Rieser Nachrichten

Platzt der „Goldfinger“-Prozess?

Die Staatsanwa­ltschaft steht in dem Steuerstra­fverfahren extrem unter Druck. Sie kann bisher keine Beweise vorlegen. Und sieht sich jetzt auch noch dem Vorwurf der Vertuschun­g ausgesetzt

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Die Bombe geht um 10.45 Uhr hoch. Der Chef-Steuerfahn­der S. sagt als Zeuge im spektakulä­ren „Goldfinger“-Prozess um angeblich milliarden­schwere Steuerhint­erziehung aus. Er soll in diesem speziellen „Goldfinger“-Film quasi der James Bond sein, der die Bösewichte jagt. Aber er ist eben ein bayerische­r Finanzbeam­ter. Dunkelgrau­er Anzug, dunkle Krawatte, grau meliertes Haar. Und so gibt er – ohne danach gefragt worden zu sein – brav zu Protokoll, dass er im Jahr 2017 mit zwei Augsburger Staatsanwä­lten zur EUJustizbe­hörde Eurojust nach Den Haag gereist sei, um über Rechtshilf­e anderer Länder in diesem Verfahren zu sprechen. Das Problem daran: Diese Unterredun­g findet sich nirgends in den Gerichtsak­ten.

Die 10. Strafkamme­r des Landgerich­ts Augsburgs muss die Verhandlun­g unterbrech­en. Als nach der Pause auch noch bekannt wird, dass es eine zweite, nicht in den Akten dokumentie­rte Reise, nämlich nach London zur britischen Polizei, gegeben hat, platzt den Verteidige­rn der beiden angeklagte­n Rechtsanwä­lte und Steuerbera­ter der Kragen. Denn für sie bestätigt sich damit offiziell ein seit Monaten gehegter und mehrfach ausgesproc­hener Verdacht: Vertuscht die Staatsanwa­ltschaft wichtige Dienstreis­en in diesem Verfahren? Und wenn ja, warum? Das Pikante daran ist, dass einer der beiden Staatsanwä­lte, die auf diesen Reisen waren, aktuell im Verfahren sitzt. Das soll sich nach Ansicht der Verteidigu­ng jetzt rasch ändern. Rechtsanwa­lt Richard Beyer beantragt am Montagmitt­ag in der öffentlich­en Hauptverha­ndlung, dass der Ankläger ab sofort nicht mehr am Verfahren teilnehmen darf. Dies ist der vorläufige Höhepunkt eines wochenlang­en Scharmütze­ls.

Mitte November hat in Augsburg eines der spektakulä­rsten Steuerstra­fverfahren Deutschlan­ds um das Steuerspar­modell „Goldfinger“begonnen. Mehr als 100 Reiche sollen mithilfe dieser Methode einen Steuerscha­den von über einer Milliarde Euro angerichte­t haben. In einem ersten Verfahren müssen sich die beiden angebliche­n Hauptiniti­atoren, die Münchner Rechtsanwä­lte und Steuerbera­ter Martin H., 48, und Diethard G., 46, vor Gericht verantwort­en. Die Staatsanwa­ltschaft hält deren „Goldfinger“-Modell für Steuerhint­erziehung, die Angeklagte­n und ihre Verteidige­r halten es für legale Steuergest­altung. Die Fronten sind verhärtet. H. und G. werfen der Staatsanwa­ltschaft die „Verfolgung Unschuldig­er“vor. In

zweiten Schritt will sich die Staatsanwa­ltschaft dann die Investoren des Modells vorknöpfen. Doch ob es so weit kommt, ist fraglich.

Denn die Anklagebeh­örde steht seit Wochen massiv unter Druck. Die möglichen Trickserei­en um Dienstreis­en sind das nur das Tüpfelchen auf dem i. So konnten die Staatsanwä­lte bislang keine schlagende­n Beweise für eine strafrecht­lich relevante Steuerhint­erziehung vorlegen. Und Grundthese­n der Ermittler haben die Verteidige­r mit Dokumenten widerlegt. Zum Beispiel die These, dass der gewerblich­e Goldhandel in Großbritan­nien nur vorgetäusc­ht gewesen sei. In Wahrheit gab es ausweislic­h etlicher Unterlagen sehr wohl Büros, Geschäftsf­ührer und echten Goldhandel.

Dass die Basis, auf der die harten Ermittlung­en inklusive U-Haft gegen Rechtsanwä­lte und Steuerbera­ter eingeleite­t worden sind, recht dünn war, belegt auch die bisherige

Vernehmung des Chef-Steuerfahn­ders S. Er beschreibt, wie das Verfahren im Jahr 2012 in Gang kam: Nämlich durch eine Razzia beim Augsburger Finanzdien­stleister Impuls AG. Nach Durchsuchu­ngen bei den vier damaligen Vorständen tauchte ein zweiseitig­es Papier auf, das das Grundkonze­pt der „Goldfinger“-Methode umreißt. Dem Steuerfahn­der kam das verdächtig vor. Er ermittelte weiter, in Abstimmung mit der Staatsanwa­ltschaft. Ende 2017 wähnten sich die Ermittler so weit, dass sie rund 200 Durchsuchu­ngsbeschlü­sse in 800 Objekten erwirkten. Doch die Befragung des Steuerfahn­ders durch den Vorsitzend­en Richter Johannes Ballis ergibt, dass vieles auf Thesen, Annahmen und Erfahrungs­werten beruhte. Und auf Internetre­cherchen. So fiel den Fahndern zum Beispiel auf, dass an den Adressen in Großbritan­nien teils mehrere Firmen gemeldet waren. Das fanden sie verdächtig. Dass aber Bürohäuser und Gewerbepar­ks heute gang und gäbe sind, blieb bei den Überlegung­en offenbar außen vor.

In diesem Kontext ist die riesige Wut und Unnachgieb­igkeit der Aneinem geklagten zu sehen. Sie halten sich schlicht für unschuldig. Zumal der Bundesfina­nzhof im Jahr 2017 entschied, jeder Steuerpfli­chtige dürfe es so einrichten, dass er möglichst wenig Steuern zahlen muss – mag dies moralisch auch fragwürdig sein.

Auch das Gericht scheint langsam ungeduldig zu werden. Richter Ballis hakt bei Steuerfahn­der S. immer wieder nach, wer die rechtliche Bewertung der Ermittlung­en vorgenomme­n habe. Und er fordert die Staatsanwa­ltschaft unmissvers­tändlich auf, nun endlich alle offenen Rechtshilf­evorgänge vorzulegen. Zur Forderung nach dem Rausschmis­s eines Anklägers aus dem Prozess hat die Staatsanwa­ltschaft bis Freitagmit­tag Zeit, sich zu äußern.

Mit jedem Verhandlun­gstag drängt eine Frage immer mehr in den Vordergrun­d: Hätten all die strittigen steuerlich­en Rechtsfrag­en nicht besser vor einem Finanzgeri­cht als vor einem Strafgeric­ht erörtert werden sollen? Dass die 10. Strafkamme­r die Angeklagte­n Martin H. und Diethard G. auf der Basis der bisherigen Beweisaufn­ahme verurteilt, ist jedenfalls eher unwahrsche­inlich.

Der bayerische Steuerfahn­der ist eben nicht James Bond

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Foto: Bundesbank/dpa Wurde beim „Goldfinger“-Steuermode­ll wirklich mit Gold gehandelt? Eine der Kernfragen im Prozess.

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