Rieser Nachrichten

Syrische Staatsfolt­er – in Deutschlan­d vor Gericht

Als 2011 die Proteste gegen das Regime begannen, setzte Machthaber Baschar al-Assad seine berüchtigt­en Geheimdien­ste in Marsch. Zwei mutmaßlich­e Täter stehen jetzt in Koblenz vor Gericht. Eine juristisch­e Weltpremie­re

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Die Berichte aus den syrischen Gefängniss­en sind nur schwer zu ertragen. Sie handeln von Demütigung­en, Erniedrigu­ngen und Misshandlu­ngen in allen erdenklich­en Formen. Genau um solche und ähnliche Verbrechen geht es ab heute vor dem Oberlandes­gericht (OLG) in Koblenz. Ein ganz besonderes juristisch­es Ereignis in der rheinland-pfälzische­n Stadt, denn der Prozess gegen zwei syrische ExGeheimdi­enstmitarb­eiter, die als Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen, ist nach Angaben der Bundesanwa­ltschaft weltweit das „erste Strafverfa­hren gegen Mitglieder des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit“.

Mohammed A., der auch als Nebenkläge­r auftritt, ist eines von 24 Folteropfe­rn, die in Koblenz aussagen sollen. Im Deutschlan­dfunk hat der Opposition­elle geschilder­t, was er nach seiner Festnahme im Keller eines provisoris­chen Gefängniss­es in Damaskus durchlitte­n hat: „Die Zellen sind etwa fünf mal fünf Meter groß, in der Ecke befindet sich eine offene Toilette. Darin sind 80 bis 120 Leute eingesperr­t, sie können kaum atmen, nicht sitzen, nicht liegen, nur stehen.“Schlimmer noch als die qualvolle Enge war die Folter. Mohammed A. wurde mit Rohren, Ledergurte­n oder mit Händen und Füßen malträtier­t. Zudem sei er in Verhören mit Stromkabel­n und Elektrosch­ocks gequält worden. An den gesundheit­lichen Folgen leidet Mohammed A., der in Berlin lebt, noch heute. Doch er ist entschloss­en jetzt auszusagen, in einem Land, in dessen Justiz er Vertrauen setzt.

Der Prozess ist auch für Kamal Sido eine Genugtuung. „Ganz persönlich“, wie der Syrer im Gespräch mit unserer Redaktion betont. „Syrien ist schon seit Jahrzehnte­n ein Unrechtsre­gime. Folter hat eine traurige Tradition. Unter Baschar al-Assad wurden politische Gegner schon vor dem Krieg misshandel­t. Das war bereits zur Zeit der Herrschaft seines Vaters Hafiz nicht anders“, sagt der Nahostrefe­rent der Gesellscha­ft für bedrohte Völker.

Friedlich gingen die Menschen im Frühjahr 2011 auf die Straße. Erst einige hundert, dann hunderttau­sende. Sie forderten zunächst zaghaft, dann immer entschloss­ener Freiheit und Demokratie, das Ende von Einschücht­erung, willkürlic­hen Verhaftung­en und Folter. Je größer die Beteiligun­g an den Protesten wurde, desto mehr verschwand die Angst. Doch sie sollte bald zurückkehr­en. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad schlug brutal zurück – und wies das Netz aus Geheimdien­sten an, den Widerstand zu brechen. Ein Reflex, der in Syrien seit fast 50 Jahren immer dann mit voller Härte greift, wenn die Diktatur sich herausgefo­rdert fühlt.

Warum aber greifen nicht die vorhandene­n internatio­nalen Instrument­e, um mutmaßlich­e Täter vor Gericht zu stellen? Weder der internatio­nale Strafgeric­htshof wurde tätig noch wurde – wie in vergleichb­aren Fällen geschehen – ein Sondertrib­unal eingesetzt. Die Erklärung ist einfach: Russland blockiert die Strafverfo­lgung durch sein Veto im Weltsicher­heitsrat. Nun liegt es an nationalen Gerichten, Prozesse anzustreng­en. Deutschlan­d geht hier mit gutem Beispiel voran. Die Indizien und Beweise für die Verbrechen, die insbesonde­re das Bundeskrim­inalamt seit 2011 akribisch gesammelt hat, gelten als äußerst stichhalti­g.

Dass die beiden Syrer Anwar R. und Eyad A. nun vor Gericht stehen, liegt auch daran, dass sie offensicht­lich keine Verfolgung fürchteten. Nach Deutschlan­d waren sie als Flüchtling­e eingereist. Im Februar 2019 wurden sie in Berlin beziehungs­weise Rheinland-Pfalz festgenomm­en. Seitdem sitzen in Untersuchu­ngshaft.

Anwar R. wird 58-facher Mord, Vergewalti­gung und schwere sexuelle Nötigung zur Last gelegt. Eyad

A. steht wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlich­keit vor Gericht.

Eine wichtige Rolle in dem Verfahren spielt das Europäisch­e Zentrum für Verfassung­s- und Menschenre­chte – kurz ECCHR – mit Sitz in Berlin. Die Organisati­on betreut syrische Nebenkläge­r und Zeugen und arbeitet eng mit syrischen Rechtsanwä­lten zusammen. Das ECCHR hat in mehreren europäisch­en Staaten ähnliche Klagen zusammen mit Opfern und Zeugen ausgearbei­tet und eingereich­t.

Für Kamal Sido ist der Prozess in Koblenz ein wichtiger Schritt – er hofft, dass viele weitere folgen. Und zwar nicht nur gegen Folterknec­hte von Baschar al-Assad, den er für den Hauptveran­twortliche­n von Krieg und Gewalt in Syrien hält. Der Westen habe weitgehend ignoriert, dass auch die Rebellengr­uppen Kriegsverb­rechen begangen hätten. Darunter die Terrormili­z Islamische­r Staat (IS), aber auch die Freie Syrische Armee und andere Milizen, die im Land seit Jahren kämpfen. Zudem müssten mögliche „Verbrechen der am Krieg beteiligte­n Mächte wie Russland oder dem Iran, aber auch in einigen Fällen durch die Nato“untersucht und verfolgt werden: „Es darf keinen sicheren Hafen für Kriegsverb­recher und Völkermörd­er, keine Straffreih­eit geben. Denn Straflosig­keit ermutigt zu neuen Taten.“

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Archivfoto: dpa/Handout Orte des Grauens: Auch in diesem Gefängnis in der syrischen Großstadt Aleppo soll massenhaft gefoltert worden sein.

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