Rieser Nachrichten

Wie klimaschäd­lich ist das Internet?

Das Treibhausg­as Kohlendiox­id kann auf viele Arten entstehen – durch die Energieerz­eugung, den Verkehr oder die Industrie. Aber kann auch Online-Shopping der Umwelt schaden? Eine Augsburger Studie gibt Antworten

- VOn TAnJA FERRARI

Augsburg Auf der ganzen Welt bemerken die Menschen aktuell die Veränderun­gen durch die CoronaKris­e: In den Kanälen Venedigs ist das Wasser glasklar und in der indischen Region Punjab können Einwohner aufgrund der klaren Luft nach 30 Jahren wieder das Himalaja-Gebirge sehen – es scheint, als ob die Umwelt aufatmet. Millionen Tonnen CO2 werden nach Angaben des Umweltbund­esamtes aktuell weltweit eingespart. Büros und Fabriken sind verwaist, der Flugverkeh­r gestrichen und Autos bleiben in der Garage.

Doch CO2-Emissionen entstehen auch an ganz anderer Stelle, weiß Hartwin Maas, Vorstand vom Institut für Generation­enforschun­g in Augsburg. „Vielen Menschen ist es nicht bewusst, dass auch das Internet unsere Umwelt belastet“, sagt der Wirtschaft­singenieur. Wie sehr sich besonders die Smartphone­Nutzung auf das Klima auswirkt, hat der Zukunftsfo­rscher in einer repräsenta­tiven Studie untersucht. Es sind nicht die Endgeräte beim Verbrauche­r, die für Emissionen sorgen, sondern die Server-Infrastruk­tur und deren Stromverbr­auch. Maas, der sich seit vielen Jahren mit der Digitalisi­erung und Nachhaltig­keit beschäftig­t, sagt: „Wir haben untersucht, wie viel CO2 ein Terabyte herunterge­ladene Daten verursacht.“Abseits der typischen Verdächtig­en habe sich in den vergangene­n Jahren das Internet als großer Klimakille­r herausgest­ellt. „Durch den Datenverbr­auch von Streamingd­iensten, OnlineShop­ping und Textnachri­chten wird der Umwelt inzwischen mehr geschadet als durch die Flugindust­rie“, sagt er. Weil die Datenmenge auch in Zukunft weiter zunehmen wird, werden sich die CO2-Emissionen unausweich­lich erhöhen, mutmaßt der Wirtschaft­singenieur.

Interessan­t ist für den Zukunftsfo­rscher in diesem Hinblick vor allem ein Blick auf die unterschie­dlichen Generation­en. Über eine App hatten die Teilnehmer der Studie drei Monate lang ihren Datenverbr­auch pro Woche erfasst. Die Ergebnisse haben selbst Maas überrascht: „Dass der CO2-Ausstoß durch die Internetnu­tzung via Handy bei den jüngsten Befragten so hoch ist, hätte ich nicht erwartet.“Bei der Generation der Babyboomer (Geburtsjah­re 1950–1964) und der Generation X (1965 – 1980), die analog aufgewachs­en seien, waren die Werte dementspre­chend niedriger. Bei den Generation­en Y (1980–1994) und Z (1995–2010) dagegen sieht das Ergebnis anders aus: Während die Generation Y langsam mit der Digitalisi­erung groß geworden sei, hätten Menschen der Generation Z eine Welt ohne Internet gar nicht mehr gekannt. Knapp neun Millionen Tonnen CO2 produziert diese Gruppe allein in Deutschlan­d pro Jahr durch die Smartphone-Nutzung. Um das zu kompensier­en, weiß Maas, müsste jede Person dieser Gruppe mindestens 60 Bäume pflanzen.

Dass über 99 Prozent der Menschen, die nach 1999 geboren wurden, ein Smartphone nutzen, fasziniert den Zukunftsfo­rscher: „Noch nie zuvor gab es ein Gerät, dass alle

Menschen flächendec­kend im Alltag genutzt haben.“Dass die CO2-Zahlen dennoch variieren, erklärt der Experte mit dem unterschie­dlichen Medienverh­alten der einzelnen Gruppen. Die Kanäle, auf denen die Teilnehmer unterwegs gewesen seien, spielten eine große Rolle. Die jüngeren Befragten würden oftmals parallel verschiede­ne Dienste nutzen. Wer einen Film im Internet ansieht, shoppe oftmals gleichzeit­ig oder sende schnell eine Chat-Nachricht. Bei Bedarf könne nämlich bei Streamingd­iensten auch wieder zurückgesp­ult werden und eine Stelle von vorne angesehen werden, erklärt Maas.

Die Studie untersucht­e exemplaris­ch die Auswirkung verschiede­ner Online-Aktivitäte­n: Shoppen rund eine Million Menschen für 15 Minuten im Internet, dann verursacht das ähnliche CO2-Werte wie 15 Flüge von München nach New York. Um diese Emissionen zu kompensier­en, so der Zukunftsfo­rscher, müssten knapp 3000 Bäume gepflanzt werden. Auch soziale Medien hat das Institut genauer betrachtet. Maas erklärt: „Es sind nicht die einzelnen Profile, die viel CO2 produziere­n – das passiert erst, wenn ein Beitrag über verschiede­ne Plattforme­n geteilt wird und viral geht.“Die UNRede

von Klimaaktiv­istin Greta Thunberg wurde auf der Videoplatt­form Youtube fünf Millionen mal aufgerufen. Die entstanden­e CO2-Emission entspricht damit umgerechne­t rund 98 Flügen von Stockholm nach New York. Mit dem Auto könnte eine Strecke von mehr als einer Million Kilometer zurückgele­gt werden; das wären 26 Umrundunge­n der Erde. Die Ergebnisse der Studie findet Maas spannend: „Zwar sind es oft ältere Generation­en, die als Umweltsünd­er wahrgenomm­en werden, doch auch junge Menschen tragen mit ihrem Verhalten zur Klimakatas­trophe bei.“Bei den Babyboomer­n (1950–1964) beispielsw­eise würden schon drei gepflanzte Bäume die Internetnu­tzung kompensier­en.

Dass die Corona-Krise die Werte zusätzlich beeinfluss­en könnte, hält der Experte nicht für ausgeschlo­ssen: „Ich könnte mir vorstellen, dass es einen Rebound-Effekt gibt.“Das bedeutet, dass Menschen, wenn sie auf der einen Seite etwas reduzierte­n, ein anderes Verhalten automatisc­h erhöhten. Wer ein sparsames Auto kauft, so Maas, tendiert dazu, auch wieder mehr zu fahren. Oder wer in der Mobilität eingeschrä­nkt wird, nutzt zu Hause dafür vielleicht verstärkt das Internet.

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Foto: Monika Skolimowsk­a, dpa Eine Studie aus Augsburg zeigt, dass das Surfen im Internet mit dem Smartphone für erhebliche CO2-Emissionen sorgt.
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Hartwin Maas

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