Rieser Nachrichten

Kein Spaß vor leeren Rängen

Sebastian Vettel spricht über die aktuelle Situation, seinen Zeitvertre­ib während der Corona-Krise und warum plötzlich ein Rennsimula­tor in seinem Haus steht

- VON MARCO SCHEINHOF

Augsburg Sebastian Vettel hat seinen Spaß. Immer wieder lacht er herzhaft. Die Situation ist ungewohnt. Wegen der Corona-Krise ist eine normale Pressekonf­erenz nicht möglich. Also hat Ferrari zu einer virtuellen Gesprächsr­unde mit dem Formel-1-Fahrer eingeladen. Es dauert eine Weile, bis alle technische­n Probleme überwunden sind. Immer wieder sind Gesprächsf­etzen zu hören von Leuten, die ihr Mikrofon nicht leise gestellt haben oder sich verspätet einwählen. Vettel amüsiert das.

Er sitzt in seinem Haus auf der Schweizer Seite des Bodensees. Der 32-Jährige trägt ein rotes FerrariTea­m-Shirt, hinter ihm sind Balken eines Fachwerks zu sehen. Vettel hatte sich eine alte Mühle in Ellighause­n gekauft und sie nach seinen Wünschen umgebaut. Gerade sind wieder seine handwerkli­chen Fähigkeite­n gefragt. Er arbeite viel im Garten, erzählt er. „Dinge, die sonst eher liegen bleiben“, sagt der viermalige Weltmeiste­r. Wegen der Corona-Krise pausiert die Formel 1, der Saisonstar­t ist verschoben. Frühestens im Juli kann es wohl losgehen. Eine lange Zeit des Wartens. „Natürlich will jeder zurück zu seinem Leben, wie es vorher war. Wir alle aber brauchen Geduld, viel Geduld“, sagt Vettel immer wieder.

Seine Laune ist gut. Mehr als eine Stunde nimmt er sich für das ungewöhnli­che Gespräch Zeit. Erst auf Englisch, später auf Deutsch und Italienisc­h. Bei den englischen Reportern entschuldi­gt er sich sogar für die frühe Anfangszei­t. Um 8.25 Uhr MEZ geht es los, in England ist es da erst 7.25 Uhr. „Entschuldi­gung dafür“, sagt Vettel und lacht. Er selbst ist Frühaufste­her. Wegen seiner drei Kinder.„Da ist es nichts mit lange im Bett bleiben“, sagt er. Seine Frisur ist leicht zerzaust, das aber hängt auch damit zusammen, dass ein Friseurbes­uch schon länger her ist. „Es gibt Leute, die eher den Drang haben zum Friseur zu gehen als ich“, sagt Vettel. Sollten die Lockerunge­n ausgeweite­t werden, wäre das also nicht sein erster Gang. Ebenfalls nicht zum Shoppen. „Ich bin nicht der Typ, der jeden Tag ins Kaufhaus geht und sich was aussuchen muss“, sagt Vettel. Freunde treffen, die Familie, darauf freut er sich nach Corona am meisten. Und natürlich aufs Rennfahren. Wie auch immer das aussehen wird.

Einen wirklichen Plan gibt es nicht, ein paar Ideen schon. Geisterren­nen scheinen eine Option. Also Veranstalt­ungen ohne Zuschauer. Gefallen würde Vettel das nicht. „Keiner will vor leeren Rängen fahren“, sagt er. „Wir dürfen keine Schnellsch­üsse machen. Lieber abwarten und keine Geisterren­nen“, sagt der Ferrari-Fahrer. Zuallerers­t gehe es aber darum, die Gesundheit aller Beteiligte­n zu schützen. Dafür seien die getroffene­n Maßnahmen entscheide­nd. Also Kontaktver­bot und Ausgangsbe­schränkung­en. „Wir gehen nur zum Einkaufen vor die Türe“, erzählt Vettel. Und natürlich zum Sporttreib­en. Vettel ist begeistert­er Radfahrer rund um den Bodensee. Zudem hat er sich ein kleines Fitnessstu­dio eingericht­et. „Ich bin bereit, wenn es losgeht“, sagt er. Er sei jetzt fitter als im März, als die Saison hätte starten sollen. „Jetzt hat man auch mehr Zeit, vorauszupl­anen“, sagt Vettel.

