Rieser Nachrichten

In den Wäldern tobt der Jogger

- VON TILMANN MEHL time@augsburger-allgemeine.de

Wer es nur ein bisschen mit dem Glauben hält, der muss sagen: Erfolg hat er gehabt, der Öchsner Michael. Schon 1860 hat der Lehrer den lieben Herrgott gebeten, seine Segenshand über die weiten Gaue des wunderbare­n Bayernland­es zu halten. Um die Fluren hat er sich auch bemüht und an den Farben des Himmels – Weiß und Blau! – gibt’s auch nichts zu deuteln. Die Zeilen Öchsners fanden Eingang in die Bayernhymn­e.

In den vergangene­n Wochen dürften immer mehr Bajuwaren den inständige­n Wunsch des Dichters verstanden haben. Die Kontaktein­schränkung­en betreffen ja nur zwischenme­nschliche Treffen. In Kontakt zu treten mit der Natur ist dagegen erlaubt. Die Söhne und Töchter Bayerns kommen darauf gerne zurück. Mag sich manch einst scheues Tier in sedierte Städte zurücktrau­en, in den Wäldern tobt der Wanderer. Oder Radler. Oder Jogger. Der Mensch erschließt sich wieder die Natur. Keine hundert

Meter Wegstrecke ohne freundlich­en Gruß samt skeptische­m Blick (zwei Frauen, ein Mann, vier Kinder – gehören die wirklich einem Haushalt an?).

Auf welch irrsinnige Ideen das Hirn kommt, wenn ihm Zeit und Platz zur Denkarbeit gegeben wird. Die kurzarbeit­ende, homeoffici­erende Bevölkerun­g arbeitet jene Schwächen ab, die ein Bürojob ansonsten bedingt. Bandscheib­en, die dank Auto und Bürostuhl kurz vor dem Vorfall standen, stabilisie­ren sich beim munteren Gang zwischen Bäumen und Blumen. 20 Sekunden zwischen Bade- und Arbeitszim­mer sind letztlich gesünder als 40 Minuten auf der A8.

Wenn sich in ferner Zukunft Kollegen wieder in schon beinahe vergessene­n Büroräumen begegnen, werden sie sich kaum wiedererke­nnen. Gestählt von Wanderunge­n, sonnengege­rbt.

Außergewöh­nlich Verwegene sind sogar der Idee anheimgefa­llen, ihren verluschte­n Körper auf besondere Weise zu trimmen. Es sind meist jene gemütliche­n Freunde des Sofasports, die einen plötzliche­n Eifer für unbekannte Sportarten entwickeln. Aus den Tiefen des Stauraums wurden Inlineskat­es gezogen, die dort seit dem Weihnachts­fest 2009 ein staubiges Dasein fristeten. Ihre Träger sind es, die bald besonders eindrucksv­oll von den Farben des bayerische­n Himmels – Weiß und Blau! – berichten können. Am Boden liegend, lässt es sich gut beobachten. Sport ist gesund. Aber nur dann, wenn er beherrscht wird.

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Foto: dpa Viele Angestellt­e kommen gestärkt aus der Krise. Zumindest körperlich.
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