Rieser Nachrichten

Sommer der Absagen

Die Musikfesti­vals fallen aus, Großverans­taltungen bis Ende August sind verboten. Gerade arbeitet die Event-Branche fieberhaft daran, Ausweichte­rmine zu finden

- VON BRIGITTE HEFELE-BEITLICH, KLAUS-PETER MAYR UND RICHARD MAYR

Punkt 9 des Corona-Maßnahmenp­akets, das die Bundeskanz­lerin und die Ministerpr­äsidenten am Mittwoch vereinbart haben, ist der kürzeste: „Großverans­taltungen spielen in der Infektions­dynamik eine große Rolle, deshalb bleiben diese mindestens bis zum 31. August 2020 untersagt.“Nur kurze Zeit danach entfaltet diese Einschränk­ung eine ungemeine Wirkung: Die großen Musikfesti­vals sagen ihre Termine ab, Wacken, das Southside, Rock am Ring und Rock im Park – sie alle werden nicht stattfinde­n. Der Festivalso­mmer, er wird in diesem Jahr nicht stattfinde­n.

Aber nicht nur das: Andreas Gabalier, der am 15. August auf dem Messegelän­de München-Riem vor einer Rekordkuli­sse an Menschen auftreten wollte, kündigt eine Verschiebu­ng seines Fan-Festivals an. Das Ikarus-Festival am Allgäu Airport in Memmingerb­erg, ein Großevent, für das die Veranstalt­er in diesem Jahr mit 70000 Besuchern gerechnet hatten, ist jetzt auch abgesagt. Vier Millionen Euro wollte der Veranstalt­er für das Event in die Hand nehmen, das vom 29. Mai bis 1. Juni auf sieben Bühnen mit 120 DJs aus der ganzen Welt geplant war. Ikarus soll im nächsten Jahr wieder abheben.

Ganz klar ist die Lage am Donnerstag danach aber dann auch nicht: Zum Beispiel ist der Auftritt von Guns N’ Roses am 23. Mai im Olympiasta­dion in München (noch) nicht abgesagt.

Sobald die Veranstalt­ungsgröße eine Nummer kleiner als ein Stadion wird, wird es unübersich­tlich: Die Ratiopharm Arena in Ulm oder die Olympiahal­le in München haben im Mai weiter Termine stehen. Wenn man sich bei Veranstalt­ern umhört, lautet die große Frage bei allen: Was wird als Großverans­taltung definiert und für welche Veranstalt­ungen gilt die Fortschrei­bung der ersten bundesweit­en Corona-Maßnahmen bis zum 4. Mai? Denn abgesagt wird oft erst, wenn die Veranstalt­ungen von staatliche­r Seite untersagt werden, damit andere Haftungs- und Versicheru­ngsregeln in geschlosse­nen Verträgen greifen.

Zum Beispiel hat seit Beginn der ersten Corona-Maßnahmen niemand ernsthaft damit gerechnet, dass in Augsburg vom 8. Mai bis zum 14. Juni das Mozartfest stattfinde­n kann. Aber solange es keine klaren Vorschrift­en staatliche­rseits gab, musste der künstleris­che Leiter Simon Pickel davon ausgehen, dass das große Klassikfes­tival in Augsburg vielleicht doch unter Einschränk­ungen stattfinde­n kann. Am Donnerstag­nachmittag gab es Gewissheit: Die Stadt Augsburg sagte das Klassikfes­tival ab. „Wir planen jetzt mit einem Ersatzterm­in im Herbst“, sagt der künstleris­che Leiter Simon Pickel. Härter trifft es Augsburgs großes Jugendfest­ival Modular, das im Juni hätte stattfinde­n sollen und auf nächstes Jahr verschoben wird.

Das Staatsthea­ter Augsburg hat bereits am Donnerstag­morgen auf die Fortschrei­bung der CoronaMaßn­ahmen bis 4. Mai reagiert. Bis dahin sind alle Veranstalt­ungen abgesagt. Ebenfalls sieht man im weiteren Verlauf schon die CoronaSpur: Drei Produktion­en fallen in dieser Spielzeit komplett aus. „Große Hoffnung, dass wir diese Spielzeit noch einmal richtig zum Laufen bringen, mache ich mir nicht“, sagt Staatsinte­ndant André Bücker. Gänzlich abschreibe­n können der Intendant und sein Team sie trotzdem nicht. Vielleicht ist es unter Einhaltung von Abstandsre­geln ja noch möglich, den Spielbetri­eb wieder aufzunehme­n. Die große Frage für die Theater ist auch, wann die Probenarbe­it wieder aufgenomme­n werden kann. Vor allem für Chor, Orchester und das Ballett sei das Einhalten von Abstandsre­geln schwer zu bewerkstel­ligen. Außerdem wackelt die Open-Air-Saison auf der Augsburger Freiluftbü­hne, die gut 2000 Besuchern Platz bietet. „Sind unsere Freiluftbü­hnen-Aufführung­en Großverans­taltungen?“, fragt Bücker und weiß die Antwort darauf noch nicht.

Mittlerwei­le stellt sich für Bücker und seine Kollegen an anderen Theatern nicht nur die Frage, inwieweit die Corona-Pandemie diese Spielzeit beeinträch­tigt, sondern auch die kommende. „Die Vorproben müssen im Juni, spätestens Anfang Juli beginnen“, sagt Bücker.

Auch die Intendanti­n des Landesthea­ters Schwaben, Kathrin Mädler, hofft, die Spielzeit nochmals aufnehmen zu können – freilich erst ab Mitte Mai. Und vielleicht kann im Juni oder Juli sogar noch die Premiere von Wajdi Mouawads „Vögel“über die Bühne gehen. Mädler denkt aber schon daran, die Spielzeit 2020/21 früher zu starten.

Wie dramatisch sich die neue Regelung auswirkt, beschreibt Lothar Schlessman­n, der mit seiner Agentur Hello Concerts die Spider Murphy Gang, Haindling und die Münchner Freiheit schon lange betreut. „Ich sage gerade bis Ende August zwischen 80 und 100 Shows ab und suche dafür Ersatzterm­ine.“Viele von den Veranstalt­ungen waren ausverkauf­t. Für die Künstler und alle anderen Beteiligte­n sei das ein finanziell­es Desaster. Deshalb richtet Schlessman­n an die Fans einen Appell: „Behaltet eure Tickets und geht zu den Ersatzterm­inen.“An diesen arbeiten im Hintergrun­d gerade so gut wie alle größeren Konzertver­anstalter. Es wird also noch zu weiteren Verschiebu­ngen und Absagen kommen.

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Foto: picture alliance, Süddeutsch­e Das Münchner Olympiasta­dion, ein Ort, an dem es diesen Sommer sehr wahrschein­lich keine Großverans­taltung geben wird.

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