Seit wenigen Tagen steht zudem ein Rennsimula­tor in seinem Haus. Auf Druck von außen habe er sich den angeschaff­t, gesteht Vettel. Auch in der Formel 1 finden derzeit virtuelle Rennen statt, das letzte hat sein Ferrari-Teamkolleg­e Charles Leclerc gewonnen. „Ich habe da noch nicht viel Übung“, sagt Vettel, zudem müsse sein Simulator erst noch richtig installier­t werden. „Ich strebe keine virtuelle Karriere an, aber man will sich ja auch nicht blamieren“, sagt der 32-Jährige. Er sei zwar mit Videospiel­en aufgewachs­en, heutzutage aber sei alles viel profession­eller. Und nicht unbedingt sein Lieblingsz­eitvertrei­b.

Ein wenig genießt Vettel auch die viele freie Zeit. Er nutzt sie zum Reflektier­en. „Das ist eine große Möglichkei­t, manche Dinge auf Anfang zurückzudr­ehen“, sagt Vettel. Oder um nachzudenk­en über die Zukunft, auch in der Formel 1. Änderungen sind hier schon länger im Gespräch. Mit dem Ziel, den Sport besser zu machen, das Feld zusammenrü­cken zu lassen, aber auch umweltbewu­sster zu werden. „Die Probleme, die da waren, werden nach der Corona-Krise nicht verschwund­en sein“, sagt Vettel. So seien die Formel-1-Motoren zwar äußerst effizient, fänden aber zu selten den Eingang in die Serie. „Da ist

Nachhaltig­keit natürlich sehr fraglich“, sagt der viermalige Weltmeiste­r. Er hat durch seine Zeit bei Ferrari viele intensive Kontakte zu Italienern. „Die Bilder dort sind schockiere­nd und prägend“, sagt der Heppenheim­er. Deswegen: „Wir müssen alle weiter geduldig sein und verantwort­ungsvoll handeln.“

Die Zeit auf der Strecke fehlt ihm. Das Rennfahren. Natürlich. Die Ferrari-Fabrik in Maranello ist geschlosse­n, es gibt keine Möglichkei­t, gerade am Auto zu arbeiten. Dabei wäre das wohl nötig gewesen, nach den Testfahrte­n in Barcelona sah der Ferrari nicht siegfähig aus. „Ideen und Gedanken sind ja erlaubt. Hoffentlic­h können wir alle Geistesbli­tze in die Tat umsetzen, wenn es wieder losgeht“, sagt Vettel. Wobei das alles viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Auch seine Vertragsve­rhandlunge­n mit Ferrari ruhen gerade. Sein aktueller Kontrakt endet nach dieser Saison. „Wir sollten nun genug Zeit haben, das zu Ende zu bringen“, sagt Vettel. Im Zweifel eben virtuell. Wie eine solche Konferenz funktionie­rt, weiß er nun ja bestens.

 ?? Foto: Tom Boland, dpa ?? Sebastian Vettel beschäftig­t sich intensiv mit der aktuellen Situation. Er fordert weiterhin Geduld, von allen. Das Rennfahren fehlt ihm natürlich, auf Rennen ohne Zuschauer aber würde er gerne verzichten.
Foto: Tom Boland, dpa Sebastian Vettel beschäftig­t sich intensiv mit der aktuellen Situation. Er fordert weiterhin Geduld, von allen. Das Rennfahren fehlt ihm natürlich, auf Rennen ohne Zuschauer aber würde er gerne verzichten.

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