Als die Amis kamen
Zwei Wochen, bevor der Zweite Weltkrieg offiziell zu Ende war, rückten US-amerikanische Soldaten in Nördlingen ein. Dass der Tag ohne Blutvergießen endete, ist auch Feldwebel Andreas Egetemeyr zu verdanken
Nördlingen Im April 1945 waren für Nördlingen die letzten Kriegstage angebrochen, die angesichts der im Westen nach Süden vorrückenden, die Stadt allerdings noch umgehenden amerikanischen Truppen von einer Frage beherrscht wurden: Kapitulation oder Verteidigung?
Die Ausgangslage lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Stadt war vermeintlich für die Verteidigung vorbereitet. Das Kampfkommando hatte Major Georg Beyschlag inne. Er übertrug dem gebürtigen Nördlinger Friedrich Karl Hirsch, der sich nach einem Lazarettaufenthalt in seiner Heimatstadt aufhielt, die Führung der Nördlinger Alarmeinheit, zu deren wichtigster Aufgabe die Verteidigung der Stadt gehörte. Beyschlag und Hirsch, der kommissarische Bürgermeister Rudolf Steger und der Leiter des Lazaretts waren sich über die Sinnlosigkeit einer Verteidigung im Klaren. Doch was nutzte dies, wenn nach der Abberufung Beyschlags sein Nachfolger, ein Major Dörr, die bedingungslose Verteidigung der Stadt anordnete? Das war die Ausgangssituation unmittelbar vor dem Heranrücken der Amerikaner, die zu dieser Zeit schon bis Wallerstein vorgerückt waren, wo es tatsächlich noch zu Kämpfen mit mehreren Toten gekommen und ein Häuserkampf entbrannt war.
Folgt man dem Bericht Stegers und der Schilderung Zipperers, dann ergibt sich folgendes Bild: Auf die Kunde vom Anmarsch der Amerikaner hatte der seit 1941 amtierende kommissarische Bürgermeister Eugen Einberger am 21. April zusammen mit der Schutzpolizei die Stadt verlassen. Die Geschäfte des Bürgermeisters gingen auf Stadtamtmann Rudolf Steger über, der, ohne Kenntnis von der Abreise des Bürgermeisters, am Nachmittag des 21. April sein Geschäftszimmer aufsuchte, im Rathaus jedoch niemanden antraf.
Schwierige Verhandlungen
Zur selben Zeit befand sich Oberstabsarzt Dr. Hans Seuß im Reservelazarett mit dem Kampfkommandanten Major Dörr in Verhandlungen wegen einer kampflosen Übergabe der Stadt, was der Kommandant jedoch strikt ablehnte. Auf Stegers Veranlassung wurden um 8 Uhr früh durch Mitarbeiter des Dr. Seuß die Rotkreuzflaggen auf dem Turm der Kirche gehisst. Sanitätsunteroffizier Karl Ruf hatte rotes Tuch besorgt und hatte dies von den Schwestern im Lazarett zusammen mit Betttüchern zu Rotkreuzflaggen nähen lassen. Vom Aufziehen weißer Fahnen als Zeichen der Kapitulation wurde von allen Seiten abgeraten, da noch SS-Verbände in der Umgebung waren. Dennoch war es dem Landwirt Robert Möhle gelungen, zwischen die Rotkreuzflaggen eine kleine weiße Fahne zu hängen.
Steger ließ sie sofort wieder einziehen. Genau das aber war gefährlich. Denn wenn die Amerikaner das sehen würden, mussten sie davon ausgehen, dass die Stadt sich nun doch verteidigen wollte. In Kenntnis dieses Umstandes könnten sie die Stadt mit Artilleriefeuer belegen, zumal nach wie vor Überflüge der Stadt, wenn auch ohne Bombenabwürfe, erfolgten. Die Hoffnung, dass man nun sicher sei, wurde aber jäh enttäuscht, als der Kampfkommandant anordnen ließ, jegliche Flaggen sofort einziehen zu lassen.
Steger sandte nach Beratung mit den Ratsherren eine Abordnung zum Kampfkommandanten mit der dringenden Bitte, die Stadt durch den Einzug der Flaggen nicht erneut in Gefahr zu bringen. Major Dörr berief sich jedoch darauf, dass nur mit Genehmigung des in der Umgebung von Oettingen sich aufhaltenden höheren Stabes von dem Befehl Abstand genommen werden könne.
Steger blieb hartnäckig. Zusammen mit Oberleutnant Hirsch ging er persönlich zu dem im Meyers Keller auf der Marienhöhe logierenden Kampfkommandanten, um diesen zu bitten, die Stadt nicht erneut in Gefahr zu bringen. Der Kampfkommandant aber empfing die beiden sehr unfreundlich und drohte Steger wegen dessen Anordnung des Hissens der Rotkreuzflaggen mit Erschießung und bestand auf deren Abnahme. Steger hatte nun keine Wahl mehr. Allerdings konnte er mit dem vom Kommandanten beauftragten Unteroffizier Schick dahingehend verhandeln, die Fahnen stückweise abzuschneiden, um so die Abnahme zu verzögern.
