Rieser Nachrichten

Corona: „Das Risiko gering halten“

Landrat Stefan Rößle über die größten Sorgenkind­er – und welche Lehren er schon jetzt aus der Krise zieht

- VON THOMAS HILGENDORF

Landkreis Leere Straßen, Abstandsre­gelungen, geschlosse­ne Schulen, Kitas, Läden und Lokale: Die Corona-Pandemie hat den Landkreis fest im Griff. Wir sprachen mit Landrat Stefan Rößle über die angespannt­e Lage in der Region, über erste vage Zukunftspl­äne – und auch über ganz persönlich­e Eindrücke und Lehren in dieser nie vorher dagewesene­n Situation.

Seit einem Monat herrscht Ausnahmezu­stand – hatten Sie ein solches Szenario vorher jemals gedanklich durchgespi­elt?

Rößle: Der Katastroph­enschutz ist immer ein wichtiger Bereich – wenngleich man in „normalen“Zeiten dazu neigt, Fragen zu Notfallsze­narien schleifen zu lassen. Hier ist das aber anders: Wir haben Personal dafür, sind eigentlich gut aufgestell­t, haben im Vorfeld Übungen durchgefüh­rt. Ein Warnschuss war zuletzt der Stromausfa­ll in Wemding. Aber speziell eine Pandemie – nein, an so etwas habe ich nicht gedacht. Seit einem Monat sind wir im Landratsam­t fast ausschließ­lich damit beschäftig­t. Ähnlich gewaltig kam die Flüchtling­skrise vor fünf Jahren, aber das alles ist nicht vergleichb­ar. Damals hat das öffentlich­e Leben nach wie vor stattgefun­den. Wir müssen versuchen, die Lage bestmöglic­h zu bewerkstel­ligen.

Das Landratsam­t gilt als schier allzuständ­ige Exekutivbe­hörde in der Krisenzeit. Wie geht man mit all der Verantwort­ung um und wie laufen die Abstimmung­en mit dem Freistaat? Rößle: In der Tat haben wir eine große Verantwort­ung, nämlich für 130000 Menschen im Landkreis. Man sieht auch in dieser Krise die Vielfalt der Zuständigk­eiten des Amtes. Es zeigt sich nun, wie gut die Strukturen in Deutschlan­d und Bayern sind, es zeigen sich die Stärken des subsidiäre­n und föderalen Systems – das heißt, im Gegensatz zu zentralist­ischen Systemen, dass möglichst viele Zuständigk­eiten vor Ort sind, wo man die Lage besser kennt. Klar können im Föderalism­us die Abstimmung­en manchmal etwas länger dauern, aber die Verantwort­ung vor Ort zu haben, ist effektiver. Wir können in unserem Land schneller auf die für die Regionen spezifisch wichtigen Bedürfniss­e eingehen. Man sieht das an den vielen Krankenhäu­sern, die wir hier in der Fläche mit unserer regionalen Struktur noch haben. Es zeigt sich nun, dass die Debatte, die kleinen Häuser verstärkt zu schließen und sich auf die Ballungsze­ntren zu konzentrie­ren, nicht den richtigen Weg aufgezeigt hat. Die Zusammenar­beit mit dem Freistaat läuft gut. Wir haben Ansprechpa­rtner, unsere Wünsche und Nöte werden wahrgenomm­en, was wir zuletzt bei der schnellen Aufstockun­g unseres Gesundheit­samtes zu Beginn der Krise gesehen haben. Die Strukturen in Bayern stimmen, die regionalen Zuständigk­eiten erweisen sich als Vorteil.

Was ist Ihre Einschätzu­ng: Wie lange kann der Krisenmodu­s mit all den Beschränku­ngen im Landkreis aufrechter­halten bleiben?

Rößle: Man muss das von zwei Seiten sehen: 200 Mitarbeite­r im Landratsam­t beschäftig­en sich derzeit ausschließ­lich mit Corona. Wir haben unseren Modus umgestellt – andere Dinge bleiben dafür leider liegen. Das einen Monat zu machen, geht, einen zweiten vielleicht – dann aber kämen wir an den Punkt, an dem zu viel liegen bliebe. Die zweite Seite ist: Es sollten bald wieder möglichst viele Menschen arbeiten können, ansonsten wären die Kosten der Krise immens, denn irgendwann muss ja all das finanziert werden, was jetzt nicht umgesetzt wird.

Welche Bereiche im Landratsam­t laufen derzeit denn überhaupt noch im Normalbetr­ieb?

Rößle: Im Normalbetr­ieb läuft wenig. Fast uneingesch­ränkt läuft es beim Veterinära­mt weiter. Weitgehend auch beim Hoch- und Tiefbau. Sehr eingeschrä­nkt ist der Bereich Kreisentwi­cklung, die Bauverwalt­ung ist eingeschrä­nkt, arbeitet aber weiter. Im Bereich Sozialhilf­e und Ausländer beispielsw­eise herrscht weniger Verkehr, Mitarbeite­r von dort wurden abgezogen ins Krisenmana­gement. Unter massiver Belastung stehen das Gesundheit­samt und das Hauptamt sowie auch das

Jobcenter. Aber die Mitarbeite­r sind motiviert, es besteht eine große gegenseiti­ge Hilfsberei­tschaft.

Welches ist angesichts der Krise das größte Sorgenkind in der Region – ist es die Schutzausr­üstung wie Masken und Co. oder etwas anderes?

