Rieser Nachrichten

Leere Kliniken, fehlende Patienten

Die Krankenhäu­ser sollen wieder in den Regelbetri­eb wechseln, aber werden auch die Patienten kommen? Mediziner sind alarmiert, weil auch schwer kranke Menschen fernbleibe­n

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München Mediziner und Krankenhäu­ser beobachten in der CoronaKris­e einen beunruhige­nden Trend. Aus Angst vor einer Infektion kommen sehr viel weniger Patienten mit akutem Behandlung­sbedarf in die Kliniken. „Wir stellen fest, dass Diagnosen wie Schlaganfa­llverdacht, Herzinfark­t oder Blinddarme­ntzündung deutlich nachgelass­en haben“, sagt Siegfried Hasenbein, Geschäftsf­ührer der Bayerische­n Krankenhau­sgesellsch­aft. Gleiches gilt für Krebspatie­nten.

Eine genaue Statistik gibt es noch nicht, aber Mediziner registrier­en das Phänomen deutschlan­dweit: „Wir haben auf einmal sehr viel weniger Patienten mit dringenden Symptomen“, sagt der Lungenkreb­sspezialis­t Niels Reinmuth, Chefarzt für Thorakale Onkologie an der Asklepios Fachklinik in Gauting bei München. „Das ist etwas, das wir alle beobachten.“Ein Hauptgrund ist vermutlich Furcht: „Die Angst, sich zu infizieren, ist offenbar so groß, dass viele lieber gar nicht zum Arzt gehen“, meint ein Sprecher der Deutschen Krankenhau­sgesellsch­aft in Berlin. 2018 gab es 210 000 Herzinfark­te und etwa 300000 Schlaganfä­lle in Deutschlan­d. Dass sich diese Zahlen wegen der Corona-Epidemie plötzlich verringert haben, glaubt niemand in der medizinisc­hen Gemeinde. Zu dem Phänomen trägt mutmaßlich der Umstand bei, dass viele niedergela­ssene Fachärzte ihren Praxisbetr­ieb eingeschrä­nkt haben und damit weniger Patienten überweisen.

Die größte medizinisc­he Krise der vergangene­n Jahrzehnte hat für die Krankenhäu­ser bisher die eigenartig­e Folge einer außergewöh­nlich schwachen Auslastung. Die befürchtet­e Welle von Corona-Patienten ist zur Erleichter­ung aller Beteiligte­n ausgeblieb­en. Alle planbaren Behandlung­en – die sogenannte­n „elektiven“Fälle – wurden verschoben. So sind in Bayerns Kliniken nach Angaben der Krankenhau­sgesellsch­aft derzeit im Schnitt zwischen 40 und 60 Prozent der Betten nicht belegt. „Auch auf den Intensivst­ationen sind noch Kapazitäte­n frei“, sagt Geschäftsf­ührer Hasenbein. Die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft schätzt, dass derzeit bundesweit 150 000 Betten frei sind. Dementspre­chend sind Mediziner und Pflegepers­onal auf vielen Stationen derzeit eher unter- als überdurchs­chnittlich beschäftig­t. Auch die Rettungsdi­enste haben vergleichs­weise wenig zu tun: „In den letzten Wochen nehmen wir einen stetigen Rückgang an Krankentra­nsporte wahr“, heißt es beim Bayerische­n Roten Kreuz in München. Deswegen sollen die Krankenhäu­ser nun schrittwei­se wieder in den Regelbetri­eb wechseln.

Aus ärztlicher Sicht besorgnise­rregend ist aber der unerwartet­e gleichzeit­ige Rückgang der Patienten mit akuten Symptomen – die nicht elektiven Fälle. Dabei tun die Häuser alles, um die Ansteckung­sgefahr zu minimieren: Corona-Infektione­n werden getrennt von allen anderen Patienten behandelt. „Mit der abgetrennt­en Station und der Zimmer-Isolierung besteht kein erhöhtes Ansteckung­srisiko für andere Patienten“, heißt es etwa bei der

Asklepios-Klinik im Bad Tölz.

Das Muster ist bundesweit gleich, die Kliniken folgen den Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts. Patienten mit akuten Erkrankung­en laufen große Gefahren, wenn sie nicht zum Arzt gehen. „Wenn man akuten Behandlung­sbedarf nicht erkennt, riskiert man möglicherw­eise lebensbedr­ohliche Probleme“, sagt der Gautinger Chefarzt Reinmuth. „Bei einem Tumor kann eine Verzögerun­g bedeuten, dass die Erkrankung gar nicht mehr oder mit sehr viel schlechter­en Heilungsch­ancen behandelt werden kann.“Viele Ärzte treibt daher in diesen Tagen eine Frage um: „Wir haben die Sorge, dass wir im Sommer viele Patienten bekommen werden, die besser vier Monate früher gekommen wären“, sagt der Onkologe. Kardiologe­n diskutiere­n bereits, ob Deutschlan­d nach Corona eine Welle der Herzschwäc­he bevorstehe­n könnte, wie eine Münchner Fachärztin berichtet. „Man muss wirklich dringend dazu aufrufen: Bleiben Sie nicht mit ernsten Problemen zu Hause“, sagt Reinmuth. oberbayeri­schen

Bis zu 60 Prozent der Betten sind nicht belegt

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Foto: Peter Kneffel, dpa Die Warteberei­che in Kliniken sind oft leer. Krankenhäu­ser und Ärzte beobachten in Bayern einen besorgnise­rregenden Trend: Wohl aus Angst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus bleiben viele Patienten auch mit lebensbedr­ohlichen Symptomen zu Hause.

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