Das Ringen um die Kornlachbrücke
Und wie stand es mit der Brücke am Baldinger Tor, die zum Verteidigungsbereich von Oberleutnant Hirsch gehörte? Sie war ja schon seit längerer Zeit von einem Pionierkommando zur Sprengung vorbereitet und zwar in dem Augenblick, in dem der Feind sie betreten sollte. Hirsch erreichte es, dass das Pionierkommando abgelöst und der Sprengbefehl dem Feldwebel Andreas Egetemeyr übergeben wurde, der nun seinerseits für die Sprengung der Brücke verantwortlich war. Würde er dem Befehl zuwider handeln, wäre ihm seine sofortige Hinrichtung durch eines der „fliegenden Standgerichte“sicher gewesen. Er aber wartete den Tag ab, an dem sich der Kampfkommandant zurückzog und entfernte heimlich die Zündung an der tödlichen Dynamitladung. Es war der 21. April 1945.
Bald darauf, als die Meldung verbreitet wurde, dass die Stadt unter allen Umständen verteidigt werden sollte, erkannte Egetemeyr das Prekäre der Situation und versah die Sprengladung der Brücke mit einer harmlosen Attrappenzündung. Als sich jedoch herausstellte, dass die gemeldete SS-Division zur Verteidigung der Stadt nicht anrücken würde, übergab Egetemeyr die Aufsicht über die Brücke an Kaminkehrermeister August Höcht, dem Vertrauensmann des Bürgermeisters, der die Brücke den anrückenden Amerikanern übergeben sollte. Die Lage blieb äußerst angespannt, zumal Major Dörr erneut die Kapitulation der Stadt ablehnte. Dann aber schien sich das Blatt zu wenden.
Nördlingens Kommandant Dörr verließ Hals über Kopf die Stadt, was offensichtlich mit dem Verschwinden der sich bisher noch im Stadtgebiet aufhaltenden SS-Verbände zusammenhing. Wenn es nun gelingen sollte, die Wache von der Baldinger Torbrücke wegzubringen, war die Nichtverteidigung der Stadt gesichert. Steger wörtlich über den 23. April: „Im Laufe des Vormittags gelang es uns, diese letzte Gefahr abzuwenden. Der Feldwebel hatte sich in die Stadt zurückgezogen. Nach Meldung vom Turm unternahmen die amerikanischen Truppen vereinzelt Panzervorstöße von Pflaumloch und Holheim her. Die Ratsherren waren in diesen Stunden der höchsten Gefahr auf der Polizeiwache um mich versammelt. Ich beauftragte verschiedene Herren, mit weißen Fahnen an den Totenberg und an das Baldinger Tor zu gehen.“
Kurz nach 17 Uhr wurde von der Turmwache ein amerikanischer Panzerkampfwagen gesichtet. Er fuhr durch das Baldinger Tor in die Stadt hinein, passierte das Rathaus in Richtung Reimlinger Tor und fuhr zurück zum Baldinger Tor. Um 17.20 Uhr erschien dann das Übergabe-Kommando. Ein amerikanischer Leutnant namens Fag erkundigte sich nach dem Bürgermeister. Steger übergab ihm die Stadt und geleitete ihn in die Polizeiwache. Dort richtete der amerikanische Stab seine Befehlsstelle ein.
Amtmann Steger zufolge war in der Bevölkerung mit der Übernahme der Stadt eine gewisse Entspannung eingetreten, zumal sich die Übergabe in völliger Ruhe vollzog und nun nicht mehr mit Fliegerangriffen gerechnet werden musste. Weniger ruhig war es freilich in dieser ersten Nacht und in den folgenden Nächten auf der Polizeiwache. Dort herrschte ein ständiges Kommen und Gehen von amerikanischen, russischen, französischen und anderen Truppen, da der Stab hier seine Befehlsstelle eingerichtet hatte. Der Krieg war für Nördlingen zu Ende – zwei Wochen vor der Kapitulation des Hitlerregimes am 8. Mai 1945. G. A. Zipperer schreibt dazu: „Die Bevölkerung sah ohne Emotionen dem Einmarsch der Truppen zu. Sie jubelten ihnen nicht zu, trotzdem war es fast, als zögen Befreier ein. Und befreit war das Volk ja auch wirklich, von vieler Drangsal.“Nördlingen trauerte um 338 gefallene oder verstorbene Soldaten, 42 Soldaten waren vermisst.