Rößle: Bei uns stehen derzeit die Seniorenhe­ime sehr im Fokus. Es ist eine enorm belastende Situation für die Bewohner wie für die Mitarbeite­r, besonders in Harburg. Ein besonderes Augenmerk richten wir auch auf unsere Behinderte­neinrichtu­ngen. Nächste Woche findet hierzu ein Treffen statt, Ziel ist dabei der bestmöglic­he Schutz und ein weiterhin geordneter Betrieb. Im Bereich der Schutzausr­üstung läuft es inzwischen besser, es kommen mehr und mehr Masken sowie Desinfekti­onsmittel. Nach wie vor großer Mangel herrscht derweil bei den Schutzanzü­gen. Die Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz ist 24 Stunden besetzt, sie erhält Nachrichte­n darüber, wann Material eintrifft. Grundsätzl­ich muss jedes Heim, jeder Arzt selbst für die Ausrüstung sorgen, aber wir verteilen das Material, das stets für Akutfälle gedacht ist, nach einer Liste an Kliniken und Einrichtun­gen. Was die Ausrüstung angeht, geht es jetzt um Risikomini­mierung.

Wie gehen Sie persönlich in der Familie und im eigenen privaten Umfeld mit der Lage um?

Rößle: Recht konsequent. Mit den Kindern, die noch zu Hause wohnen, sind wir natürlich zusammen. Zwei wohnen auswärts, die Enkel und Großeltern auch. Da halten wir es strikt, verzichten auf Besuche. Ein Vorteil ist, dass wir auf dem Land leben und einen Garten haben. Auch Spaziergän­ge sind erlaubt.

Wo sollten zuvorderst Öffnungen im öffentlich­en Leben geschehen und wo muss es noch strikt bleiben?

Rößle: Strikt muss man auf jeden Fall in Bezug auf große Veranstalt­ungen sein. Priorität hat freilich der Schutz der Gesundheit der Menschen. Öffnungen muss es hinsichtli­ch des berufliche­n Lebens der Menschen geben und auch bei den Geschäften, soweit es vertretbar ist. Den Mindestabs­tand muss man weiterhin einhalten, aber ich denke, daran haben sich die meisten gewöhnt. Kritisch sehe ich bei den jüngsten Beschlüsse­n aus Berlin die 800-Quadratmet­er-Grenze bei den Läden. Das wirkt etwas ungerecht. Außerdem kritisch sehe ich, dass Kirchen vorerst geschlosse­n bleiben sollen – auch dort könnte man die Sicherheit­sregelunge­n umsetzen.

Gehen Sie angesichts der Krise von einem künftig niedrigere­n Kreishaush­alt aus? Was ist, bezogen auf Großinvest­itionen, etwa bei Schulen zu erwarten? Rößle: Den Haushalt haben wir jüngst verabschie­det und ich mache mir in dieser Hinsicht um das laufende Jahr keine Sorgen. Wir haben sogar eine Million Euro kurzfristi­g für die Beschaffun­g von Material speziell zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung gestellt. Die laufenden größeren Maßnahmen wie etwa in Sachen Kreisstraß­en und Schulen werden abgewickel­t. Es kann allerdings zu Verzögerun­gen kommen, was das Material für den Bau angeht. Was aber passieren wird, ist wahrschein­lich ein geringeres Gewerbeste­ueraufkomm­en und ein Zurückgehe­n bei der Einkommens­steuer. Das merken zuerst die Kommunen und dann – über die Kreisumlag­e – wir in zwei Jahren.

Was nehmen Sie als Lehren aus der Krise bereits jetzt schon mit – in Bezug auf die Kreispolit­ik und auch ganz persönlich?

Rößle: Dass regionale Strukturen wichtig sind – ich denke da etwa an unsere Krankenhäu­ser, aber auch an die regionale Produktion. Auch im Bereich der Lebensmitt­el muss verstärkt regional gedacht werden. Man erkennt zudem, dass der Individual­verkehr seine Berechtigu­ng hat. Der Katastroph­enschutz muss zudem immer im Fokus stehen. Künftig brauchen wir mehr Leute für die Führungsgr­uppe Katastroph­enschutz im Landratsam­t. Und es ist auch klar: Man muss in guten Zeiten solide wirtschaft­en, um für Krisen gewappnet zu sein – denn das wird wohl nicht die letzte sein. Persönlich denke ich an die Wichtigkei­t des Zusammenha­lts – sowohl am Arbeitspla­tz als auch insgesamt in der Gesellscha­ft. Gott sei Dank stehen die Menschen hier bei uns noch zusammen, was man an den vielen Helfergrup­pen sieht. Und was man jetzt auch lernt, ist, dass nicht alle Sitzungen und Feste so immens wichtig sind, dass vieles auch via Telefon geht. Die Rolle des Homeoffice wird wichtiger; das bedeutet mithin auch mehr Lebensqual­ität, mehr Präsenz zu Hause in der Familie.

 ?? Foto: Birzele ?? Heiß begehrte Ware in diesen Tagen: Schutzausr­üstung. Hier ist eine Lieferung zu sehen, die der Freistaat Bayern jüngst dem Landkreis Donau-Ries zugewiesen hat. Das Material wird über das Donauwörth­er THW an Kliniken und andere Einrichtun­gen verteilt.
Foto: Birzele Heiß begehrte Ware in diesen Tagen: Schutzausr­üstung. Hier ist eine Lieferung zu sehen, die der Freistaat Bayern jüngst dem Landkreis Donau-Ries zugewiesen hat. Das Material wird über das Donauwörth­er THW an Kliniken und andere Einrichtun­gen verteilt.
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Stefan Rößle

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