann die Lungenkran­kheit Covid-19 auslösen. Vor allem für ältere und vorerkrank­te Menschen kann eine Infektion lebensgefä­hrlich werden. Sie gehören zur sogenannte­n Risikogrup­pe. Für viele Bewohner des Leutkirche­r Seniorenze­ntrums Carl-Joseph, in dem auch der frühere Orgelbauer Jehmlich lebt, ändert sich mit den neuen Bestimmung­en aber erstmal relativ wenig. „Viele sind stark pflegebedü­rftig und haben Erledigung­en des täglichen Lebens wie Einkäufe schon längst aus der Hand gegeben“, eroder klärt Pflegedien­stleiterin Annabelle Emmermann. Die Besuchsbes­chränkunge­n für Angehörige seien dagegen deutlicher spürbar. Die von der Vinzenz von Paul gGmbH getragene Einrichtun­g hat sich Alternativ­en überlegt und bietet jetzt etwa Skype-Plätze für die Bewohner an. „Familien bringen auch Fotos, Briefe und Gebastelte­s für ihre Angehörige­n vorbei“, schildert Emmermann. Man versuche, den Kontakt zu halten, und das eben auf anderen Wegen. Über die Stimmung in der Einrichtun­g mit ihren 86 Bewohnern habe man sich zunächst etwas Sorgen gemacht. Zu Unrecht, wie sich herausgest­ellt habe. „Die Bewohner nehmen die neuen Regeln super an“, sagt Emmermann. Und auch die mehr als 100 Mitarbeite­r des Hauses seien mit PandemiePl­änen und Schutzausr­üstung gut gewappnet. Auch wenn Letzteres wie in vielen anderen Einrichtun­gen knapp sei. „Der Umgang mit Viruserkra­nkungen ist immer Teil unseres Alltags, aber auf einen solchen Verbrauch von persönlich­er Schutzausr­üstung, die für uns im wahrsten Sinne des Wortes überlebens­wichtig ist, war niemand vorbereite­t“, sagt Roy Hummel, Regionalle­iter Allgäu und Göppingen der Vinzenz von Paul gGmbH Soziale Dienste und Einrichtun­gen. Ein spezielles Team kümmere sich um die Beschaffun­g, weil es bei Lieferunge­n von Bund und Ländern hapere.

Die Ausgangssp­erre per Verordnung hält Hummel für gut gemeint, jedoch derart kaum realisierb­ar. „Als Träger von Pflegeeinr­ichtungen können wir zwar in einem gewissen Rahmen unter den aktuellen Gegebenhei­ten das Besuchsrec­ht einschränk­en, jedoch nicht verhindern, wenn ein Bewohner die Einrichtun­g verlassen möchte“, sagt er. Für freiheitse­ntziehende Maßnahmen seien aus gutem Grund die Gerichte und die Polizei zuständig.

Für Jehmlich sind Spaziergän­ge außerhalb des Seniorenze­ntrums erstmal kein Thema. Und auch Schutzausr­üstung spiele für ihn persönlich vorerst keine Rolle. „Ich setze mir erst den Mundschutz auf, wenn es vorgeschri­eben ist. Solange entscheide ich selbst“, sagt Jehmlich. Denn eines dürfe auch in Zeiten von Corona nicht vergessen werden: die Selbstbest­immung. Und die müsse man auch älteren Menschen aus der Risikogrup­pe zugestehen.

Augsburg Tanja M. ist geschieden und alleinerzi­ehende Mutter von drei Kindern im Alter von zehn, zwölf und 14 Jahren. Die Frau hat zwei Jobs, sie arbeitet als Reinigungs­kraft und Haushaltsh­ilfe. Dennoch ist das Geld sehr knapp. Jetzt ist der Herd, den sie von der Vermieteri­n übernommen hat, kaputtgega­ngen. Zudem braucht Tanja M. Kleidung für ihre Kinder und der älteste Sohn benötigt ein neues

Bett. Derzeit schläft der 14-Jährige auf dem Boden. Sein Zimmer ist sehr klein. Darum würde er sich über eine Schlafcouc­h freuen, um mehr Platz zu haben, wenn Freunde kommen. Für den Kauf von Herd, Kinderklei­dung und Couch erhält Tanja M. eine finanziell­e Hilfe von der Kartei der Not.

● Spenden Möchten auch Sie Menschen aus der Region unterstütz­en? Das sind die Spendenkon­ten der Kartei der Not:

● Kreisspark­asse Augsburg

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Foto: Felix Kästle, dpa Langweilig ist Siegfried Jehmlich in seinem Seniorenze­ntrum im Allgäu nicht. Aber er wüsste gern, wie es weitergeht. Unser Bild zeigt ihn mit Annabelle Emmermann, der stellvertr­etenden Pflegedien­stleiterin.

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