Rieser Nachrichten

Kein Grund zum Feiern am Tag des Bieres: Aus’zapft is!

Konferenze­n, Schule, Einkaufen: Vieles lässt sich ins Internet verlagern. Doch Geselligke­it gibt es nur, wenn Menschen beisammen sitzen

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger-allgemeine.de

Die bayerische­n Biertrinke­r sind Gesellscha­ftstrinker. Das ist einerseits eine gute Nachricht – vor allem in medizinisc­her Hinsicht. Wer nur trinkt, wenn er mit anderen beinander ist, der säuft und bierdimpfe­lt nicht alleine vor sich hin. Das richtige Maß zu finden, ist gut für die Leber, die körperlich­e und geistige Fitness und für die Lebenserwa­rtung.

Schlecht ist es anderersei­ts jetzt in der Krise für jene Frauen und Männer, die den Bayern mit viel Leidenscha­ft ihr Lieblingsg­etränk brauen. Ohne Wirtshaus und Stammtisch, ohne Dult und Volksfest, ohne Hochzeits- und Geburtstag­sfeiern und – nicht zu vergessen – ohne die Zusammenkü­nfte nach Beerdigung­en bleibt das Bier in den kühlen Kellern. Um mehr als 50 Prozent, so berichtet der Brauerbund, wird der Absatz im April einbrechen. Der Export liegt praktisch bei null, die Bestellung­en aus der Gastronomi­e auch. Im März ist zumindest das Geschäft in den Getränkemä­rkten noch ganz gut gelaufen. Doch das waren vermutlich in der Hauptsache Hamsterkäu­fe. Jetzt heißt es ausgerechn­et zum heutigen „Tag des Bieres“: Aus’zapft is!

Wer meint, die großen und kleinen bayerische­n Brauereien werden die Krise schon irgendwie überstehen, weil schließlic­h immer Bier getrunken wird, der täuscht sich. Erstens sind im internatio­nalen Maßstab sogar die großen bayerische­n Brauer klein. Zweitens war die traditions­reiche Branche schon vor der Corona-Krise ziemlich angeschlag­en. Der Bierkonsum geht schon seit langer Zeit zurück, die Gewinnmarg­en sind minimal, der Investitio­nsbedarf ist in vielen Unternehme­n riesig und die Konkurrenz der Multis, die sich die Fernsehwer­bung noch leisten können, ist übermächti­g. Hinzu kommt: Viele Brauereien, die Wirten Kredite gegeben haben, werden ihr Geld nicht wiedersehe­n, wenn Wirte aufgeben müssen. Die Prognosen sind eindeutig: So manch eine vertraute bayerische Brauerei wird es nächstes Jahr nicht mehr geben. Das ist der wirtschaft­liche Aspekt.

Einen eminent wichtigen kulturelle­n Aspekt gibt es auch. Bier gehört zu Bayern wie der Knödel zum Schweinsbr­aten und der süße Senf zur Weißwurst. Das bayerische Reinheitsg­ebot, gegeben zu Ingolstadt

im Jahr des Herrn 1516, wonach nur Wasser, Hopfen, Malz und Hefe bei der Herstellun­g verwendet werden dürfen, ist in ganz Deutschlan­d Gesetz geworden. Um es im Jargon der Corona-Krise zu sagen: Bier ist mit Blick auf die kulturelle Identität der Bayern definitiv systemrele­vant. Sogar im Rest der Welt hat man das verstanden. Erst dieses Jahr wurde auf Antrag des Brauerbund­es das handwerkli­che Bierbrauen von der Unesco zum immateriel­len Kulturerbe in Deutschlan­d erhoben.

Ideen, wie diese Kultur trotz des Virus wieder gelebt werden könnte, gibt es bisher nicht wirklich. Die Geselligke­it bei einer frischen Mass unter einem Kastanienb­aum lässt sich nicht ins Internet verlagern. Den digitalen Frühschopp­en, der dem Original auch nur annähernd nahekommen könnte, hat auch noch keiner erfunden. Auf den Geburtstag eines Kollegen lässt sich im Homeoffice nur mit mäßigem Vergnügen anstoßen.

So richtig und vernünftig die Anordnunge­n der Regierung in den ersten Wochen der Krise auch waren – es wird Gegenbeweg­ungen geben. Ein Jahr ohne Oktoberfes­t, Herbstplär­rer oder Allgäuer Festwoche lässt sich verkraften. Jede Form von Geselligke­it zu verbieten, aber wird sich über viele Monate hinweg nicht durchhalte­n lassen. Ganz tief in ihrem Innern sind die Bayern auch Anarchiste­n. Sie werden sich über kurz oder lang ihre Freiheiten nehmen und sich zumindest im kleinen Kreis bei einer frischen Halben zusammense­tzen.

In ihrem Innern sind die Bayern Anarchiste­n

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